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Offener Brief von Klaus Schwertner an die ,Fisch+Fleisch‘-Chefin

„Texte wie Ihrer haben ein leicht durchschaubares Ziel: Auf dem Rücken von schutzsuchenden Menschen Klicks auf Ihrem Blog zu erhalten. Das ist widerlich."

Der nachfolgende Text ist ein offener Brief von Caritas-Geschäftsführer Klaus Schwertner, der zuerst auf seiner Facebook-Seite erschienen ist.

Sehr geehrte Frau „Chefredakteurin",
sehr geehrte Silvia Jelincic,

seit mittlerweile 19 Tagen bin ich täglich am Westbahnhof, habe dort gemeinsam mit mehr als 1200 Freiwilligen und tausenden Helferinnen und Helfern rund 60.000 Flüchtlinge begleitet, betreut, mit Lebensmitteln, Getränken, frischer Kleidung und Decken versorgt. Menschen, die vor Krieg und Verfolgung, einige sicher auch vor unvorstellbaren Armutssituationen geflüchtet sind, die Hand gereicht, ein offenes Ohr geschenkt.

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Wir haben diese Menschen willkommen geheißen und den Großteil von Ihnen wieder verabschiedet, weil sie gar nicht in Österreich bleiben, sondern nach Deutschland weiterreisen wollten. Wir haben gelacht und geweint, geschwitzt und gefroren und wir haben alle zusammengehalten: Flüchtlinge, ÖBB, Polizei, Rettungsorganisationen, UnternehmerInnen, Stadt Wien, Bundesheer und vor allem die Zivilgesellschaft. Es sind Menschen, die da kommen. Es sind Menschen, die da helfen.

Ein Gefühl hatte ich während all dieser 19 Tage kein einziges Mal: Angst. Und jetzt nach 19 Tage habe ich es zum ersten Mal: Angst. Und zwar als ich soeben zu Hause auf meinem Smartphone Ihren Blogeintrag auf www.fischundfleisch.at lese. Plötzlich habe ich nicht nur ein mulmiges Gefühl im Bauch, nein, ich bekomme plötzlich Angst.

Warum? Sie machen mir Angst. Sie schreiben einen Text, der schlecht recherchiert ist, keine einzige seriöse Quelle ausweist, sondern nur ein Ziel verfolgt: Sie wollen Panik machen, verunsichern, polarisieren. Und das gelingt Ihnen sogar. Leider. Sie sind sogar so feig, dass sie Ihren Text damit einleiten, dass es jetzt gleich massive Kritik geben wird. Um sich quasi vorbeugend zu schützen.

Mittlerweile sind Sie noch einen weiteren Schritt weiter gegangen, haben sogar den Text von dem Blog heruntergenommen, einem Anwalt übergeben. Auch ein bekanntes Muster. Aber Ihre Zeilen sind dokumentiert, von einem Rechtspopulisten auf Facebook geteilt und verbreiten sich vermutlich tausendfach, werden von Menschen, die es nicht besser wissen können als Wahrheit verstanden. Und vor dieser Verantwortung können Sie sich nicht davon stehlen, wird Sie kein Anwalt verteidigen können. Denn genau das war Ihnen bewusst.

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Sehr geehrte Frau Silvia Jelincic, irgendwie tun Sie mit auch leid. Sie sind bestimmt kein einziges Mal am Westbahnhof oder am Hauptbahnhof gewesen. Denn sonst wüssten Sie, dass es dort eines nie gab: Gewalt und Aggression. Laut Polizei gab es am Westbahnhof keine Gewaltvorfälle, laut Innenministerium gibt es keinen einzigen bekannten Fall von IS-Kämpfern, die mit den Flüchtlingen in den letzten Wochen in unser Land gekommen sind. (Anm.: Meine Quelle ist ein Sprecher des Innenministeriums, Stand 17. 9. 2015) Dennoch suggerieren Sie ohne einen einzigen Beweis, dass 30 Prozent aller männlichen Flüchtlinge gewaltbereit seien - ohne Angabe einer seriösen Quelle.

Frau Jelincic, Sie machen mir Angst, große Angst. Wir haben ein Problem und der Grund sind nicht Flüchtlinge, die Schutz suchen, sondern Menschen wie Sie. Europa hat keine Flüchtlingskrise, sondern eine Solidaritätskrise. Auch ich will keine Extremisten und Terroristen, gewaltbereite Menschen, Kriminelle und Hassprediger in Österreich und Europa.

Hier stimmen wir sogar überein. Aber auf ganz perfide Art und Weise sind Sie selbst eine Art österreichische Hasspredigerin. Warum? Als Journalistin erwarte ich mir von Ihnen ein Mindestmaß an seriöser Recherche im Sinne von "Check-recheck-double check", keine Verbreitung von Gerüchten und Halbwahrheiten, Pseudostatistiken und -quellen.

Texte wie Ihrer haben ein leicht durchschaubares Ziel: Auf dem Rücken von schutzsuchenden Menschen Klicks auf Ihrem Blog zu erhalten. Das ist menschenverachtend und widerlich.

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Ich möchte Ihnen gerne ins Stammbuch schreiben: Wer Österreich und Europa liebt, spaltet es nicht. Nicht alle Menschen, die Asyl beantragen, werden auch Asyl erhalten. Aber: Flucht ist kein Verbrechen, Asyl ein Menschenrecht. Und Menschlichkeit und Nächstenliebe sind zum Glück weit verbreitet in unserem Land. 85 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher sind stolz über diese Hilfsbereitschaft. (Quelle: Der Standard, 19./20.9.2015.)

Texte wie Ihrer haben offenbar drei leicht durchschaubare Ziele: Auf dem Rücken von schutzsuchenden Frauen, Männern und Kindern zu polarisieren, Hass und Verunsicherung zu sähen und Klicks auf Ihrem Blog zu erhalten. Das ist menschenverachtend und widerlich.

Sehr geehrte Frau Jelincic, schämen Sie sich!

Mit besten Grüßen,
Klaus Schwertner

P.S.: Seriöse Fisch+Fleisch-Autorinnen und Autoren sollten sich überlegen, auf welchen Plattformen sie bloggen und wen sie damit legitimieren. Diesen Text finden Sie auf meinem persönlichen Blog.

Nachtrag

Inzwischen hat Silvia Jelincic mit einem Kommentar geantwortet: „Ich habe mich für den Beitrag entschuldigt, Klaus Schwertner. Der Beitrag war ein großer Fehler, viel zu emotional geschrieben, aus eigener Angst heraus. Ich habe ihn längst entfernt, leider wurde er davor kopiert. Es tut mir sehr leid. Sie wissen gar nicht, wie sehr." Klaus Schwertner hat Silvia Jelincic haben ein persönliches Treffen für kommende Woche vereinbart.