Nils Herzogenrath ist mit seinem Soloprojekt Vomit Heat der beste Beweis dafür, dass sich im eher belanglosen Kulturhauptstadtjahr 2010 doch noch was im Ruhrgebiet bewegt hat. Wer vor ziemlich genau einem Jahr bei der Eröffnungsfeier Zeuge wurde, wie Herbert Grönemeyer mit seiner anbiedernden “Ruhr-Hymne“ zuckrigen Regionalpatriotismus verbreitete, darf jetzt wieder erleichtert aufatmen. Bei Vomit Heat geht es (wie der Name ja schon andeutet) deutlich dreckiger zu. Und nein, hinter dem Namen verbirgt sich keine weitere 08/15-Schrammelpunkband aus dem Pott, sondern feinster Lo-Fi Shoegaze made at home. Nils wohnt mit seinen 19 Jahren aktuell nämlich noch bei seinen Eltern. Das lastet natürlich auf der Vita. Wie er es damit trotzdem bis ins Vorprogramm von Wavves und sogar bis auf Pitchfork geschafft hat, erzählt er hier:
Vice: Hi Nils. Herzlichen Glückwunsch!
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Nils: Danke. Wofür?
Naja, es kommt ja heutzutage nicht allzu oft vor, dass eine Band aus Deutschland in den Dunstkreis von Pitchfork vorstößt, die nichts mit Minimal Techno am Hut hat…
Das stimmt allerdings…
Wie ist dazu überhaupt gekommen? Du hattest bis dato ja noch nichtmal etwas offiziell veröffentlicht, geschweige denn irgendwo live gespielt.
Ja das mit Pitchfork war etwas anstrengend, weil sofort anderweitig Resonanz kam und ich mal eben so spontan aber keine Konzerte in London geben konnte, sondern erstmal mein Abi beenden musste [lacht] Wie die auf mich aufmerksam geworden sind? Ein Musikblog hatte mich mit einem Song gefeatured. Eine Woche später hat mich Pitchfork dann kontaktiert.
Ist doch super. Glaubt du, dass du mit deiner Musik mehr im Ausland als in Deutschland Erfolg haben könntest?
Zunächst einmal freue ich mich überhaupt erstmal über jede Resonanz, egal woher sie kommt. Wobei die ganze Lo-Fi Kultur in den USA schon mehr Fuß gefasst hat, als anderswo auf der Welt. Ich denke Pop ist tot. Der größte internationale Musiksender ist in Deutschland nur noch im Pay-TV zu empfangen. Das sagt doch alles.
Es ist wirklich erschreckend auf welchem Niveau sich die deutsche Musikindustrie im letzten Jahr bewegt hat.
Absolut. Eins meiner Highlights im letzten Jahr war definitiv einmal Michael Rother von NEU! live gesehen zu haben. Und dann auch noch zusammen mit Steve Shelley!
Hast du die BBC Four-Doku über die Krautrock-Szene mittlerweile komplett gesehen? Die Stelle, wo Iggy Pop ganz ehrfürchtig davon erzählt, wie er mit Florian Schneider Spargel einkaufen war, bringt mich jedes mal zum Lachen. Kaum zu glauben, dass heutzutage nur noch langweiliger Minimal Techno aus Deutschland kommt!
Es ist wirklich schade, dass viele keinen Plan mehr davon haben, was für Pioniersounds mal aus Deutschland gekommen sind. Ohne Krautrock hätten sich zum Beispiele viele Bowie-Alben deutlich anders angehört.
Umso schöner, dass die Szene alle paar Jahre immer ein kleines Revival erlebt. Faust zum Beispiel, sind aktuell ja auch gerade wieder im Studio…
Man sieht die ganzen alten Krautrocker sind immer noch am Start und auch sehr offen für jüngere Leute. Ich wollte demnächst mal Walter Westrupp anrufen, der immer noch in Essen wohnt. Ich häng’ so in der Vergangenheit was deutsche Musik angeht, schade eigentlich. Aber auch heute gibt’s wieder Experimentierfreudiges, man muss nur lange genug suchen. Wie Datashock. Ich freu mich auf deren Album “Die Pyramiden von Gießen” Ich würde mir zum Beispiel nie wünschen in einer anderen Zeit zu leben. Warum auch? Es hat überall Scheiße gegeben, genauso wie Gutes…! Aber an Krautrock mag ich fast alles! Außer Eloy. Ich hasse Eloy!
Wie geht’s denn 2011 mit Vomit Heat weiter? Jetzt wo du dein Abi endlich hinter dir hast.
Anfang des Jahres werden auf dem New Yorker Indielabel Olde English Spelling Bee zwei Vinylsingles [“Miriam“ und “Everything Is In It’s Wrong Place“ – Anm. d. V.] von mir veröffentlicht. Meine erste reguläre Veröffentlichung. Außerdem werde ich mich um meine weiteren Musikprojekte bemühen. Mit der Panzerdivision Copacabana haben wir gerade die erste DIY-Auflage fertig gestellt. Sehr kosmisch. Und ich möchte natürlich irgendwann auch in naher Zukunft bei meinen Eltern ausziehen [lacht] Ist doch klar!
Foto: Peter Kaaden