Seit dem 1. April gilt im Görlitzer Park in Berlin offiziell „null Toleranz” für Cannabis—im Gegensatz zum Rest der Stadt, wo man mit bis zu 15 Gramm erwischt werden kann, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen. Der Innensenator Frank Henkel hofft, so das Dealen in dem Park zu unterbinden, der in den letzten Jahren zum Synonym für praktisch unkontrollierten Drogenhandel wurde.
Letzten Sonntag gegen 16 Uhr wollte ich selbst mal schauen, wie gut das Konzept funktioniert. Gleich am Seiteneingang der Görlitzer Straße empfingen mich zwei betrunkene Dealer, die sich gerade gegenseitig mit einem Fahrradschloss und zwei dicken Steinen traktieren wollten. Polizei war nicht in Sichtweite. Von der Zero-Tolerance-Strategie des Berliner Innensenators ist wenig zu spüren, ganz im Gegenteil. Angebot und Nachfrage sind nach wie vor hoch, die Dealer haben ihren Organisationsgrad dem der Polizei angepasst, alles ist „Irie, no Problem”. Ein paar Tage vorher hatte Rechtsanwalt Udo Vetter in seinem „Lawblog” vom einem der ersten Opfer der neuen Null-Toleranz Order berichtet. Ein kleiner Kiffer, der im Park erwischt wurde, hatte einen Strafbefehl über fünf Tagessätze für 0,117 Gramm Gras erhalten. Normalerweise wird so etwas in Berlin sofort eingestellt, aber dank der neuen Regel darf der arme Tropf jetzt 60 Euro blechen oder sitzen.
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Coffeeshops in Kreuzberg? Eher wird der Großflughafen fertig
Zum Glück hat die Kreuzberger Bürgermeisterin Monika Herrmann kürzlich den Antrag für ein Coffeeshop-Modellprojekt in Kreuzberg eingereicht, der Kreuzberg statt der aktuellen Kifferjagd einen regulierten Cannabismarkt bringen soll. Der Bezirk soll im Modellversuch klären, ob Kreuzberg und danach der Rest von Deutschland schon bereit für legales Gras ist, ohne sich die Birne wegzukiffen oder sich selbst zu vergessen.
Zu diesem Zweck sollen ein paar Ideen des von den Grünen vorgestellten Cannabis-Kontrollgesetz in Kreuzberg ausprobiert werden. Doch der Antrag, der zwei Shops für den Bezirk vorsieht, muss jetzt von der Bundesopiumstelle genehmigt werden.
Die in Bonn ansässige Behörde hat das letzte Wort, wenn es um Ausnahmen im Betäubungsmittelgesetz geht. Juristisch ist der Coffeeshop-Modellversuch genau so eine Ausnahme laut §3a BtmG. Die Bundesopiumstelle entscheidet zwar eigentlich als Behörde unabhängig, untersteht jedoch dem Bundesgesundheitsministerium. Das letzte Wort wird demnach im Ministerium von Hermann Gröhe (CDU) gesprochen. 1997 hatte Schleswig-Holstein unter Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD) einen ähnlichen Antrag gestellt, den Horst Seehofer damals als Kohls Gesundheitsminister nur müde belächelt und selbstredend abgelehnt hat. Die Chancen, dass die Bundesopiumstelle den Antrag dieses Mal annimmt, stehen 2015 nicht viel besser als 1997.
Bei einer Ablehnung könnte der Bezirk vor dem Bundesverfassungsgericht klagen, um das im Antrag angeführte „Öffentliche Interesse” einzuklagen und so irgendwann doch noch ein Hanf-Fachgeschäft bekommen. Könnte, hätte, müsste—in naher Zukunft ist ein Coffeeshop trotz des Engagements des Bezirks in Kreuzberg sehr unwahrscheinlich. Der Flughafen BER ist sicherlich schon fertig, während es im und um den „Görli” weiterhin rund geht. Damit es nicht zu heftig wird, lässt der Bezirk immerhin wieder täglich den Müll wegräumen und will im Herbst einen „Parkmanager mit Sprachtalent” sowie Parkläufer anstellen. Die sollen, am besten tolerant und multilingual, machen, was der Polizei nicht gelingt: Den Park mit tollen Aktionen und den richtigen Worten zur richtigen Zeit familienfreundlicher machen. An sich eine schöne Idee, aber angesichts des stabilen Schwarzmarkts wohl eher Schönfärberei. „Dealt doch bitte draußen weiter!” funktioniert erfahrungsgemäß nur sehr bedingt.
Vielleicht gelingt es, den Görlitzer Park mit viel Geld und Kontrollen ein wenig zur Ruhe zu bringen, doch zu welchem Preis? Am S-Bahnhof Warschauer Straße, wo es einst eine relativ kleine, ruhige Straßenszene gab, wird seit Monaten offen und massiv gedealt. Die Hasenheide, wo die Grasverkäufer den geostrategischen Schutz der vatikanischen Botschaft genießen, wird vermehrt frequentiert. Jetzt soll es Polizeiangaben zufolge auch auf dem Tempelhofer Feld einen Gras-Schwarzmarkt geben.
Bremens Antrag könnte bald folgen
Andere Städte wie Bremen, Hamburg, Hannover oder Frankfurt überlegen auch, ob und wie sie Cannabis zukünftig rationaler behandeln können. In Bremen hat die SPD am Wochenende im Rahmen der Koalitionsverhandlungen mit den Grünen einem ähnlichen Vorhaben zum regulierten Grasverkauf zugestimmt. Glaubt man den Worten der Bremer Grünen-Vorsitzenden Henrike Müller, könnte es in in Bremen und Bremerhaven je eine Abgabestelle geben, wobei hier wieder von Apotheken die Rede ist. Doch der Einfall stieß bereits 1997 nicht auf die Gegenliebe der Apotheker in Schleswig-Holstein. Nach dem Vorstoß von Rot-Grün hat die Geschäftsführerin der Apothekerkammer Bremen, Isabel Justus, erklärt: „Das ist nicht die Aufgabe einer Apotheke”, sagt sie dem Weser-Kurier. „Wir verkaufen Arzneimittel, keine Genussmittel. Wir verkaufen ja auch keinen Kaffee.”
Außerdem winkt ihnen mit dem, was sie an medizinischen Cannabisprodukten verdienen können, sowieso schon ein schöner Teil des Kuchens, der jetzt noch auf dem Schwarzmarkt geteilt und aufgegessen wird. Da kann man sich ruhig großzügig zeigen und den Weedverkauf in Zukunft echten Fachleuten überlassen, so wie es der Berliner Antrag vorsieht. Hier soll sich bereits ein Urban Gardening Unternehmen für den Anbau beworben haben.