Kid Cudi ist Vieles. Er ist Mr. “Solo Dolo”, der einsame Stoner. Er ist Kanye Wests kleiner Bruder, genau so wie Ye sich selbst als Bruder von JAY Z verstand. Er ist Rockstar, Rapper, Schauspieler. Kid Cudi ist ein Künstler. Wenn du dir angehört hast, was der gebürtige Clevelander in jüngster Zeit gemacht hat, sei es sein Kids See Ghosts-Album oder seine Guest-Features – insbesondere beim “A$AP Forever Remix” –, dann weißt du, dass Kid Cudi “wiedergeboren” ist, sich “frei wie ein Vogel” fühlt. Ja, er hhmmmmmyhheaht sich immer noch in die Stratosphäre, aber gleichzeitig ist der neue Cudi leichter, heiter und weniger von der Dunkelheit verfolgt.
Für diejenigen, die mit der Geschichte des 34-Jährigen vertraut sind, ist es geradezu herzerwärmend, Zeuge von Cudis neugefundener Klarheit zu werden – eine schwere Last scheint von seinen Schultern gefallen zu sein. Wie viele von uns hat Cudi Rückschläge erlebt, Angststörungen und halt alles, was sonst noch zum Menschsein dazugehört. Diese Erfahrungen zeigt er in seiner Musik, was ihn zu einem verehrten und gleichzeitig nahbaren Musiker gemacht hat. “Er ist der einflussreichste Künstler der vergangenen zehn Jahre”, sagt Kanye West. Auch wenn so eine Aussage immer höchst subjektiv ist, ganz unrecht hat West hier vielleicht nicht.
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Alles begann mit A Kid Named Cudi. Das vor ziemlich genau zehn Jahren erschienene Mixtape stellte Cudis facettenreiche Soundpalette der Welt vor und schoss ihn raketengleich in den Rap-Olymp. Schon zwei Monate nach seinem Erscheinen unterschrieb Cudi einen Vertrag bei G.O.O.D. Music, dem Label von West. Noch beeindruckender war allerdings, dass Cudi kurz darauf schon an Writing Sessions für Wests 808s & Heartbreak teilnahm (“Robocop”, “Welcome to Heartbreak”, “Paranoid” und “Heartless”), sowie für JAY Z’s The Blueprint 3 (“Already Home”). Schnell ernannte man Cudi zur zukünftigen Legende der New School. Schließlich hatte er bereits mit zwei der größten Namen des Rap gearbeitet.
Rückblickend gilt 808s einhellig als der Augenblick, an dem Rap sich von seinem Angeber-Klischee befreite und sein Herz öffnete. Aber auch wenn es stimmt, dass 808s einen immensen Einfluss hatte und die Musiklandschaft auf einen Act wie Drake vorbereitete, lässt sich mutmaßen, dass dieses Album ohne Kid Cudi nicht in dieser Form möglich gewesen wäre. Aber lassen wir die Spekulationen. Stattdessen befassen wir uns zum Jubiläum mit A Kid Named Cudi. Was genau macht es zu einem so besonderen und beeindruckenden Debüt? Und bevor wir darauf eingehen, was hat es mit der Entstehungsgeschichte des Werkes auf sich? Wer, wie und was ist Kid Cudi?
Wie viele andere zog auch Cudi mit Anfang 20 in eine Großstadt – in seinem Fall New York, mit nur 500 US-Dollar in der Tasche. Eine Zeit lang lebte er bei einem Onkel in der South Bronx. Nachdem er einen Job gefunden hatte, zog er mit dem Produzenten Dot Da Genius zusammen. Dieser sollte später auch als Toningenieur an A Kid Named Cudi beteiligt sein und zwei weitere Tracks für ihn produzieren: “Day ‘N’ Nite” und “Cleveland is the Reason”. Obwohl Cudi schon lange an seinem Sound gefeilt hatte – ein früher Demotrack, “Party All The Time”, angeblich von 2001, enthält schon eine Menge seines berühmten Summens – dauerte es bis 2006, bis sich alle Teile zusammenfügten. Ein anderer Produzent stellte ihn Plain Pat vor. Dieser nahm Kid Cudi zwar nicht sofort unter Vertrag, aber dafür den jungen Künstler unter seine Fittiche. Das war umso wichtiger, da Pat auch mit West arbeitete.
Obwohl US-Rap bereits Mitte der 2000er auch jenseits der Küsten und des Südens abwechslungsreicher geworden war, Acts wie Kanye und Lil Wayne die Veränderungen für die Zukunft einleiteten, setzte Cudi dem sogar noch eins drauf. A Kid Named Cudi verfügt über eine beeindruckende Sample-Palette: Nosaj Thing, Band of Horses, Paul Simon, N.E.R.D, Ratatat. Vielleicht noch wichtiger und besonders auf “Day ‘N’ Nite” – der verdammt nach Bengas und Cokis UK-Dubstep-Hit “Night” klingt – und “Cleveand is the Reason” zu hören, führten Cudi und Dot Da Genius einen elektronischen Underground Clubsound im HipHop ein. Heute spiegelt sich das in einer ganzen Reihe von Veröffentlichungen wider, die von den verspielten Produktionen von Noah ’40’ Shebib und Boi-1da, bis hin zu Danny Browns und Vince Staples’ Big Fish Theory reichen.
Einen ebenso großen Einfluss hinterließ Cudi damit, wie offen er mit seinen psychischen Problemen umging. Auf “The Prayer” rappt Cudi auf einem Sample des Band-of-Horses-Tracks “The Funeral” über den Tod und darüber, seit seiner Geburt davon zu träumen, frei zu sein. “Ready for a funeral.” Der Opener “Down and Out” ist sogar noch direkter: “You’d commit suicide trying to read my mind.” Auf “Man On The Moon” hingegen legt Cudi das Fundament für den astralen Ton und die ungeschliffenen Emotionen, die sein gleichnamiges Debütalbum von 2010 formen würde. “Guess if I was simple in the mind / everything would be fine”, sagt er dort und spielt damit auf die Art von Angststörung an, die einem Probleme vorgaukelt, wo eigentlich keine sind.
Viele Rap-Acts sprechen heute offen über ihre Depressionen, Angststörungen oder Suizidgedanken. Tatsächlich wirst du von Earl Sweatshirt über Isaiah Rashad bis hin zur Flut von Emo-Rappern echte Probleme haben, einen jungen MC zu finden, der noch nie über seine Gefühle gesprochen hat. Das hat zum Teil auch damit zu tun, dass jüngere Generationen generell offener über psychische Probleme sprechen. Trotzdem sieht man schnell, warum er gerade in seinem Genre und seiner Altersklasse als treibender Motivator für einen Haufen junger Menschen gilt, mitzuteilen, was sich in ihren Köpfen abspielt.
Cudi hatte seit der Veröffentlichung seines ersten Mixtapes einige Päckchen zu tragen. 2016 ging er wegen Depressionen und Selbstmordgedanken in eine Reha. “Mir geht es nicht gut”, schrieb er damals in einem Facebook-Post. “Ich werde zurückkommen, stärker, besser. Wiedergeboren.” Wenn uns die Lyrics von Kids See Ghosts irgendetwas sagen, dann dass Cudi erfolgreich war. “I’m so, I’m so reborn, I’m movin’ forward… / Ain’t no stress on me Lord, I’m movin’ forward”, singt er in “Reborn”.
Seine Geschichte ist inspirierend, menschlich und echt. Wenn wir auf A Kid Named Cudi zurückblicken, können wir sehen, wie weit er als Person, als Künstler gekommen ist. Rap ohne Cudi wäre anders: Vielleicht wäre er in Teilen nicht so düster, aber er wäre auch nicht so hoffnungsvoll und heiter. Kid Cudi ist ein Ausnahmekünstler im besten aller Sinne. A Kid Named Cudi war der Startpunkt seiner Reise. Auf Kids See Ghosts befindet er sich schon mehrere persönliche und spirituelle Evolutionen jenseits von seinem Debüt. Die Zukunft für Cudi sieht ziemlich rosig aus – oder wie er wahrscheinlich selbst sagen würde: “Hmmmmmmm yeaaaaahh HmmmmmmHmhMmmmmm.”