Die Fassade des Hauses, an dem maskierte Spezialkräfte der Polizei kurz vor sieben Uhr morgens am 13. November klingeln, bröckelt. Farbbeutelwürfe haben bunte Spuren hinterlassen, die Rollläden im ersten Stock sind heruntergelassen. In dem von Identitären bewohnten Gebäude suchen Beamte nach Bildern von einer Auseinandersetzung im Juni.
In der Mensa der Martin-Luther-Universität in Halle hatte damals eine Gruppe Identitärer zwei Personen bedrängt. Der Satz “Wenn ich dich nachts treffe, dann mache ich dich kalt” soll gefallen sein. Die Polizei kam, fand bei den Rechten Pfefferspray, ein Messer und Quarzhandschuhe.
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Im September der nächste Vorfall – in derselben Mensa. In der Mittagszeit war ein Mitglied der Identitären unterwegs, Melanie Schmitz, die der Spiegel das “Postergirl der neuen Rechten” nennt. Es kam zu einem Wortgefecht mit anderen Gästen, ein paar Minuten später tauchte ihr Freund auf: Mario Müller. Er trug Handschuhe, obwohl es noch gar nicht kalt war. “Der hatte so einen irren Gesichtsausdruck. Der Blick total entgleist”, sagte eine Augenzeugin zur taz: “Da haben wir direkt vermutet, dass es Quarzhandschuhe sind.”
Müller ist der führende Kopf der Identitären in Halle. Bei Veranstaltungen und Demos sieht man ihn in der ersten Reihe: Ein markanter Rotschopf, die Haare mit Pomade nach hinten gekämmt. Für ihn ist nationaler Widerstand auch eine Frage des richtigen Haarpflegemittels. Im Lexikon der deutschen Identitären, das er geschrieben hat, steht unter dem Eintrag zu “Scheitel”: “Haarspray ist für Schwuchteln”. Darin heißt es auch: “Mit jeder öffentlichen Veranstaltung, auf der wir zu Wort kommen, zählen unsere Anliegen mehr zur gesellschaftlichen Normalität.”
Veranstaltung wie die Frankfurter Buchmesse. Dort hatte Götz Kubitschek, dessen neurechter Verlag in der Nähe von Halle sitzt, das Buch als “das Herz der Bewegung” bezeichnet. Müller steht neben ihm auf der Bühne und lächelt, als er das hört. Kurz davor war es zu den Tumulten zwischen Rechten und Linken gekommen, über die Medien auf der ganzen Welt berichteten. Die Präsentation wurde abgebrochen, die Linken riefen: “Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda!” Die Identitären: “Wo wart ihr Silvester?”
Auch Martin Sellner ist eng mit dem Haus in Halle verbunden, der führende Kopf der österreichischen Identitären schaut regelmäßig vorbei. Er will “das ewig unzivilisierbare, urdeutsche Fieber” wecken. Auch er stand in Frankfurt mit auf der Bühne. Der Politikwissenschaftler Johannes Varwick sieht das Gebäude deshalb als einen Ort, an dem sich so etwas wie eine rechte RAF formieren könnte. Der Vergleich mag etwas schief sein, die Sorgen aber sind echt.
Wie viele Menschen dort wohnen, ist unklar. Laut Belltower News gehören etwa 10 bis 20 Personen dem Identitären-Ableger “Kontrakultur” an. Auf der Facebook-Seite der Gruppe zeigen sich acht von ihnen, sieben Männer und eine Frau. “Kontrakultur” ist die Übersetzung des Punk-Begriffs “Counter Culture”. Die Identitären haben das Auftreten der Linken kopiert, ihre Klamotten, den Stil der Protest-Plakate, sogar die Gesänge. Wenn die Linken auf einer Demo rufen “Es gibt kein Recht auf Nazi-Propaganda”, antworten sie “Es gibt kein Recht auf Asi-Propaganda”.
Laut Störungsmelder ähnelt das Haus einer Burschenschaft: Die Gruppe ist hierarchisch organisiert und schult sich im Kampfsport. Regelmäßig gehen sie zu Schulungen und Konferenzen vom “Institut für Staatspolitik” in Schnellroda.
Die Rechten aus Halle sind für Aktionen in ganz Deutschland unterwegs. Sie sind auf das Brandenburger Tor gestiegen, haben versucht, die CDU-Zentrale und das Bundesjustizministerium zu blockieren. “Scheinriesen” nannte sie die Zeit, weil sie mit wenig Personal für großes Aufsehen sorgen. Auch auf der C-Star waren sie, dem Schiff, mit dem europäische Identitäre im Mittelmeer Migranten abfangen wollten – und kläglich scheiterten.
Die Scheinriesen sammeln sich nun in der Adam-Kuckhoff-Straße 16, erst im Sommer sind sie in das Haus eingezogen, drei Minuten Fußweg vom Steintorcampus der Universität Halle. Es soll in dem Haus auch darum gehen, den “linken Mainstream” an Universitäten zu bekämpfen. Götz Kubitscheck glaubt, das Projekt könne “ein Leuchtturm” der rechten Szene werden und will demnächst ein Büro seines Verlages dort eröffnen. Er ist nicht der einzige, eine Werbeagentur sitzt schon in dem Haus. Sie soll dafür sorgen, dass alte Menschenfeindlichkeit in neuer popkultureller Ästhetik präsentiert wird – die Krieger der Identitären haben ihr Symbol aus dem Hollywood-Film 300.
“Ein Prozent für unser Land” findet sich dort ebenfalls, ein Art rechte NGO, gegründet von Kubitschek und dem Compact-Verleger Jürgen Elsässer. Die Gruppierung hat die Beobachtung bei den Bundestagswahlen organisiert, die dem Staat und anderen Parteien unterstellte, die Wahl zu Ungunsten der AfD manipulieren zu wollen. Die taz bezeichnet sie als “rechtsextreme Briefkastenfirma”, die das “Scharnier zwischen der AfD und den Identitären sein soll”.
In Halle zeigt die Partei ihre Verbindungen zu den Identitären aber offen. Auf dem Klingelschild des Hauses steht das Wahlkreisbüro des Landtagsabgeordneten Hans Thomas Tillschneider. Vermieter ist “Ein Prozent”, die Steuergelder, die sehr wahrscheinlich das Büro bezahlen, fließen somit an Rechtsextreme. Tillschneider war Redner bei Pegida und ist Sprecher der “Patriotischen Plattform”, dem völkisch-nationalen Flügel der AfD. 2016 stand auf deren Webseite ganz offen: “Wir sind identitär”. Tillschneider hat auch schon mal darüber nachgedacht, eine Kaserne nach Ernst Röhm zu benennen, dem Führer der SA, ist dann aber zurückgerudert, weil der ja schwul gewesen sei.
Das Büro ist ein weiterer Beweis dafür, dass der “Unvereinbarkeitsbeschluss” der AfD von 2016 hinfällig ist. Darin heißt es: “Der Bundesvorstand stellt fest, dass es keine Zusammenarbeit der Partei Alternative für Deutschland und ihrer Gliederungen mit der sogenannten ‘Identitären Bewegung’ gibt.”
All die Mieter machen das Haus der Identitären zu einem Inkubator für Rechte. Vorbild sind die Neonazis der Casa Pound, die in einem Haus in Rom am “Faschismus des dritten Jahrtausends” arbeiten. Im Deutschlandfunk formulierte das der Rechtsextremismus-Experte David Begrich so: “Das sind in der Regel junge Leute, die sozusagen soziale Zentren von rechts aufbauen wollen und eine Lebenspraxis verbinden mit einer politischen Praxis auf der Straße. Und das können wir bei den Identitären in Halle auch sehen.” Dieses Zentrum ist den Identitären entsprechend viel wert. Sehr viel sogar.
Genauer: 330.000 Euro, so viel haben das Haus und ein 400 Quadratmeter großes Grundstück gekostet. Gekauft hat es laut Recherchen von “Sachsen-Anhalt Rechtsaußen” die undurchsichtige Titurel Stiftung. Im Kaufvertrag wird die Stiftung ausgerechnet durch einen weiteren AfD-Politiker vertreten: den hessischen Landesvorstand Andreas Lichert. Zu dem Kaufpreis kommen noch Kosten für Sicherheitsmaßnahmen. Das Haus wird mit drei Videokameras überwacht, die Bilder nutzen Rechte auch für “Fahndungsaufrufe” im Internet. Nach eigenen Angaben sind außerdem Fenster und Zäune verstärkt. 40.000 Euro haben die Identitären für Reparaturen schon gespendet bekommen, behaupten sie.
Das Haus wurde immer wieder attackiert, im Oktober zerschlugen 20 bis 30 Personen die Videokameras, beschmissen das Gebäude mit Pflastersteinen, versprühten Farbe aus Feuerlöschern, bohrten die Haustür auf und spritzten Buttersäure ins Gebäude.
Aber auch die Bewohner sind Täter. Mario Müller selbst ist wegen Hausfriedensbruchs und zweimal wegen Körperverletzung verurteilt worden. 2010 griff er vier Jugendliche mit einem “selbstgebauten Totschläger” an – einer 200 Gramm schweren Mutter einer Hantel, die er in eine Socke gesteckt hatte. Das Urteil: sieben Monate und zwei Wochen Haft auf Bewährung.
2012 traf er sich beim Bundeskongress der NPD-Jugendorganisation mit anderen Szenegrößen wie Patrick Schröder, Gründer des Propagandaportals Frei, sozial und national und Mitorganisatoren der Neonazi-Festivals in Themar. Rechtes Networking. Man habe die rechte Vergangenheit “hinter sich gelassen”, sagt Müller heute, und “sich der Identitären Bewegung angeschlossen”. Der Verfassungsschutz von Sachsen-Anhalt aber bezeichnet die Gruppe in Halle als rechtsextrem – und beobachtet sie deshalb.
Eine Geschichte über Müller geht wie folgt: Nachdem ihn seine Eltern vor die Wahl stellten, entweder sie oder der “nationale Widerstand” soll er “Nationaler Sozialismus oder Tod!” gerufen haben. Dann soll er ausgezogen sein und zeitweise sogar in den Wäldern geschlafen haben. Ob es stimmt oder nicht – egal. Denn gute Geschichten sind den Identitären wichtig, sie wollen vor allem eins: das politische Klima aufheizen. Und so ist auch das Haus in Halle eine Provokation aus Beton. Vorerst.
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