Popkultur

Wer weibliches Empowerment sehen will, muss ‘Grey’s Anatomy’ schauen

Vorab: Ich hatte nie mit meiner Vorgesetzten Sex. (Oder Untergebenen. Oder Kollegen. Oder Kolleginnen.) Das ist wohl schon mal der größte Unterschied den ich zu den Figuren aus Grey’s Anatomy habe. Trotzdem sind die Charaktere für mich in vielerlei Hinsicht Vorbilder. Ich habe viel von Meredith, Christina, Jo und Miranda gelernt – und nicht nur darüber, in welchen Räumen man in Krankenhäusern am besten Quickies haben kann.

Die Serie um junge Ärztinnen und Ärzte in einem Krankenhaus in Seattle geht dieses Jahr in die 15. Staffel. Nicht zuletzt wegen der verzwickten Liebesdramen, den soapartigen One-Night-Stands und den teilweise absurden Handlungen (Bomben, Flugzeugabstürze, Amokläufer) hat sie Kultstatus erreicht. Von vielen belächelt, von noch mehr verehrt, erzielt Grey’s Anatomy in Deutschland stabil gute Quoten. Auch in meinem Herzen belegt die Serie einen festen Platz. Seit der ersten Staffel.

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Das liegt seit mehreren Jahren vor allem daran, dass Grey’s Anatomy erwachsen und feministisch geworden ist. Das Autorinnen-Team um Serien-Schafferin Shonda Rhimes schreibt gekonnt über eine Fülle von Themen, die man auch als Erfahrungsberichte in feministischen Magazinen oder auf Twitter lesen könnte. Ja, es wird geliebt, geknutscht und gestritten. Aber Liebe ist längst nicht mehr all bestimmend im Leben der weiblichen Charaktere. Endlich!

Stattdessen werden anderen Arten von Beziehungen beleuchtet. Die zu platonischen Freundinnen. Die zur Familie. Oder die zum Job. Und gerade Letzteres hat es in sich.


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In der Theorie sollten die Ärztinnen alle happy sein: Sie sind jung, schön, erfolgreich. Viele ergattern scheinbar problemlos Führungspositionen, leiten Stationen oder gleich die ganze Chirurgie. Doch selbst bei finanziell sichergestellten Karrierefrauen, wie denen in Grey’s Anatomy, offenbaren sich im Laufe der Staffeln ganz banale Schwierigkeiten.

Hauptfigur Meredith muss sich alleine um ihre Kinder kümmern und verzweifelt daran, Karriere und Mutterschaft unter einen Hut zu bekommen. In einem Sorgerechtsstreit wird einer anderen Ärztin unterstellt, sie könne keine gute Mutter sein – weil sie so viel und gerne arbeite. Und in Szenen, wo mehrere befreundete Charaktere zusammensitzen, geben sie sich ganz natürlich gegenseitig Tipps zu Gehaltsverhandlungen, Teamarbeit und Projektvorhaben.

Klingt alltäglich? Ist es! Und genau das ist wohl das Besondere an Grey’s Anatomy – feministisches Empowerment ist kein abgeschlossener, einzelner Handlungsstrang; sondern Grundhaltung der Serie.

Durch die in 13 Jahren zu komplexen Persönlichkeiten gereiften Figuren bekommen Zuschauerinnen das alles viel greifbarer und nahbarer vermittelt, als es ein einzelner Artikel, Tweet oder Empowerment-Workshop je könnte. Für sich selbst einzutreten, gerade beruflich, ist in der Serie Alltag. Lebensnah und mit so vielen Beispielen, dass selbst ich als alteingesessene Feministin immer wieder etwas Neues lerne und für mich mitnehme.

Die Hauptdarstellerin war bis vor Kurzem allerdings nicht Hauptverdienende am Set

Nein, du kannst nicht alles haben. Ja, es ist OK, keine Kinder zu wollen. Ja, du kannst auch arbeitend eine tolle Mutter sein. Nein, es ist nicht normal, dass dein Mann dich nicht unterstützt. Ja, auch Freundschaften zwischen Frauen müssen gepflegt werden. Nein, du wirst nicht einfach so genauso viel Gehalt bekommen wie dein männlicher Kollege. Ja, es ist OK, dass dich das zu Tränen frustriert.

Dass das so gut klappt, liegt zum einen an Serien-Macherin Shonda Rhimes, deren Serienkreationen wie Scandal oder How to Get Away with Murder immer wieder für ihre Diversität gelobt werden. Zum anderen ist aber auch der Cast selbst engagiert, offen und setzt sich öffentlich für verschiedene Anliegen ein.

Hauptdarstellerin Ellen Pompeo gab Anfang diesen Jahres ein Interview, das für die Branche neue Maßstäbe setzte. Darin offenbarte sie nicht nur ganz direkt und ehrlich, wie sie es schaffte, durch geschickte Gehaltsverhandlungen zur bestbezahlten Serienschauspielerin der Welt zu avancieren; sondern auch, dass sie jahrelang weniger pro Folge verdiente als ihr männlicher Co-Star Patrick Dempsey (und das, obwohl die Serie nach ihrer Figur benannt ist). Pompeo war in dem Interview so radikal, dass eine der größten nordamerikanischen Gossip-Seiten ihr eine fast zweistündige Sonderfolge in einem Podcast widmete.

Pompeo enthüllte in dem berühmten Interview auch ganz nebenbei, dass es ihr erst gelang, mehr Gehalt zu fordern, als Dempsey die Serie verließ – zuvor war ihr immer wieder gedroht wurden, ihre Figur aus der Serie zu streichen. Man habe ja Dempsey. Doch sein Ausstieg hatte nicht nur Folgen für Pompeos Finanzen: In der Show selbst war der Tod von Dempseys Figur Derek Shepherd ein entscheidender Moment für die Weiterentwicklung feministischer Dynamiken. Pompeos Charakter Meredith Grey muss sich alleine behaupten, Frauennetzwerke treten in den Vordergrund.

Letztendlich war Dempseys Weggang für das Autoren-Team um Shonda Rhimes ein Katalysator, gesellschaftliche Entwicklungen noch mehr in die Serie einfließen zu lassen. Spätestens seit Beyoncé 2014 bei den MTV Video Music Awards vor dem Wort “Feminist” auftrat, sind feministische Positionen und Themen breit gesellschaftsfähig. Das merkt man auch Grey’s Anatomy an. Bleibt zu hoffen, dass künftig nicht erst Männer ihre Jobs verlieren müssen, damit die Frauen im Team gerecht bezahlt werden. Auch wenn das sicher guter Serienstoff wäre.

Die 15. Staffel von Grey’s Anatomy startet in den USA am Donnerstag, 27. September.

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