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Unsere Erde durchlebt gerade das größte Artensterben seit den Dinosauriern

Der Verlust zahlreicher Arten unserer globalen Fauna, wird uns sogar mit WWF-Klebebildchen beim Einkauf schmerzlich vor Augen gehalten. Doch die vom Aussterben bedrohten Pandas und Tiger sind nur die Spitze des Eisbergs. Eine neue Studie fand nun heraus, dass wir uns mitten in einer verheerenden Aussterbewelle befinden.

Das in Science Advances veröffentlichte Paper ist nicht das erste, das mit diesem Ergebnis aufwartet. Doch die Wissenschaftler von der National Autonomous University of Mexico, Stanford, Berkeley, Princeton und der University of Florida prüften die unangenehme These des Massensterbens anhand strenger Kriterien. Auch unter Einbezug konservativer Schätzungen zeigte sich, dass die Sterberate in den letzten 115 Jahren 50 mal höher war als unter normalen Umständen.

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„Wenn wir jetzt nicht handeln, werden wir uns in 50 Jahren in einer völlig anderen Welt wiederfinden. Einer Welt, die die Menschheit in dieser Art bisher noch nicht erlebt hat”, erzählte mir Gerardo Ceballos, Hauptautor der Studie und Ökologe an der National Autonomous University of Mexico, in einem Telefongespräch.

Ceballos und seine Kollegen fanden heraus, dass Wirbeltiere in den letzten 500 Jahren auf alarmierende Weise verschwanden, was ungefähr mit dem Zeitraum gleichzusetzen ist, in dem der Mensch einen maßgeblichen Einfluss auf seine Umwelt ausübt. Seit dem Jahr 1500 nach Christus sind mindestens 338 Arten von Wirbeltieren ausgestorben und wenn es in diesem Maße weitergeht, könnte sich die Artenvielvalt des Planeten innerhalb von drei Generationen komplett gewandelt haben, so die Warnung der Wissenschaftler.

In der Geschichte der Erde gab es bisher fünf Mal eine Phase massenhaften Artensterbens. Die Letzte dieser Zeitspannen, in denen eine große Anzahl von Spezies innerhalb kurzer Zeit verschwand, war das Massensterben im Kreidetertiär. Damals, vor 66 Millionen Jahren verschwanden die Dinosaurier von unserem Planeten.

Seit einigen Jahren versuchen Wissenschaftler zu bestimmen, ob wir bereits vor einer solchen sechsten Extinktion stehen. Kritiker sagen allerdings, dass die Wissenschaftler die momentane Sterberate der Arten überbewerten und gleichzeitig die historische Quote des Aussterbens unterschätzen. Aus diesen Gründen wollten Ceballos und sein Team eine Analyse mit ausschließlich extrem konservativen Schätzungen durchführen.

Artensterben ist ein natürlicher Bestandteil der Evolution. Neue Arten entstehen, andere sterben aus. Doch die natürliche Aussterbequote—das sogenannte Hintergrundaussterben—ist typischerweise sehr gering.

Ceballos erarbeitete nun neue Schätzungen für das Hintergrundaussterben auf Grund umfangreicher Analysen fossiler Funde. (Dabei beschränkten sich die Wissenschaftler auf Wirbeltiere, da es nicht genug Daten über wirbellose Lebewesen für eine realistische Schätzung gab.) Diese Analyse fand eine neue Rate für das Hintergrundaussterben von 1.8 verschwindenden Arten pro 10.000 Spezies in 100 Jahren (1.8 E/MSY).

Als nächstes sammelten die Forscher Daten aller wild lebenden Wirbeltierearten, die, nach der International Union of Conversation of Nature, von 1500 bis heute sicher ausgestorben sind oder als ausgestorben gelten. Andere Studien hatten in der Vergangenheit eine große Palette von Schätzungen angestellt, wie viele Arten ausgestorben sein könnten, erzählte Ceballos. Sie bestimmten die Fläche der zerstörten Lebensräume und rechneten daraus die Anzahl der ausgestorbenen Arten hoch. Im Gegensatz dazu beriefen sich die Forscher der aktuellen Studie nun auf ausgesprochen konservative Daten.

Als die Wissenschaftler das Hintgergrundaussterben mit der aktuellen Aussterberate verglichen, zeigte diese trotz der konservativen Daten einige Schwankungen. Mit einer natürlichen Aussterberate von 2 E/MSY müssten seit 1900 ungefähr neun Arten ausgestorben sein. In der Realität scheinen jedoch 477 Spezies von unserem Planeten verschwunden zu sein.

Auch wenn die Wissenschaftler ausschließlich Daten von Spezies verwendet hätten, die als definitiv ausgestorben gelten, wären es immer noch 198 Arten, also 22 mal so viele wie die eigentliche Hintergrundaussterberate beträgt.

„Sagen wir, die Extinktionsrate hat 2.2 oder 2.3 E/MSY betragen, das wäre immer noch kein Massenaussterben. Lediglich etwas mehr als normal”, sagte Ceballos. „Doch was wir herausgefunden haben ist um viele, viele Faktoren höher. Darum sprechen wir mit absoluter Sicherheit von einem Massenaussterben.”

Diese Schätzung zeigt, wie länge es hätte dauern sollen bis die gleiche Anzahl der in den letzten 115 Jahren gestorbenen Arten ausgestorben ist. Die roten Figuren zeigen die gesicherten Aussterberaten, die Blauen zeigen bestätigte sowie angeblich ausgestorbene Spezies. Source: Science Advances

Die Studie stellt fest, dass der Zeitpunkt dieses Massenaussterbens als sicherer Beleg dafür gilt, vom Menschen verursacht zu sein: Der Prozess begann in dem Moment als sich die menschliche Kultur entwickelte und die Menschen einen größeren Einfluss auf die Welt um sich herum nahmen.

Warum sollten wir uns Menschen aber überhaupt dafür interessieren? Der Dodo ist von der Erde verschwunden und auch die Jemen-Gazelle, aber was macht das schon? Ceballos erklärte mir, dass die Diversität der Natur unser Garantie für ein gesundes menschliches Leben sei, denn je größer die Diversität, desto gesünder sind wir.

Er wies auf einen Fall hin, der sich vor einigen Jahren in Panama ereignet hat als es dort einen Ausbruch des Hantavirus gegeben hatte: ein von Nagetieren verbreiteter Virus, der sich auf Menschen übertragen kann. In geschützten Wildlife-Regionen, wo es zahlreiche verschiedene Nagerarten gibt, war die Infektionsrate sehr gering. Sie verbreitete sich deswegen so langsam, da nur wenige Arten dafür empfänglich waren, so Ceballos. In Gegenden mit forstwirtschaftlicher Nutzung jedoch, in denen nur noch eine Handvoll verschiedener Nagerarten vorhanden sind, verbreitete sich der Virus schneller und die Ansteckungsrate war ebenfalls höher.

„Solange wir nur eine einzige Spezies verlieren, wie eine Maus oder ein Eichhörnchen, hat das noch keine großen Auswirkungen”, erklärte Ceballos. „Das Problem ist jedoch, dass uns jetzt gerade so viele Arten verloren gehen, dass die Belastbarkeit des Ökosystems zusammenbricht.”

Ceballos merkte jedoch an, es sei noch nicht zu spät für uns Menschen, unsere Fehler auszugleichen und andere Arten vor ihrem Verschwinden zu bewahren. Wenn wir unsere Bemühungen für den Natur- und Artenschutz verdoppeln und den Druck auf die Lebewesen—wie den Verlust des Lebensraumes und den Klimawandel—verringern, könnten wir die Extinktion wieder in ihre normalen Bahnen lenken.

Auf unsere eigene Gefahr hin, könnten wir aber auch einfach nichts machen. Es gab schließlich schon vorher Massenaussterben. In einem Fall wurden sogar bis zu 90 Prozent der auf der Erde befindlichen Lebensformen ausgelöscht und das Leben ging trotzdem weiter.

„Wir wissen mit absoluter Sicherheit, dass sich das Leben irgendwie durchsetzen wird”, so Ceballos. „Es stellt sich nur die Frage, ob die Menschheit zu den Überlebenden gehören wird.”