Beatrix von Storch bezeichnet Enkel von Holocaust-Opfern als “dumm”

AfD-Politikerin Beatrix von Storch vor dem Holocaust-Mahnmal in Berlin

Adrian Goldberg steht vor einem Dilemma: Soll er sich im Angesicht des drohenden Brexit einen deutschen Pass besorgen? Der BBC-Journalist hat deutsche Wurzeln, es wäre naheliegend. Aber gute Erinnerungen an Deutschland gibt es in Goldbergs Familie nicht. Sein Vater wurde zu Beginn des 2. Weltkriegs in einem Kindertransport von Deutschland nach Großbritannien gebracht. Seine Eltern wollten ihn vor den Nazis schützen – und starben in Auschwitz. Wäre es also ein Verrat an seiner Familie, wenn Goldberg die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen würde?

In dem Radiobeitrag “My Brexit Dilemma” beleuchtet der Journalist diesen inneren Kampf von mehreren Seiten. Unter anderem spricht er mit Holocaust-Überlebenden, die wie sein Vater per Kindertransport nach Großbritannien kamen. Und – um herauszufinden, wie es mittlerweile um das politische Klima in Deutschland steht –, auch mit Beatrix von Storch.

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Das ist einerseits passend, weil von Storch und ihre AfD-Kolleginnen und -Kollegen zu großen Teilen dafür verantwortlich gemacht werden können, dass Rassismus und Diskriminierung bestimmter Religionsgruppen hierzulande wieder nahezu gesellschaftsfähig geworden sind. Andererseits geben Schuldige selbst äußerst ungerne zu, dass sie schuldig sind. So auch Beatrix von Storch, die zu Beginn des Gesprächs das abspult, was die AfD immer abspult, wenn sie nach ihrer allgemeinen Position zum Thema Migration gefragt werden.

Gegen Einwanderung hätte man ja per se nichts, es sei eben nur wichtig, dass sie Deutschland nütze, und aufnehmen könne man nicht jeden, nur weil der glaubt, ein Recht dazu zu haben. Und wenn man sich schon aussucht, wen man nimmt, dann eben lieber jemanden wie Adrian Goldberg als einen muslimischen Syrer, sagt sie. So weit, so bekannt.

Interessant wird es, als der Journalist offen legt, welche ganz persönliche Verbindung er zur Zeit des Nationalsozialismus hat.


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Sein Vater habe in den späten 1930ern, kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs, aus Deutschland fliehen müssen, erzählt Goldberg. Schließlich sei er Jude gewesen und habe deswegen einer verfolgten Minderheit angehört. “Wenn ich mit ihnen spreche”, fährt der Journalist fort, “scheint es mir so, als würde diese Intoleranz auch heute noch in Deutschland existieren, auch wenn sie sich gegen eine andere Bevölkerungsgruppe richtet”. Beatrix von Storch wiederholt erneut, dass man Menschen ja in Deutschland aufnehmen wolle, nur eben nicht alle, doch Goldberg lässt sich nicht ablenken. Er will darüber sprechen, wie bestimmte Minderheiten auch heute noch dämonisiert werden. Rund 80 Jahre nach der Judenverfolgung in Nazideutschland.

“Ich verstehe nicht, was sie damit sagen wollen”, erwidert die AfD-Politikerin spitz. “Wenn sie das auf eine Ebene mit dem Dritten Reich stellen wollen, sind sie komplett dumm. Wenn sie das, was wir tun, auf eine Ebene mit dem Dritten Reich stellen, sind sie nicht nur dumm, sondern haben auch keine Ahnung von Geschichte und davon, was damals passiert ist.”

“Ich glaube, ich habe eine ziemlich gute Vorstellung davon, was damals passiert ist. Ich habe dadurch meine komplette Familie verloren.”

Wir wiederholen: Eine Politikerin, deren Großvater Reichsfinanzminister unter Hitler war und im Rahmen der Nürnberger Prozesse als Kriegsverbrecher verurteilt wurde, erklärt einem Journalisten, dessen Familie väterlicherseits im Holocaust ums Leben gekommen ist, dass er keine Ahnung hat, was damals in Nazideutschland abging.

“Ich glaube, ich habe eine ziemlich gute Vorstellung davon, was damals passiert ist. Ich habe dadurch meine komplette Familie, bis auf meinen Vater und seinen Bruder, verloren”, antwortet Adrian Goldberg mit hörbar belegter Stimme. “Deswegen finde ich es ziemlich verletzend, wenn Sie sagen, dass ich nicht weiß, was zu dieser Zeit passiert ist. Ich weiß, dass meine Familie nur aus dem Grund verfolgt und getötet wurde, weil sie Anhänger des jüdischen Glaubens waren.”

Beatrix von Storch könnte sich nun entschuldigen. Ihr Mitgefühl aussprechen. Irgendetwas sagen, was zumindest einen Hauch von Empathie durchscheinen ließe. Aber das tut sie natürlich nicht. Stattdessen schwenkt von Storch wieder auf muslimische Einwanderer um, die angeblich andere Werte haben, die sich nicht mit dem vereinbaren ließen, wofür Deutschland stünde. “Wir sind kein muslimisches Land”, sagt sie. Und glaubt damit offensichtlich nach wie vor, für alle zu sprechen.

Dann endet das Interview. Und Adrian Goldberg zieht weiter. Zu seinem nächsten Termin bei einer jüdischen Gemeinde in Berlin-Neukölln, die friedlich mit muslimischen Nachbarn koexistiert.

Am Ende entscheidet sich der Journalist für den deutschen Pass. Nazideutschland habe seine Familie ausgelöscht. “Deswegen”, sagt er, “glaube ich, dass Deutschland mir etwas schuldet”. Und sei es nur, dass er trotz Brexit weiterhin Bürger der EU bleiben könne.

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