Junggesellenabschiede sind ein Thema für sich. Für manche sind sie ein Riesenspaß (was auch daran liegen könnte, dass diese Art Event zumeist mit deutlich mehr als 2 Promille einhergeht), für einen Großteil der Menschheit jedoch der Inbegriff des Grauens.
Vor allem, wenn man es mit dem Klassiker zutun hat: Schärpenbehangene Grüppchen, mit Einheits-Shirts, die mit Bier oder wahlweise Sekt en masse durch die Fußgängerzonen dieser Welt ziehen und arglose Passanten nötigen, ihnen Kondome für einen zweistelligen Betrag abzukaufen oder gegen den zukünftigen Bräutigam Liegestütze zu machen. Im weiteren Verlauf des Abends werden sie dann grölend zum Schrecken jedes Gastronomen und eigentlich jedes Menschen, der sich in demselben Club aufhält.
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Hinzu kommt außerdem, dass es keine allzu gute Idee ist, die Sause in seinem Heimatdorf zu veranstalten, wenn man tatsächlich ernsthaft heiraten oder weiter unbehelligt in diesem Dorf leben möchte. Aber wer hat schon die Zeit und Muße, eine Reise für acht bis fünfzehn Personen zu planen, die sich auch noch einen Großteil der Reisezeit in alkoholbedingtem Delirium befinden werden?
Genau diesen Umstand haben sich einige kluge Köpfe zu Nutzen gemacht und Agenturen gegründet, welche die Planung und Durchführung von JGAs in der Fremde übernehmen. Eine der Bekanntesten ist Crazy JGA. Sie bietet Reisen in 50 Städte weltweit an und wirbt damit, dass man sich ein maßgeschneidertes Programm aus knapp 2.000 Aktionen und Aktivitäten selbst zusammenstellen kann.
„Eines unserer beliebtesten Reiseziele ist Budapest”, erklärt Lukas von Crazy JGA. „Ungarns Hauptstadt ist einfach DIE Destination für Junggesellenabschiede. Die Stadt ist architektonisch wunderschön, es gibt gerade im Sommer unendlich viele Möglichkeiten zu Feiern, die Leute sind entspannt und durch jahrelange gute Zusammenarbeit haben wir hier ein Netzwerk aufgebaut, welches es uns ermöglicht, Reisen mit richtig viel Programm für einen Top-Preis anzubieten.”
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Wir waren gespannt, welche wohl die anderen 1.999 Aktionen neben Biertrinken sind, und wollten außerdem herausfinden, ob es wirklich weniger peinlich ist, seinen Junggesellenabschied irgendwo steigen zu lassen, wo alle eine andere Sprache sprechen und deshalb das betrunkenen Gegröle nicht verstehen. Also haben wir uns in die Höhle des Löwen begeben und eine Junggesellengruppe aus Frankfurt am Main auf ihrem Trip in die angebliche Partymetropole an der Donau begleitet.
Freitag, 22.00 Uhr
Anfang Juni ist es schon ziemlich heiß in Budapest. Auch nach Sonnenuntergang misst das Thermometer knapp 26 Grad und Szabina und ich sind froh, als die klimatisierte Limousine kommt, mit der wir die JGA-Gruppe vom Flughafen abholen. Szabina ist Mitte 20, schlank und mit ihren langen, blonden Locken die Art Frau, nach der man sich auf der Straße umdreht. Sie ist dieses Wochenende der Guide der Frankfurter (männliche JGAs bekommen bei Crazy JGA einen weiblichen Guide und andersrum). Das beinhaltet vom Flughafen abholen, die Spielregeln der Stadt erklären, dafür sorgen, dass alle überall ankommen und genügend zu trinken haben, und quasi rund um die Uhr für Fragen zur Verfügung stehen. „Es ist der perfekte Nebenjob”, sagt sie dennoch. „Ich verdiene Geld damit, Leute durch Bars und Clubs zu führen und mit ihnen zu feiern. Das ist ungefähr das, was ich sowieso machen würde.”
Auf dem Weg zum Flughafen versuche ich über Sabi, wie sie sich auch gern nennt, die dunkleren Momente ihres Jobs auszuquetschen. Ist schon mal jemand in die Donau gefallen? Der Bräutigam wegen kalter Füße in den Tiefen Osteuropas verschwunden? Oder war gar die Polizei im Spiel? Aber Sabi hat auf dem Gebiet keine guten Geschichten auf Lager (oder sie hat welche und möchte sie mir aus naheliegenden Gründen nicht erzählen): „Na klar trinken manche einen über den Durst. Aber ich bin noch nie in eine Situation gekommen, die mir Angst gemacht hat oder wo ich die Kontrolle verloren habe. Du musst halt von Anfang an klar machen, dass man mit dir richtig Spaß haben kann, aber nur, wenn sich alle an die Regeln halten. Sonst funktioniert das hier nicht, dann tanzen sie dir irgendwann auf der Nase herum.” Ich bin jetzt sehr gespannt, wie diese zierliche Person ein Dutzend betrunkene Männer händeln will, die noch nicht mal dieselbe Sprache sprechen.
22.30 Uhr
Als wir die Gruppe am Flughafen treffen, scheint meine Sorge mehr als berechtigt: Gestresst durch Verspätungen und die Strapazen des mindestens anderthalbstündigen Fluges verlangt die Gruppe schon lautstark nach Bier, als sie noch gar nicht in der Limo sitzt. Und ob man in diesem Ding (dem Hummer) seine eigene Musik hören könne.
Wenig später cruist der Hummer um 12 Personen reicher und mit musikalischer Untermalung von Pitbull Richtung Budapester Innenstadt. Die beiden Inklusive-Flaschen Champagner sind ruckzuck leer und in Ermangelung „etwas Ordentlichen” zu trinken werden einfach noch vier weitere dazu gekauft, für 3000 Forint, umgerechnet ungefähr zehn Euro pro Flasche.
Nahe des Hostels schält sich einer nach dem anderen aus den weißen Ledersitzen und wird in die schwüle Budapester Nachtluft gespuckt. Mitten hinein in eine Gruppe ungarischer Mädels, angeführt von einer zukünftigen Braut mit Schärpe und Krönchen. Die Meute ist begeistert und kauft den Kolleginnen erst mal ein paar Schnäpse ab. Im Hostel Budapest Center hat Crazy JGA ein Apartment für die Frankfurter gebucht. Ich frage mich, wie diese Wohnung aussehen wird, nachdem sie drei Tage lang von 12 Männern besetzt war.
23.15 Uhr
Meeting unten vor der Haustür. Die Truppe hat kollektiv Bermuda-Shorts gegen Jeans und Karo-Hemden getauscht und alle schwitzen vor sich hin, während Szabina endlich dazu kommt, die „Take me home”-Karten (mit der Adresse des Hostels, seriösen Taxi-Nummern und ihrer eigenen Handynummer) auszuteilen und das Programm zu erklären. Die Aufmerksamkeit ihrer Schützlinge ist währenddessen eher beim Nebentisch, an dem zwei Männer vor ihren Bieren eingeschlafen sind. Ich höre zu und erfahre, dass das Programm mit dem Namen „Crazy Night” eine Tour durch die besten Bars Budapests beinhaltet sowie den Besuch in einem Stripclub und abschließend einen VIP-Tisch in einem Club nach Wahl.
Auf dem kurzen Weg ins Partyviertel erkundigt sich Sabi bei Stefan, dem Organisationstalent, Kassenwart und Sprecher der Gruppe, nach Feiervorlieben: Open-Air oder lieber herkömmlicher Club, schick oder leger, elektronische Musik oder Charts? Sie wählt außerdem die Bars aus, gibt die Gehrichtung vor, hält die Gruppe zusammen, verweist auf Geldautomaten und schafft es nebenbei, mit beinahe jedem aus der Gruppe kurz persönlich zu sprechen.
Außerdem hilft sie beim Bezahlen, was vielleicht der wichtigste Punkt ist: Schon mit klaren Kopf ist Währungen umrechnen beizeiten eine verwirrende Sache. Mit steigendem Alkoholpegel werden die vielen Nullen in den Forint-Preisen immer unübersichtlicher, außerdem ist man betrunken ja sowieso gerne mal Millionär. Ohne Sabi jedenfalls hätte die Bardame rund 18 Euro Trinkgeld bekommen. Ich, die ich mich selber jahrelang mit Kellnerjobs über Wasser gehalten habe, bin eigentlich die Letzte, die etwas gegen großzügiges Trinkgeld sagt. Gerade bei Betrunkenen ist das ja gleichzeitig eine Art Schmerzensgeld, das das Personal für die Umstände entschädigt. Aber wenn das ein ganzes Wochenende so gelaufen wäre, müsste am Ende noch jemand seinen Wagen oder die Playstation verkaufen, um sein Konto aus den roten Zahlen zu holen. Lange Rede, kurzer Sinn: Sabi macht sich schnell unentbehrlich und wird von den Frankfurtern ins Herz geschlossen. Was auch nicht zuletzt daran liegt, dass sie ihre Aufgabe wirklich ernst nimmt und durch Mittrinken versucht, im selben Modus wie ihre Schützlinge zu bleiben.
Irgendwann zwischen 1.00 Uhr und 6.00 Uhr
Nach noch ein paar Runden Woka-Energy ist die Stimmung ziemlich gut und der Lautstärkepegel eines typischen Junggesellenabschieds erreicht. Was aber nicht besonders auffällt, da es auch um uns herum ziemlich wuselig zugeht. Ob das jetzt Touri-Gruppen oder Einheimische sind, die mit einer leeren Flasche auf dem nächtlichen Platz Fussball spielen und dabei lautstark angefeuert werden, man weiß es nicht. Es stört sich auf jeden Fall niemand daran.
Irgendwie haben die Frankfurter auf einmal keine Lust mehr auf Stripclub, obwohl der Eintritt bereits bezahlt ist. Ich versuche, im allgemeinen Aufbruchstrubel einen Ansprechpartner zu finden, der mir erklärt, was die Gruppe davon abhält, sich schöne nackte Frauen anzusehen, werde aber nicht fündig. Alle wollen möglichst schnell in den Club, einige meckern über den 30-minütigen Fußmarsch, der uns aber über die Elisabethbrücke (eine der schönsten Brücken Budapests) führt und deshalb eigentlich gar nicht so schlimm ist.
Vor dem Romkert, einem Biergarten, der sich nachts in einen Open-Air-Club verwandelt, erwartet uns ein kurzer Schreckmoment: Sabi diskutiert auf Ungarisch mit den Türstehern, die offenbar nicht so richtig Lust haben, unserer 14-köpfigen Partycrew Einlass zu gewähren. Doch auch diese Situation regelt sie souverän: Auch wenn ich keine Ahnung habe, wie sie es geschafft hat, sitzen wir zehn Minuten später an einem Tisch in der VIP-Area des Clubs, mit Blick auf den DJ, die Tanzenden und die Elisabethbrücke im Hintergrund.
In den folgenden Stunden werden mehrere Flaschen Wodka gelehrt, viel getanzt, sich gegenseitig umarmt und noch mehr Alkohol getrunken. Die etwas abgeschottete Sitzposition sorgt allerdings dafür, dass wir nicht so richtig mit anderen Clubbesuchern in Berührung kommen. Die Frankfurter scheint das aber nicht sonderlich zu stören, sie sind ohnehin eher mit sich selbst und dem Leeren der Wodka-Schiffchen beschäftigt.
Als die Sonne über der Donau aufgeht, mache ich endgültig schlapp und gehe über die Elisabethbrücke zurück zum Hostel. Sabi hält noch immer durch und hat dafür meinen ehrlichen Respekt, vor allem seitdem ich weiß, dass sie seit Mitte März jedes Wochenende eine Gruppe zu betreuen hatte.
Samstag, 12.30 Uhr
Normalerweise würde man nach einer solchen Nacht erst mal zwei bis sieben Tage katern, sich selbst, den Alkohol und die Welt verfluchen und schwören nie, nie wieder zu trinken. Dafür ist in Budapest zum Glück keine Zeit. Pünktlich um 12.30 steht eine putzmuntere Sabi vor der Tür, um die versammelte Mannschaft zum Kart-Fahren abzuholen. Und sobald die Frankfurter die Karts erblicken, scheint auch bei ihnen jede Müdigkeit vergessen und die Ersten schwingen sich behände (und mit so viel Restalkohol im Blut, dass richtiges Autofahren überhaupt nicht cool wäre) in die kleinen Flitzer. Es wird ein richtiger Wettbewerb ausgetragen, dessen Methodik sich mir bis zum Ende nicht richtig erschließt, dennoch freue ich mich für Stefan, den Erstplatzierten, der sich den Sieg durch das Organisieren der Reise auch redlich verdient hat.
14.30 Uhr
Danach geht es zu einem weiteren oder vielleicht DEM Highlight des Trips: Dem Fallschirmsprung des zukünftigen Bräutigams. Wohlweislich haben seine Freunde Christian noch nichts von dieser Special-Aktion erzählt. (Ähnlich lief es übrigens Freitagmorgen in Frankfurt ab: Christian fuhr ganz normal zur Arbeit und erschreckte sich beinahe zu Tode, als plötzlich Stefan aus dem Kofferraum des Wagens sprang und verkündete, er müsse jetzt rumdrehen und Koffer packen, es gehe in den Urlaub. Erst beim Boarding erfuhr er, wohin seine Freunde ihn verschleppen.)
Am Flugplatz angekommen hält sich Christians Begeisterung vorerst sehr in Grenzen. Und sinkt noch mehr, falls das überhaupt möglich ist, als er mit seiner Unterschrift versichern muss, dass er völlig gesund ist, es ihm gerade im Moment gut geht und er in den letzten 12 Stunden keine Drogen oder Alkohol konsumiert hat. Während die anderen sich also gemütlich mit Reparaturbier auf die Wiese setzen und sich mit original ungarischen Sonnenbränden eindecken, schlüpft Christian in die Tandem-Montur, verabschiedet sich tapfer und besteigt den Flieger. Eine knappe halbe Stunde später gleitet der Bräutigam unter tosendem Beifall zu Boden. Noch etwas zittrig wird Aufstellung zum Gruppenfoto genommen. Noch mehr Bier muss her. Es geht auch schließlich schon wieder auf den Abend zu.
21.00 Uhr
Bevor es wieder in Richtung Partymeile geht, steht allerdings noch ein anderer Programmpunkt an: All-you-can-eat-(and, Überraschung, drink)-BBQ in einem ziemlich schicken und bekannten Grillrestaurant. Zu diesem Zwecke hat die Gruppe sich noch einmal richtig in Schale geworfen und lässt sich Steak und Rippchen in schwarzen Hemden mit pinken Krawatten schmecken. Christian darf sich als Hauptperson sogar ein pinkes Hemd stehen lassen. Ich fühle mich kurz an JGA-Shirts erinnert, räume aber gedanklich ein, dass die Frankfurter das schon ein bisschen cooler umgesetzt haben.
22.45 Uhr
Nach dem Essen steht ein schwarzer Hummer vor dem Restaurant bereit, um die Meute eine Stunde durch Budapest zu kutschieren. Diesmal mit ein bisschen mehr Umdrehungen in den Flaschen als der Champagner von gestern. Bereits nach wenigen Minuten singen, hüpfen und feiern die Frankfurter, als gebe es kein morgen. Was in gewisser Weise auch stimmt, denn morgen gibt es kein festes Programm mehr, der Tag steht zur freien Verfügung, was in den meisten Fällen wohl ausnüchtern bedeutet. (Ich habe allerdings gerüchteweise gehört, zwei besonders zähe Kameraden hätten Sonntag noch privat an einer Stadtführung teilgenommen.)
Sabi, die mittlerweile ein wenig erschöpft wirkt, und der Fahrer bleiben während der gesamten Fahrt cool und lassen die Frankfurter toben, so viel sie wollen. Auf meine Frage, ob sie Schlimmeres gewohnt ist, grinst Sabi nur und nippt an ihrem Drink. „So lange sie lieb dabei sind, ist alles in Ordnung. Und das ist ja hier gegeben: Es ist eine tolle Gruppe, sie feiern alle hart, sind aber trotzdem höflich und merken, wann es nicht mehr lustig ist.”
0.15 Uhr
Diesmal ist vor dem Rio Endstation. Bevor sich alle ins Getümmel stürzen, muss allerdings noch ein Schwur geleistet werden, den einer der Frankfurter aus den Namen seiner Kumpels gedichtet hat und der mit den Worten endet:
„ Denn_is ist ja so: Nur wenn ich das Matze, bzw. Maximum aus meinem Körper heraushole, wird es zwar nicht klug, aber geil!”
Nachdem feierlich mit Hand auf dem Herzen geschworen wurde, stürmt die Truppe auch diesen Club: Es gibt keinerlei Probleme am Einlass, in Rekordzeit haben sich alle am Tisch versammelt, um die erste Flasche zu leeren, und lassen es, frei nach dem obigen Motto, nochmal richtig krachen. Nach der Inklusive-Flasche folgen noch einige mehr und Kassenwart Stefan erklärt mir, dass er heute morgen noch einmal Geld eingesammelt hat, da die 600 Euro irgendwie nur für den Abend gestern gereicht haben. Das sei eigentlich anders geplant gewesen, aber YOLO.
MUNCHIES: Das trinkt man eigentlich am Balkan
An diesem Abend halte ich nicht mal ansatzweise so lange durch wie Sabi und die feierwütigen Frankfurter. Auf dem Heimweg lasse ich das Wochenende noch einmal Revue passieren und komme zu dem Schluss, das Crazy JGA sich wirklich ein schlaues Konzept hat einfallen lassen: Die Aktionen haben (fast) allen Spaß gemacht und die Nächte waren scheinbar so ausschweifend, dass in dem Schwur von vorhin auch folgende Passage vorkam:
„Alle verbotenen sowie grenzwertigen Handlungen, die in Budapest passieren, bleiben in Budapest.”
Das wirklich herausragend Praktische an dieser Art zu Reisen, ist jedoch, dass man sich vor Ort um so gut wie nichts kümmern muss. Erwachsene Männer können sich ein ganzes Wochenende lang wie betrunkene Babys treiben lassen, weil der Guide sie mutti-like an die Hand nimmt und aufpasst, dass sie sich nicht verlaufen, abgezockt werden oder sich, wie in Hostel, plötzlich in einem alten Fabrikkeller wiederfinden, in dem merkwürdigen Sachen vor sich gehen.