Bevor ich beschloss, ein Badezimmer öffentlich als WG-Platz anzubieten, hatte ich am Berliner Mietmarkt selbst einiges durchgemacht. Bei meiner letzten Wohnungsbesichtigung im Neuköllner Schillerkiez konnte ich bereits von der Eingangstür aus alle vier Ecken der Wohnung sehen. Es war so eng, dass mein Partner und ich die Räume abwechselnd besichtigen mussten. Keine Tür ließ sich öffnen, ohne gegen hässlich-klobige Möbel zu stoßen.
“Die Mindestmietdauer beträgt fünf Jahre. Die Möbel bleiben. Keine nächtlichen Besuche. Meine beste Freundin lebt über euch, damit sie ein Auge auf alles haben kann”, sagte die Vermieterin. Geil. 1.000 Euro im Monat für ein Gefängnis vollgestopft mit 70er-Jahre-Schränken und der Wächterin direkt oben drüber. Wir versuchten, etwas am Preis zu drehen. Keine Chance. Angesichts des derzeitigen Wohnungsmarkts saß die Frau eindeutig am längeren Hebel. Und diese Besichtigung war keine Ausnahme.
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Der trostlosen Lage am Berliner Mietmarkt wollte ich mit einer humorvollen Fake-Anzeige begegnen
Dank Corona müssen wir zwar nicht länger in einem Meer aus 50 Bewerberinnen gleichzeitig um die Aufmerksamkeit von Wohnungsverwalterinnen und Maklern buhlen. Aber die Alternative fühlt sich noch hoffnungsloser an. Per Online-Kontaktform müssen wir uns neben Hunderten – manchmal Tausenden – anderen Suchenden als würdig erweisen. Die Wohnungssuche in Berlin ist in der Pandemie wortwörtlich zu einem Vollzeitjob geworden.
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Ein wichtiger Ratschlag von denen, die es geschafft haben, lautet: “Antworte innerhalb der ersten zehn Minuten oder du wirst gar nicht erst zur Besichtigung eingeladen.” Also stelle ich auf meinem Handy einen Zehn-Minuten-Timer auf Repeat ein, in dessen Rhythmus ich immer wieder meine acht Tabs – von ImmoScout bis Kleinanzeigen – aktualisiere, in der Hoffnung folgende drei Wörter zu sehen: “Online: 2 Minuten.” Aber Moment? Der Typ will 7.000 Euro für Renovierungsarbeiten, die er vor zehn Jahren in seiner Küche durchgeführt hat? Leider wird er jemanden finden, der das mitmacht. Bei der Wohnungssuche in Berlin konkurrierst du mit Menschen, die zu nahezu allem bereit sind, um ein Dach über den Kopf zu kriegen. Wenn es nicht die Renovierungskosten sind, musst du dich gegen das Yuppie-Pärchen durchsetzen, das bereit ist, dem Vermieter 10.000 Euro nur für die Zusage zu geben.
Nach acht Monaten Wohnungssuche – und aktuell etwa 18 Tage von der Obdachlosigkeit entfernt – traf ich mich mit meiner Freundin Marina auf einen Drink. Ich erzählte ihr von einer Wohnungsanzeige aus derselben Woche, auf die 650 Menschen innerhalb von 90 Minuten geantwortet hatten. Drei Pfeffi später begannen wir darüber Witze zu machen, wie weit Vermieter die verzweifelten Menschen in Berlin treiben können. “Würdest du in einem Badezimmer wohnen?”, war die Frage des Abends. Wir fingen an, uns verschiedene Szenarien auszumalen. “Was wäre, wenn du das Badezimmer jeden Morgen verlassen musst, damit der Rest der WG duschen kann?” Was wäre, wenn man all diese, für sich genommen gar nicht so unrealistischen Hürden in einer einzigen fiesen Anzeige kombinieren würde? Würden die Leute darauf anspringen?
Das war ein Fall für April Castello. April ist mein Facebook-Zweitaccount, mit dem ich vor allem anonym in Facebook-Gruppen poste, um nicht mit Nachrichten von Creeps überhäuft zu werden. Ich öffnete die erste Berliner Wohnungsgruppe, die ich finden konnte, und begann, die inzwischen berühmte Anzeige zu erstellen. Nicht, um mich über andere Leute lustig zu machen, sondern um dem deprimierenden Mietmarkt wenigsten Humor entgegenzusetzen.
Bei der Anzeige achtete ich darauf, behutsam auf der feinen Linie zwischen dem Realistischen und Satirischen zu balancieren. Ein Hund als Mitbewohner? Bisschen zu einfach. Ein dreibeiniger Hund mit Menschen-Namen? So was denkt sich niemand aus. Das Ganze garnierte ich mit einem Preis, der unverschämt aber nicht ungewöhnlich war – 100 Euro pro Woche für einen Schlafplatz in einem Badezimmer –, und den drei Worten, die alle Wohnungssuchenden in Berlin fürchten: “Anmeldung nicht möglich.” Ein rundum grauenvolles Angebot. Perfekt.
Aber als ich den Post am 20.Oktober veröffentlichte, passierte erstmal nichts – der Post bekam noch nicht mal eine “ha ha”-Reaktion. Hatte ich den Bogen vielleicht überspannt? Aber gut, wer steht in Berlin schon um 6:30 Uhr auf? Dann kamen die ersten Kommentare. Die Menschen waren entsetzt – zurecht. Und sie verbündeten sich, damit die Anzeige auf keinen Fall ihren Weg zu jenen finden würde, die verzweifelt genug waren, darauf einzugehen. Kaum jemand verstand die Anzeige als Satire, dafür überlegten um so mehr, wie man die WG den Behörden melden kann.
Anfragen von Journalisten und Todesdrohungen
Zwischen der ganzen Wut und der Fassungslosigkeit – und dem Running-Gag, dass das ein “scheiß Zimmer” sei – begannen die Menschen, Anekdoten über andere ähnlich unfassbare Anzeigen zu teilen, die sie in der Vergangenheit gesehen hatten. “Das ist noch lustiger als das Zelt auf dem Balkon”, schrieb ein User und spielte damit auf einen viralen Post von 2018 an, in dem jemand seinen Balkon in Berlin-Mitte für 260 Euro im Monat als Zeltplatz angeboten hatte.
Es dauerte nicht lange und der Post wurde entfernt, weil April dafür gemeldet worden war, Jodi – so hatte ich den Hund getauft – online zu verkaufen. Die zwei Stunden hatten aber gereicht, um ihre Inbox mit Anfragen von Journalisten und Todesdrohungen zu füllen. Die meisten der etwa 30 Nachrichten kamen allerdings von Menschen, die versuchten, an mehr Informationen zu kommen, um gegen die WG vorgehen zu können. Eine richtige Facebook-Ermittlung setzte sich in Gang. Die Leute schauten sich Aprils andere Posts und Kommentare in anderen Gruppen an, um Details über ihre Person herauszufinden. Ein Instagram-Meme-Account, bei dem die Anzeige Über 19.000 Likes sammelte, verkündete nach einiger Recherche, dass sie echt sei. Auch wenn das – zum Glück – nicht stimmt. Schnell deaktivierte ich den Account. Aber ich war überwältigt davon, wie sehr sich Berlin dagegen wehrte, ein neues San Francisco zu werden.
#bathroomgate war eigentlich dazu gedacht, um gemeinsam über unsere verzweifelte Lage zu lachen. In der Realität ist die Krise des Berliner Wohnungsmarkts aber so schlimm, dass sich die Vermietung eines Badezimmers – mit Schlafplatz für deine bessere Hälfte in der Wanne – tatsächlich im Rahmen des Möglichen bewegt. Berlin befindet sich gerade auf dem besten Weg, zum gleichen Mieter-Albtraum wie London oder New York zu werden.
Ein Teil von mir wollte, dass die Menschen wütend sind. Zum Glück gibt es keine April Castello, die in ihrer Neuköllner WG ein Badezimmer vermietet, aber leider ist sie nicht weit von der Wirklichkeit entfernt.
Um herauszufinden, ob es sich um eine echte Anzeige handelt, hatte VICE den Facebook-Account von “April Castello” kontaktiert. Daraufhin antwortete Georgia Sheales über denselben Account und willigte ein, die Beweggründe für ihre Fake-Anzeige zu erzählen.