Wenn man bei Tinder jedes Match sofort nach einem One Night Stand fragt, bekommt man wohl weniger Körbe als ich am Donnerstag Abend. Ich war auf der Suche nach Hamburger Fans, die sich bereit erklärten, mit mir ein paar Worte über ihren HSV zu wechseln. Ob es an der nordischen Zurückhaltung, der von der Mannschaft bis in die Fanreihen getragenen Unsicherheit oder einfach dem generellen Misstrauen gegenüber Journalisten liegt—ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass fast niemand mit mir reden wollte. Aber wen wundert das auch? Die ganze Republik drückt die Daumen—fleht eigentlich schon—, dass der unabsteigbare HSV endlich in die zweite Liga geht. Diverse Medien versuchen Gerüchten zu Folge schon die TV-Rechte für den Abbau der Bundesliga-Uhr zu erwerben und niemand weiß eigentlich, wie der HSV dann doch noch Freiburg und Paderborn hinter sich lassen konnte.
Die Weichen für einen Abstieg wurden in den letzten Jahren rigoros vom Verein selbst gestellt. Nach dem Fast-Abstieg in der letztjährigen Relegation, der nicht knapper und weniger schmeichelhaft hätte ausfallen können, wollte der Verein es dieses Jahr nochmal darauf anlegen. Vier Trainer wurden verschlissen, die Spieler trieben ihre Marktwerte gar systematisch in den Keller und die gescholtene Hamburger Fanseele wurde beinah täglich mit unterirdischen Leistungen und teuren Vorstandsentscheidungen aufs Neue vergewaltigt. Hört sich schlimm an. Doch der Hamburger Fan ist Seemann und da scheut niemand die raue See und schon gar nicht geht er vorher von Bord. Was wie Treue für den einen wirkt, ist für die ganze Liga nervende Arroganz und Überheblichkeit. Wir waren beim Hinspiel in der Relegation gegen Karlsruhe und wollten wissen, was die HSV-Fans eigentlich davon halten, dass die gesamte Liga die Uhr abhängen will.
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VICE Sports: Wann steigt ihr denn jetzt endlich ab?
Daniel: Die zweite Liga steht jetzt gar nicht mehr zur Debatte—Wir bleiben auf jeden Fall in der ersten Liga.
Warum bist du dir da so sicher—ihr spielt ja eigentlich schon richtig scheisse?
Daniel: Ich glaube, es ist kein Vorteil, dass Karlsruhe ein Zweitligist ist. Doch ich denke, die Mannschaft hat sich jetzt gerade nach den letzten Erlebnissen gefangen.
Wie soll das denn weitergehen nächste Saison?
Flo: Ich denke Labbadia wird eine neue Ära prägen. Ich war zwar erst sehr skeptisch als ich von seiner Verpflichtung gehört habe, aber ich denke, er will und er kann, das hört man und das sieht man auch der Mannschaft an.
Der hat doch schon mal eine Ära prägen wollen—warum soll es denn jetzt klappen?
Flo: Damals waren einige Geschichten—ob sie jetzt wahr sind oder nicht—mit den Spielerfrauen. Das ist mir auch scheißegal, weil der Moment momentan zählt. Scheiss drauf’, wir ficken Karlsruhe und dann geht es nächste Saison weiter Richtung UEFA-Pokal.
Ich sehe schon ihr seid schon länger raus—das heißt mittlerweile Europa League. Wird ernsthaft jetzt schon vom internationalen Geschäft geträumt?
Flo: Nein, nein um Gottes Willen (lacht). Das ist Euphorie, wichtig sind die beiden Spiele gegen Karlsruhe und dann werden wir sehen, wie es weiter geht.
Wie soll es denn weitergehen?
Daniel: In fünf Jahren spielen wir wieder um die deutsche Meisterschaft mit.
Das ist doch diese Arroganz, die am HSV gehasst wird…
Daniel: Ich find uns nicht unbedingt arrogant. Alle hassen uns, weil wir die Einzigen sind, die noch einen richtigen Rekord haben neben den Bayern. Und die Bayern sind auch der Grund, wieso wir überhaupt erst in der Lage stecken.
Wieso?
Daniel: Weil Bayern gegen Freiburg verloren hat.
Aber Freiburg ist doch sogar noch hinter euch gelandet. Meint ihr nicht, dass ihr selber Schuld seid?
Daniel: Wir sind auch selber Schuld, aber egal, wir mögen die Bayern einfach nicht.
Ihr spielt verunsichert, katastrophal und euer Glück ist auch endgültig aufgebraucht! Warum sollte der Dino nicht absteigen?
Sascha: Er steigt niemals ab, weil wie du eben schon gesagt hast: Wir sind der Dino!
Inwieweit gehört denn die Dino-Identität zum Verein?
Was heißt „zum Verein”? Diese Identität gehört zur ganzen Bundesliga. Wir sind einer der größten Traditionsvereine der Republik.
Davon kann man sich sportlich erst mal wenig von kaufen. Was muss sich beim Verein ändern?
HSV Plus muss sich ändern.
Die Ausgliederung der Profiabteilung ist dir also ein Dorn im Auge?
Ja, ich bin Mitglied und ich habe dagegen gestimmt. Der Verein verliert sonst seine Identität.
Da sind wir wieder beim Dino. Gibt überhaupt irgendein Erfolgsrezept für die Relegationsspiele?
Sebastian: Gute Frage, aber da gibt es leider keins. Beten vielleicht und auf Gott hoffen. Wir können sowieso nur saufen und die Mannschaft nach vorne peitschen.
Sascha: Auf jeden Fall Stimmung machen und supporten bis zum Ende.
Was bedeutet der HSV für euch?
Sascha: Alles. Fußball und der HSV sind unser Leben. Das ist nicht nur einmal am Wochenende, sondern 365 Tage im Jahr.
Für die Profis scheint das anders zu sein.
Sascha: Das ist reine Arbeitsverweigerung. Wissen die eigentlich, wie wir leiden? Wir sind enttäuscht und geben unser ganzes Geld und unsere ganze Zeit für den Verein her. Und die verpissen sich, sobald wir absteigen.
Was kann man da ändern?
Sascha: Die sollten mal nach Leistung bezahlt werden und nicht sofort die Millionen kassieren, die Wichser. Vielleicht eine Torprämie, damit sie mal ins Tor treffen.
Sebastian: So jetzt Schluss hier—Scheiß Karlsruhe!
Ist es für dich momentan die härteste Zeit als HSV-Fan, die du je hattest?
Mike: Die Spekulationen um einen Abstieg waren und sind natürlich in den letzten Wochen und Monaten sehr hoch. Egal, ob auf der Arbeit, zu Hause, bei Freunden oder selbst wenn du beim Einkaufen bist. Jeder spricht mich an, weil ich mit Leib und Seele dabei bin und ich habe mich sehr sehr schwer getan eine Prognose abzugeben. Wir haben die Fehler nicht in den letzten zehn Spielen gemacht, sondern die Fehler wurden in den letzten Jahren gemacht. Verantwortlich sind Vorstand, Präsidium, schlechte Transfers und junge Spieler, die man zu früh hat ziehen lassen.
Es braucht also neue Spieler und neue Funktionäre?
Ich bin definitiv für einen Neuanfang, aber mit dem alten Kader und in der ersten Liga.
Das ist ja keine große Änderung. Wieso sollte es der alte Kader denn nächste Saison besser machen als in den letzten zwei Spielzeiten, die in der Relegation endeten?
Wir wollen es einfach nochmal mit den Jungs versuchen. Natürlich mit ein oder zwei Neuzugängen, weil auch ein paar Spieler den Verein verlassen werden beziehungsweise ihr Vertrag ausläuft und andere Spieler einfach zu alt sind und ihre Leistung nicht mehr bringen. Wir haben zudem viele junge Profis von der U23 im Kader, die Zinnbauer schon an die Bundesliga zum Beispiel gegen die Bayern herangeführt hat. Die werden es richten.
Gegen Bayern gab es dann eine 0-8 Klatsche.
Ja, man ist da gut- und blauäugig hineingelaufen, aber die Ansätze sind da. Ein van der Vaart hat den Verein im Herzen drin, wir ihn auch, aber er soll jetzt woanders sein Glück finden und Platz machen für junge Leute.
Muss sich denn in der Führung was ändern? Immerhin ist der Vorstand des HSV sehr mächtig und hat auch viele Mitglieder.
Definitiv. Zu viele Köche verderben den Brei—das ist ja bekannt. In den letzten Spielzeiten waren einfach viel zu viele Leute am Werk. Ich denke, dass wir jetzt mit Beiersdorfer einen kompetenten Mann haben. Vielleicht auch mit Knäbel, aber der ist eher ein Wackelkandidat.
Trotz dieser ganzen Querelen steht die Stadt hinter dem Verein. Was macht den HSV aus?
Du siehst doch was hier abgeht und wie voll die Hütte ist. Die Fans lassen den Verein nicht im Stich und kommen alle voller Tatendrang nach der Arbeit hierher. 57.000 haben in wenigen Stunden die Tickets vergriffen.
Was ist, wenn ihr doch absteigt?
Wir werden nicht absteigen. Definitiv nicht.
Uli Hoeneß hat mal gesagt, dass langfristig nur der HSV dem FC Bayern und seiner Souveränität gefährlich werden kann, weil hier das Umfeld mit attraktiver und reicher Stadt und großem Verein stimmt. Warum läuft es denn nicht?
Adolf: Ich gehe seit 45 Jahren zum HSV. Es haben alle schon versucht bei uns – selbst Uwe Seeler. Aber es heißt immer die Stadt Hamburg und der HSV haben Geld, aber woher kommt denn das Geld? Die Bayern machen es clever und haben Geld. Wolfsburg hat es auch geschafft einen Sponsor zu finden. Aber bei uns gibt ein Kühne mal 20 Millionen und will das auch noch zurück haben.
Edith: Der Aufsichtsrat hat sich verändert, der Vorstand hat sich verändert, es sind neue Spieler da und es waren viele Trainer da. Wir hatten nur keine anderen Fans, aber daran kann es ja auch nicht liegen.
Kann das dieses Jahr in der Relegation eigentlich klappen, schließlich ist der neue Trainer ein alter Trainer?
Edith: Ich glaube, da kommen wir wieder auf die Fans zu sprechen, denn die haben sich weiterentwickelt. Sie haben die Mannschaft in den letzten Wochen nach vorne gepeitscht. Mag sein, dass Labbadia einen größeren Glauben als die anderen Trainer hatte, dass der HSV nicht absteigt.
Adolf: Als Labbadia zum ersten mal in Hamburg war, da hatte er ganz beschissene Karten. Er war Trainer und Manager zusammen und er konnte diese zwei Posten einfach nicht ausfüllen.
Waren die Karten kurz vor Ende der Saison auf einem Abstiegsplatz nicht noch beschissener?
Adolf: Nee, er ist ja ein guter Mann. Er weiß es, die Mannschaft nach vorne zu bringen. Die Jungs laufen mehr und das Spiel ist schneller geworden. Aber wenn die Jungs die Bälle nicht reinhauen, dann kann er auch nur wenig machen.
Der Verein quält sich mit seinen Leistungen aber nur selber und ganz Deutschland will den HSV in der zweiten Liga sehen. Würde ein Abstieg dem Verein nicht gut tun?
Adolf: Nein überhaupt nicht. Die ganze Stadt und das ganze Umfeld des Vereins würden darunter leiden.
Edith: Viele meinen, dass der HSV es mal verdient hätte. Aber ich frage dann immer: Wer ist denn der HSV? Die Leute meinen damit die Spieler. Aber die Spieler sind ja am schnellsten wieder weg. Der Rest sind die Fans, die Stadt und der ganze Zusammenhalt. Das, was den HSV ausmacht sind nicht die Spieler, sondern alle Leute, die da drumherum sind. Hat mal einer von denen überlegt, wie viele Leute da arbeiten? Diese Menschen arbeiten genau so hart, wie immer schon und die haben es nicht verdient, dass der HSV absteigt.
Wie viel Dino-Identität steckt im HSV?
Adolf: Ein Dino lebt ja 1000 Jahre. Der kann nicht absteigen.
Edith: Eine Millionen Jahre lebt ein Dino.
Nächste Saison gibt es also immer noch einen Dino in der Bundesliga?
Adolf: Natürlich, einmal Dino immer Dino.
Seit wann gehst du zum HSV?
Stephen: Seit 1989 bin ich im Stadion.
Also hast du noch keinen Pokal miterlebt?
Nee, nur die Papierkugel gegen Werder, sonst nichts. Aber immerhin etwas.
Du bist schon länger dabei—wie viel Dino steckt denn im Verein?
Wenn du nicht das Plüschmaskottchen meinst, sondern die Zugehörigkeit in der Liga, dann würde ich sagen 100 Prozent.
Es gehört zur Identität?
Die Fans sind die Identität des Vereins.
Euch wird ein Abstieg gegönnt, weil die Fans so arrogant sind.
Nicht die Fans, das ist der Verein. Der Fisch stinkt immer vom Kopf. Die Fans stehen hinter dem Verein, aber die Führung sollte nach einem zweiten Fast-Abstieg mal überdenken, dass sich da was ändern sollte!
Meinst du, da wird irgendwann denn überhaupt mal was überdacht?
Es ist gerade eine Überdenkungsphase dabei, aber es ist halt schwierig, während der laufen Saison was zu ändern mit vier Trainerwechseln. Da ist es schwer, dass die Veränderung auch greift. Veränderung braucht immer Zeit.
Wie viel Zeit habt ihr denn noch?
So viel Zeit, wie wir uns geben. Wenn wir nicht absteigen, dann sollte das genug des Anstoßes sein, dass sich endlich was verändert. Und es muss geschehen und darf nicht nur darüber nachgedacht werden.
Warum ist Bayern da oben und der HSV da unten—Uli Hoeneß hat doch mal gesagt, dass nur Hamburg dem Rekordmeister langfristig gefährlich werden kann?
Der Unterschied zum FC Bayern ist, dass sie in den letzten 20-30 Jahren sukzessive Eigengewächse mit Stallgeruch hochgezogen haben, die dann das Gesicht des Vereins geprägt haben. Diese Leute haben den Verein immer weiterentwickelt. Beim HSV hatte man die Möglichkeiten, aber in den letzten 20 Jahren kamen immer irgendwelche komischen Leute zum Verein, die eigentlich Wirtschaftsleute sind und nicht vom Verein kommen.
Ihr spielt zum zweiten Mal in Folge in der Relegation—Was läuft bei euch schief?
Bieber: Es läuft nichts schief! Wir sind so besonders, dass wir der Meinung sind, dass wir zwei Mal in der Relegation Fußball spielen müssen. Spaß beiseite. Vieles ist schief gelaufen—nicht nur in den letzten zwei Jahren, sondern in den letzten zehn Jahren. Das geht beim Management los, über Fehlausgaben, Trainer- und Sportdirektorenverschleiß bis hin zum fehlenden homogenen Team.
Aber ihr fühlt euch schon sehr besonders und seid ein bisschen arrogant, oder?
Gegenfrage: Wie viele Vereine haben eine Uhr im Stadion, die die Bundesligazughörigkeit anzeigt? Das, was von anderen Fans kommt, ist einerseits der Neid und sicherlich liegt es auch an unserer Hamburger Arroganz, aber das nehme ich gerne in Kauf. Wir sind halt was besonderes und lassen es raushängen.
Warum macht ihr aus dem Standort, den Fans, dem Verein und dem Stadion nichts?
Muss ich in sofern widersprechen, weil bis zum letzten Jahr zu viele Leute da oben am Werk waren und jeder wollte was anderes aus dem Verein machen. Wir sind seit einem Jahr jetzt eine AG und es passiert viel im Unterbau und das wird erst in den nächsten Jahren Früchte tragen. Sollten wir es jetzt schaffen, die Liga zu halten, dann wird vieles erkennbar sein. Geld ist da, aber es wird an den falschen Stellen ausgegeben. Die Macht muss einfach mal verteilt werden.
Wenn ihr absteigt, dann wird die Uhr abgehängt und für ganz Hamburg bricht eine Welt zusammen?
Für 80 Prozent der Fans würde eine Welt zusammen brechen. Aber ich glaube, ein Abstieg wäre auch gut, denn es wäre endlich diese Last des Dinos nicht mehr da. Es ist ein schönes Statussymbol, aber es ist eben eine Last, mit der wir uns herumschlagen müssen.
Schafft ihr es denn?
Wir bleiben in der Liga und in fünf Jahren reden wir dann auch wieder über Europa!
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