Es passiert in der Doppelstunde Mathematik oder beim Abendessen mit der Familie. Wenn Langeweile aufkommt, greift man gerne reflexhaft zum Smartphone und zockt. Beim heimlichen Spielen am Handy ertappt zu werden, ist schon als Heranwachsender unschön.
Je weiter man im Leben kommt, desto unangenehmer wird es vermutlich. So meint man, im Gesichtsausdruck des österreichischen Kanzlers Sebastian Kurz ein Schuldeingeständnis zu lesen, als ihn der SPÖ-Abgeordnete Jörg Leichtfried im österreichischen Parlament neulich genüsslich fragte: “Ist das Candy Crush, Herr Bundeskanzler?”
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Wir wollten wissen, wie verbreitet Handy-Daddeln im Parlament ist. Und haben bei Abgeordneten des Deutschen Bundestages nachgefragt, was sie im Plenum mit ihrem Smartphone anstellen.
VICE: Wann haben Sie das letzte Mal bei einer Bundestagsdebatte auf dem Handy gezockt?
Fabio De Masi (Die Linke): Ich habe mal ausnahmsweise im Plenarsaal Subway Surfers gespielt, wo man als Graffitisprüher über fahrende Züge springen muss. Ich bin aber nicht so der Zockertyp. Wahrscheinlich, weil ich sehr schnell frustriert bin, wenn ich bei einem Spiel verliere.
Mein Sohn installiert manchmal Apps auf meinem Handy und ich frage mich dann, woher die kommen. Das Spiel war zwar ganz lustig, aber so richtig verstanden habe ich es auf Anhieb nicht.
Markus Frohnmaier (AfD): Ich habe keine Spiele-Apps auf meinem iPhone. Dafür bin ich schon mal wie Herr Kurz vom Rednerpult angegangen worden, weil ich mich mit meinem Handy beschäftigt habe. Der Grünen-Abgeordnete Uwe Kekeritz sprach mich direkt an: Ich solle ihm zuhören, da könne ich noch etwas lernen.
Ich war aber gerade damit beschäftigt, meine Rede in den sozialen Netzwerken zu verbreiten. Einem Müsli-Grünen wie Herrn Kekeritz scheint es suspekt zu sein, dass das Smartphone für junge Abgeordnete das wichtigste Arbeitswerkzeug ist.
Josephine Ortleb (SPD): Ich spiele manchmal Candy Crush auf meinem iPad, aber nicht in der Plenarsitzung. Zum Abschalten auf Reisen ist das Spiel ideal, weil es wenig Hirnleistung erfordert, ein paar bunte Kugeln durch die Gegend zu schieben.
Erhard Grundl (Grüne): Ich habe noch nie in einer Sitzung am Handy gespielt. Aber nicht, weil ich ein besonders braver Abgeordneter bin. Ich spiele einfach nicht so gerne. Im Plenarsaal sollte die Aufmerksamkeit ohnehin bei den Rednern liegen. Wir Abgeordnete präsentieren uns der Öffentlichkeit und die Zuschauer wollen nicht nur unsere Scheitel sehen.
Philipp Amthor (CDU): Es klingt bestimmt furchtbar antiquiert, aber ich habe gar keine Spiele auf meinem iPhone. Als Kind und Jugendlicher habe ich zwar gern Computer gespielt – eine breite Range von Fußball- über Rollenspiele bis hin zu Call of Duty –, aber mittlerweile ist meine Freizeit dafür zu knapp. Selbst wenn ich mal für fünf Minuten abschalten wollte, hätte ich also gar keine App zum Spielen auf dem iPhone
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VICE: Welche Handy-Apps nutzen Sie während einer Debatte im Hohen Haus?
Ortleb: Ich checke alle paar Minuten meine Mails, schreibe aber auch Nachrichten über Telegram. Telegram nutze ich seit Kurzem, da viele meiner Kontakte nur noch über diesen verschlüsselten Dienst erreichbar sind. Ich glaube, dass sich jeder Abgeordnete in Plenardebatten ab und zu durch Artikel von Medien wie ZEIT Online klickt.
Grundl: Über mein Handy kommuniziere ich meistens mit meinen Mitarbeitern. Weil ich ein ziemlicher Newsjunkie bin, versorge ich mich mit der Berichterstattung von Spiegel Online bis zur taz. Als Mitglied des Sportausschusses muss ich außerdem checken, was das Fußballmagazin Kicker schreibt. Manchmal überprüfe ich mit meinem Smartphone auch, ob alles stimmt, was der Redner am Pult so erzählt.
De Masi: Ich habe mal die Apps auf meinem Handy gezählt, es sind 64. Im Plenarsaal benutze ich die wenigsten davon. Vor allem die Facebook- und Twitter-App, weil ich viele Anfragen von Bürgern in den sozialen Netzwerken persönlich beantworte. Wenn ich selber eine Rede im Bundestag halte oder es um meine Themen geht, lege ich das Smartphone für die gesamte Debatte zur Seite. Ich konzentriere mich dann, um auf die Argumente der vorigen Redner Bezug zu nehmen.
Frohnmaier: Auf meinem Smartphone läuft alles zusammen. Ich schreibe über den Messengerdienst Threema, um Aufgaben für meine Mitarbeiter zu koordinieren, erstelle Monatsrückblicke oder kümmere mich um meinen WhatsApp-Broadcast. Wenn ich meine Arbeit konsequent machen will, muss ich die Wähler ständig mit Updates versorgen.
De Masi: Muss ich etwas am Smartphone erledigen, setze ich mich deshalb bewusst in die letzten Reihen. Mir ist bewusst, dass sich die Leute vor dem Fernseher darüber aufregen. Aber nur weil ich Nachrichten am Handy abarbeite, bedeutet das nicht, dass ich nicht aufmerksam zuhören würde.
Ortleb: In Österreich nehmen Abgeordnete Laptops mit ins Parlament, was im Bundestag verboten ist. Das finde ich richtig, denn wer etwas am Laptop zu erledigen hat, sollte in sein Büro gehen. Ich persönlich besitze überhaupt keinen Laptop mehr, sondern arbeite nur noch am iPad.
VICE: In welchen Momenten ist die Versuchung am größten, sich mit dem Smartphone abzulenken, und wie vertreiben Sie sich die Zeit, wenn sich eine zähe Debatte bis in die Nacht zieht?
De Masi: Bei namentlichen Abstimmungen am späten Abend gibt es oftmals lange Wartezeiten, in denen Langeweile aufkommt. Die AfD besteht darauf, dass viele Redebeiträge, die früher zu Protokoll gegeben wurden, zu fortgeschrittener Stunde noch gehalten werden. In der AfD gibt es allerdings viele alte Säcke, denen ihre eigene Forderung zum Verhängnis wird, weil sie gar nicht so lange sitzen können. Ich will gar nicht wissen, was Gauland für Furunkel hat.
Ortleb: Die AfD tut gerne so, als würden sie sich besonders aufmerksam oder diszipliniert im Bundestag verhalten. Von meinem Platz als Schriftführerin habe ich alle Fraktionen genau im Blick. Und wenn ich Abgeordnete im Bundestag sehe, die im Plenum mit dem Handy telefonieren, kommen die meist von der AfD. Ich erinnere mich, dass Armin-Paul Hampel in der ersten Reihe über einen längeren Zeitraum telefoniert hat. Da ist für mich eine Grenze erreicht, weil der Redner aktiv gestört wird.
Amthor: Ich wurde auch schon mal im Plenarsaal von meinem Büro auf dem Handy angerufen. Das waren kurze Gespräche. Ich habe jetzt nicht am Telefon die Wochenendplanung mit meinen Freunden durchgesprochen. Aber Telefonate mit dem Handy sollte man vermeiden, weil auch das zugegebenermaßen nicht der beste Stil ist. Ich finde es wichtig, dass wir dem Parlament unseren Respekt erweisen. Was sollen die Zuschauer denken, wenn wir Abgeordnete das Parlament nicht für voll nehmen?
De Masi: In einer Nachtsitzung habe ich mal erlebt, dass ein Abgeordneter der SPD-Fraktion eingeschlafen ist. Als er zum Schnarchen ansetzte, haben seine Fraktionskollegen aber eingegriffen.
Frohnmaier: Natürlich gibt es Sitzungen, in denen man für kurze Zeit gedanklich abschweift. Wenn über den Rebhuhnbestand in Deutschland debattiert wird, interessiert mich das persönlich weniger. Oder die Rede vom Gegenüber nicht aus Argumenten, sondern aus Klugscheißereien und Belehrungen besteht. Da lenke ich mich auch mal ab und schaue bei Instagram, was meine Freunde gerade so machen.
Einmal habe ich aus Versehen ein Video mit Ton während einer Debatte angemacht. Natürlich wird man da von den Kollegen ernst angeschaut. Ich habe aber schnell reagiert und mein Handy auf lautlos gestellt. Es war also nicht so schlimm.
Grundl: Wenn sich die Argumente ewig wiederholen und der achte Redner das Gleiche sagt, kann es im Bundestag langweilig werden. Bei einem körperlichen Tief versuche ich, meinem Handy zu widerstehen, und gehe kurz raus, anstatt demonstrativ gelangweilt herumzusitzen.
Ortleb: Bei manchen Rednern der AfD hole ich extra mein Handy raus und höre absichtlich nicht zu. Schwafeln AfD-Abgeordnete wieder von ihrem rückschrittlichem Gesellschaftsbild, zeige ich gerne, dass ich gedanklich nicht dabei bin.
Amthor: Aus Trotz am Handy zu spielen, weil einem die Argumente der AfD nicht gefallen, ist wirklich eine unterkomplexe und kleingeistige Haltung. Man überzeugt keinen AfD-Wähler, indem man die Kollegen durch Nichtachtung straft. Dieses Verhalten liegt meiner Meinung nach unter dem Niveau eines Abgeordneten. Wenn man die AfD in die Schranken weisen will, dann sicher nicht mit stillosem Verhalten.
VICE: Wie fühlt es an, am Rednerpult zu stehen und Kollegen zu sehen, die auf kleine Bildschirme starren, anstatt Ihnen ins Gesicht zu schauen?
Grundl: Wenn ich am Rednerpult stehe und Abgeordnete ihr iPhone oder iPad bedienen, ist das für mich eher ein Ansporn. Dann muss ich beim nächsten Mal eben härter an meiner Rede arbeiten, damit sie das gesamte Plenum fesselt.
Ortleb: Als Rednerin bin ich überhaupt nicht beleidigt, wenn jemand kurz auf seinem Handy herumtippt, während ich gerade spreche. Ich tue es ja umgekehrt genauso. Die Anwesenheit bei Plenardebatten ist nur ein kleiner Teil unserer Arbeit. Der Bundestag ist ein Arbeitsparlament, in dem sich die entscheidende Arbeit im Schatten des Plenarsaals abspielt.
VICE: Nicht nur im Bundestag, sondern auch in der Universität oder bei der Arbeit greifen wir ständig zu unseren Smartphones. Bei welchen Anlässen ist es aus Ihrer Sicht besonders unangebracht, sich mit dem Handy zu beschäftigen?
De Masi: Als ich noch Abgeordneter im Europa-Parlament war, hielt Papst Franziskus eine Rede. Als der Papst den Saal betrat, haben alle ihr iPad rausgeholt und ihn fotografiert. Das fand ich sehr peinlich. Ich habe mich gefühlt, als ob ich mit meinem Sohn auf einem Rockkonzert gewesen wäre. Dass wir alle den ganzen Tag mit unseren Handys zu Gange sind, sehe ich grundsätzlich kritisch.
Amthor: Ich sehne mein Smartphone nicht immer herbei. Bei all den WhatsApp-Nachrichten und SMS, die ich nicht beantworten kann, bin ich froh, das Handy während einer Debatte weglegen zu können. Da ist es manchmal auch ganz angenehm, eine Papierakte in den Händen zu halten, anstatt alles am Smartphone zu regeln.
Frohnmaier: Ich sehe in der gesamten Gesellschaft die Gefahr, dass wir Menschen zur Geisel unseres Handys werden. Ich finde es bedenklich, wenn wir glauben, nicht mehr ohne Smartphones funktionieren zu können. Für meine Arbeit als Abgeordneter ist das Smartphone trotzdem unverzichtbar, auch im Plenarsaal.
Grundl: Grundsätzlich halte ich von wildem Smartphone-Getue in der Sitzung nichts. Egal, ob eine Sitzung bis 2 Uhr morgens dauert. Andere Arbeitnehmer können sich ja auch nicht dauernd mit ihrem Handy am Arbeitsplatz beschäftigen.
Ortleb: Ich würde sagen, dass die Abhängigkeit vom Smartphone unter Parlamentariern noch stärker ausgeprägt ist als in anderen Berufsfeldern. In Sitzungswochen halten wir uns bis zu neun Stunden im Plenum auf. Da schaut man vermutlich häufiger aufs Smartphone als andere Menschen in ihrem Alltag.
VICE: Obwohl Sie als Abgeordnete im Dauereinsatz sind und zwischen Hauptstadt und Wahlkreis pendeln, haben Sie ja auch manchmal Freizeit. Welche Apps verwenden Sie privat am liebsten?
De Masi: Meine Lieblingsapp heißt GarageBand. Da komponiere ich meine eigene Musik, allerdings außerhalb des Plenarsaals. Dafür ist GarageBand einfach zu laut.
Amthor: Grundsätzlich finde ich es ziemlich nervig, wenn Leute in Meetings oder Gesprächen alle zwei Minuten auf ihr Handy gucken. Vielleicht pflege ich auch deshalb einen restriktiven Umgang mit meinem iPhone.
Frohnmaier: In meiner Freizeit nutze ich die Amazon-App und schaue nach kleinen Gadgets für meinen eineinhalbjährigen Sohn. Letztens habe ich ihm eine Spielzeugbohrmaschine der Firma Bosch gekauft. Auf längeren Zugfahrten oder Flügen schaue ich Serien auf Amazon Prime oder Netflix.
Ortleb: Privat bin ich viel bei Instagram unterwegs. Die Foto-App ist ja inzwischen das soziale Medium, auf dem am meisten passiert. Ansonsten bin ich eher so der Netflix-Mensch.
Grundl: Ich besuche jeden Morgen, auch an Sitzungstagen, eine Fanseite des Musikers Bob Dylan.
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