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Auch Agenten benutzen Tinder—und es ist so unheimlich, wie es sich anhört

Offizier Willian Pina Botelho als „Balta” zusammen mit verhafteten Demonstranten. Ponte.org

Am 4. September plante eine Gruppe junger Aktivisten in São Paulo, an einer Demonstration gegen den brasilianischen Präsidenten Michel Temer teilzunehmen. Sie sollten den Ort der Kundgebung allerdings nie erreichen. Denn ihre Gruppe war zuvor von Offizier Willian Pina Botelho infiltriert worden—via Tinder.

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Die Überwachung und Infiltration sozialer Gruppen durch Geheimdienstmitarbeiter sind dabei beileibe nichts Neues. Allerdings machte die US-amerikanische Bürgerrechtsorganisation ACLU erst im Oktober mit einer Enthüllung deutlich, welches Ausmaß diese Praxis im Zeitalter der Digitalisierung und sozialen Online-Netzwerken angenommen hat: Mit Twitter, Instagram und Facebook haben gleich drei der weltweit größten Netzwerke Daten ihrer Nutzer mit dem Analyse-Tool Geofeedia geteilt. Dieses wird zumindest in den USA auch von Strafverfolgungsbehörden eingesetzt. In Brasilien hat der Geheimdienst nun anscheinend sogar Tinder für seine Zwecke entdeckt.

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Bereits 2013 brachten tausende Brasilianer ihren vielfältigen Unmut über die damalige Regierung auf die Straße. Die Polizei und das Militär gingen mit aller Härte gegen die Demonstranten vor. Botelho arbeitete zu dieser Zeit beim Nachrichtendienst der brasilianischen Armee. Im Dezember 2014 kreierte er ein Facebook-Profil unter dem Namen Baltazar Nunes. Auch bei Instagram und Tinder meldete er sich an. Er schmückte seine neuen Fake-Profile mit falschen Marx-Zitaten und Bildern von ihm mit Gitarre in der Hand. Der nette Aktivist von nebenan.

Das Tinder-Profil von “Balta.” Foto: Ponte.org

„Balta” wollte aber mehr, als nur zuschauen. Er schrieb Aktivisten an, von denen sich viele größtenteils online organisierten. Bei Tinder sagte er gegenüber Frauen, dass er auf der Suche nach „Linken” sei, zu denen er sich zugehörig fühlen könne. Schließlich war es dann auch eine Frau, mit der er auf Tinder geflirtet hatte, die ihn einlud, zum Treffen ihrer Gruppe mitzukommen. Botelho hatte den Treffpunkt selbst vorgeschlagen. Als die Aktivistengruppe am 4. September dort eintraf, um an der Demo teilzunehmen, wurden die Mitglieder stattdessen allesamt, inklusive „Balta”, verhaftet.

Sie wurden zu einer Sonderermittlungseinheit überführt, wo sie ohne Anwälte oder Kontakt zur Außenwelt festgehalten wurden, bis ein Richter dann ihre sofortige Freilassung anordnete. Doch lediglich „Balta” war sofort wieder auf freiem Fuß. Er behauptete später auf seinen Online-Kanälen, dass er sich mit einer Bestechung freigekauft hatte. Wenige Tage später wurde er dann von der Website Ponte.org öffentlich als Militäroffizier enttarnt. Obwohl die brasilianische Regierung weiterhin alles abstreitet, hat die Armee inzwischen bestätigt, dass Balta mit vollem Wissen von und in Kooperation mit der Regierung des Bundesstaats São Paulo operierte.

Wie skrupellos Geheimdienstagenten bisweilen intime Lebensbereiche infiltrieren, berichtete Umweltaktivistin Kate Wilson 2015 in einem Vortrag auf dem Chaos Computer Camp. Sie teilte ihr Leben sieben Jahre mit einem Mann, der später als der britische Geheimdienstspion Mark Kennedy enttarnt wurde. Ihre Geschichte verdeutlicht, dass Überwachung und Infiltration sich nicht nur technischer, sondern auch emotionaler, zwischenmenschlicher Mittel bedienen. Im Falle des Tinderspions Botelho kamen gleich beide Methoden zum Einsatz.