Auch Frauen können „dicke Eier“ kriegen

Seit Beginn der Pubertät haben wir uns immer wieder angehört, wie sich Männer über die Schmerzen und die Frustration beschwert haben, die es ihnen bereitet, wenn sie sexuell erregt sind, aber nicht kommen können. Meistens hieß es dann nur: „Wenn ich nicht komme, kriege ich dicke Eier.” Tatsache ist, dass es so etwas wirklich gibt, nur das es sic—wie sich herausgestellt hat—dabei um ein Phänomen handelt, dass nicht nur Männer kennen.

Angelehnt an den englischen Ausdruck „blue balls” (was dem deutschen „dicke Eier” am nächsten kommt, die hierzulande auch Kavaliers- oder Bräutigamsschmerzen genannt werden) ist man bei Frauen dazu übergegangen, von „pink balls” oder „blue walls” zu sprechen. Der medizinische Begriff dafür ist allerdings Vasokonstriktion, also die „Verengung der Blutgefäße durch kleine Muskeln in den Wänden.” Wie das amerikanische Online-Magazin Frisky berichtet, kann Vasokonstriktion bei jedem auftreten. Unabhängig vom Geschlecht strömt nämlich bei allen Menschen Blut in die Genitalien, wenn sie erregt sind. Der gesteigerte Blutfluss führt dazu, dass das Gewebe anschwillt. Folglich wird ein Penis hart und die Klitoris fängt an zu pochen. Deswegen kann es für Männer wie für Frauen gleichermaßen unangenehm werden, wenn sie nicht kommen können.

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„Bevor ich nicht gekommen bin, kann ich mich auf nichts mehr konzentrieren. Wenn ich also beim Sex nicht gekommen bin, kümmere ich mich normalerweise einfach selbst darum”, sagt Elyse, eine 30-jährige Frau, die bereits mit Pink Balls zu kämpfen hatte. „Das ist wirklich unangenehm. Außerdem fühlt sich unten herum meistens schon alles ganz wund und empfindlich an, wenn ich kurz davor bin, aber einfach nicht kommen kann.”

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Jeder, der schon mal eine Frau geleckt hat oder geleckt wurde, weiß, dass die Vagina einer Frau und folglich auch ihre Orgasmen äußerst empfindlich sind. Dass eine Frau zum Höhepunkt kommt, beruht auf dem komplexen Zusammenspiel zahlreicher Faktoren. Der richtige Winkel, die Art der Stimulation und die Stärke des Drucks unterscheiden sich meist aber auch von Frau zu Frau. „Wie eine Frau zum Höhepunkt kommt, variiert sehr viel stärker als unter Männern”, sagt Dr. med. Madeleine M. Castellanos, Sexualtherapeutin und Autorin. Diese Unterschiede führen auch dazu, dass es von Frau zu Frau unterschiedlich ist, wie und ob sie Pink Balls hat.

„Viele Frauen können stark sexuell stimuliert werden, ohne sich dabei unwohl zu fühlen, während wieder andere multiple Orgasmen haben und deswegen unter der Dusche stehen und kaltes Wasser über sich drüber laufen lassen, weil sie es so unangenehm finden”, sagt Dr. Castellanos. Frauen berichten auch von unterschiedlichen Formen von Schmerzen: Anne, 31, spricht beispielsweise von einem „dumpfen Unbehagen”, während sich Elyse an eine „Achterbahn der Gefühle” erinnert.

Je länger sich das Blut in den Schwellkörpern staut, desto höher ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass es irgendwann unangenehm wird

„Jede Empfindung baut auf der anderen auf. Wenn er aber aufhört oder die regelmäßigen Bewegungen aufhören, wenn ich kurz vorm Orgasmus bin, fühle ich mich wie ein wild gewordenes Tier und dieses Gefühl hört erst wieder auf, wenn ich gekommen bin”, sagt Elyse.

Das Gefühl von Pink Balls kann sich auch von einer zur anderen sexuellen Begegnung verändern. Dr. Castellanos sagt, dass das Ganze damit zusammenhängen könnte, wie die Klitoris der Frau stimuliert wird. „Frauen können beim einen Mal Kavaliersschmerzen haben und beim nächsten Mal wieder nicht so sehr”, sagt sie. „Es könnte also auch sein, dass es von der jeweiligen direkten Stimulation der Klitoris abhängt, ob das Gewebe ringsherum wirklich anschwillt oder ob sie nur erregt ist und Sex hat, das Gewebe aber gar nicht so stark durchblutet ist.” Je besser der Sex, desto eher hat eine Frau also auch das Bedürfnis zu kommen—und desto unangenehmer fühlt es sich auch an, wenn sie es nicht tut.

„Je länger sich das Blut in den Schwellkörpern staut, desto höher ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass es irgendwann unangenehm wird”, sagt Dr. Castellanos. „In der Regel kann sich die Schwellung zwar schnell wieder auflösen, bei manchen Frauen kann es aber auch mehrere Stunden dauern und das ist wirklich unangenehm.”

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Es ist kein Geheimnis, dass der männliche Orgasmus in der gesellschaftlichen Wahrnehmung Priorität gegenüber dem weiblichen hat, was einen Rattenschwanz an negativen Konsequenzen nach sich ziehen kann. „Ich glaube, dass die Sexualität von Frauen bis heute allgemein als weniger wichtig erachtet wird”, sagt Dr. Castellanos. „Die Leute denken nach wie vor, dass die Sexualität von Frauen zweitrangig ist. Das geht soweit, dass Leute glauben, die Sexualität von Frauen wäre überhaupt nicht so ausgeprägt.” Wenn wir von Pink Balls sprechen, dann beziehen wir uns damit explizit auf die körperlichen Gefühle und lassen die emotionalen Reaktionen von Frauen, deren sexuelle Bedürfnisse von Männern übergangen werden, bewusst aus. Einige Frauen haben aber auch einfach Schwierigkeiten, zum Höhepunkt zu kommen—eben weil sie einen unaufmerksamen Partner haben oder aufgrund einer sexuellen Dysfunktion beziehungsweise aufgrund ihrer Biologie.

Orgasmen sind etwas wundervolles und das Phänomen von Pink Balls ist echt, doch das Ziel von Sex muss nicht immer sein, dass man zum Höhepunkt kommt. „Es gibt viel, was Frauen Lust bereiten kann—es hängt nicht unbedingt immer davon ab, ob sie kommen oder in der Lage sind, multiple Orgasmen zu haben”, sagt Dr. Castellanos. „Statt sich auf ein Ziel zu konzentrieren, sollte man sich darauf konzentrieren, Spaß zu haben. Sehr zielorientierter Sex aktiviert den analytischen Teil unseres Gehirns.” Analysen sind aber was für Mathestunden und Datenanalysen und gehören nicht ins Schlafzimmer. Wenn man sich nur darauf konzentriert, zum Höhepunkt zu kommen, könnte das also genau das zur Folge haben, was wir alle vermeiden wollen: dicke Eier.