Auch überflutete Dörfer haben ein Recht auf ihre Kilbi—Bad Bonn Kilbi

Ich bin alt. Nicht Mick Jagger-alt, aber definitiv zu alt für Festivals. Ich finde es nicht geil, im Auto zu pennen und ab dem zweiten Tag Nackenstarre zu haben. Ich finde es scheisse, nachts 300 Meter laufen zu müssen, um auf einem verkackten Toitoi pinkeln zu gehen. Ich finde das Essen an Festivals in den meisten Fällen ungeniessbar—maßlos überteuert ist sowieso alles.

Dann nerven mich auch noch die Leute da. Vor allem Menschen, die sich „lustige” Kostüme anziehen und den anderen Besuchern mit Neocolor Herzchen auf den Bauch malen. Fand ich alles mal lustig, so mit 15. Mit diesem Hintergrund gehe ich an genau ein einziges Schweizer Festival: Die Bad Bonn Kilbi in Düdingen. Düdingen, WTF? Der kleine Ort liegt ziemlich genau zwischen Bern und Fribourg und besitzt mindestens einen Club mit regelmäßigen Konzerten. Um diesen Club herum findet die Bad Bonn Kilbi statt. Bad Bonn war früher einmal ein Städtchen, das dann vom Stausee überflutet wurde. Wenn man sich also nahe am Festivalgelände im See abkühlt, schwimmt man über alte Stallungen, Mühlen und Kirchen. Irgendwie romantisch, aber irgendwie auch etwas creepy.

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Zurück zu meinem mittlerweile ausgewachsenen Festival-Hass: Die Kilbi ist das alles wirklich, wirklich wert. Es gibt nur vier Food-Stände und an einem davon leckeren Falafel. Immerhin. Getränke sind teuer, wie überall, aber hier nahe am Röstigraben scheinen alle Leute so entspannt zu sein, dass die Kontrolleure am Einlass auch gerne mal beide Augen zudrücken, wenn man eine Bierflasche in der Hose reinschmuggelt. Die Dichte an Festival-Idioten ist so niedrig wie an christkatholischen Kirchweihfesten.

Das hat sicher damit zu tun, dass die Leute wirklich wegen der Musik ans Bad Bonn gehen. Selbst Cracks kennen den allergrössten Teil des Line-Ups nicht—und entdecken so immer wieder neue Perlen. Die Organisation holt zwar auch mal Sonic Youth an die Kilbi, aber dieses Jahr wurde auf Riesen-Headliner verzichtet, um den Charme zu erhalten. Ich habe mich also drei Tage von Fertigessen ernährt, in Embryo-Stellung in einem kleinen Peugeot gepennt und mich mit Katzenwäsche sauber gehalten.

JUNGLE

Jungle aus London machen World Music für Stadtkinder. Die sieben Bandmitglieder verfüttern Gelée Royale von der Bühne. In deinen Ohren wird es zu kaleidoskopischem, rhythmischem, funky Honig. Die Briten haben auf der Noisey Launch Party in Wien gespielt und es auf die BBC List Of Sound 2014 geschafft, ohne überhaupt eine Bühne betreten zu haben—nur mit den Videos zu den Singles „The Heat” und „Platoon”.

Du magst Jungle: Wenn du dir ein Comeback der Disco wünschst und heimlich Papageien hältst.

Aktuelles Album: „Jungle” (noch nicht erschienen)

NADINE SHAH

Die britische Singer-Songwriterin… (Keine Angst! Es folgt keine Klischeebombe aus akustischer Gitarrenmusik!) Nadine Shah hat einiges mehr auf dem Kasten als viele Girlies (und auch Jungs), die uns momentan als neue Helden des Singer-Songwritings verkauft werden. Shahs Stimme ist kräftiger. Sie trägt uns zerbrechliche Geschichten so stark wie PJ Harvey und Patti Smith vor. Dabei sieht sie aus wie eine Gothic-Lolita. Sie klagt und heult auf der Kilbi-Bühne als ob sie sich gleich dem überfluteten Bad Bonn nachstürzen will. Wer zwischen den Songs immer mal wieder am Rotwein nippt und sich mit den Zuschauern unterhält, gehört definitiv auf die Sommer-Playlist!

Du magst Nadine Shah: Wenn deine Lippen nicht dunkelrot genug sein können und dein Lieblingskleidungsstück ein schwarzer Samtmantel aus der Brocki ist.

Aktuelles Album: „Love Your Mum and Dad”

POND

Der Pressebereich an der Bad Bonn Kilbi ist ein alter Bus neben dem Abgang von der Hauptbühne. Darum stolperte ich am zweiten Tag des Festivals aus diesem Bus direkt in Nick Allbrook. Er sah aus wie ich an meinen Pijama-Tagen: Kurze, schlecht blondierte Strubbelhaare, Gammelshirt und Leggings mit Blumenprint. Irgendwie muss er das gecheckt haben, denn er warf mir einen Seelenverwandten-Blick zu und verschwand im Backstage. „Holy Shit, deine Band muss ich sehen!”, dachte ich und sicherte mir einen guten Platz vor der Bühne. Nick, der ein bisschen aussieht wie ein cracksüchtiger Hamster, stimmte bereits seinen Bass. Vorher hatte ich noch nie etwas von Pond gehört. Dann haben sie mir das Hirn weggefegt. Die Jungs aus Australien fabrizieren feinsten Psychedelic-Rock. Nick Allbrooks Stimme klingt dabei mal wie Davd Bowie, mal wie Elton John und dann wieder wie Jim Reid und wird getragen von Schallwellen, die dir das Glacé in der Hand wegschmelzen.

Du magst Pond: Wenn du auf jedes Vanille-Cornet zwei Tropfen LSD träufelst.

Aktuelles Album: Man, It Feels Like Space Again (noch nicht erschienen)

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