In der Nacht des 23. September 2014 schickte die irische Marine eine Flotte kleiner Boote zur Makayabella, einer 18-Meter-Jacht, die sich 480 Kilometer vor der irischen Südküste befand. Die Drei-Mann-Crew der Jacht, darunter der 70-jährige englische Skipper John Powell, war vom Kampf gegen die Elemente erschöpft.
Die Makayabella befand sich auf der letzten Etappe einer 12.000-Kilometer-Reise von Venezuela über den Atlantischen Ozean. Auf dem Schiff befanden sich 41 wasserdicht verpackte Pakete mit insgesamt einer Tonne sehr reinen kolumbianischen Kokains, die sich langsam aber sicher den Nasen der britischen Koks-Schnüffler näherten. Es war nicht der größte Kokainschmuggel aller Zeiten, doch gestreckt würde es sich in etwa drei Millionen Ein-Gramm-Tütchen verwandeln lassen.
Die Crew hatte jedoch Pech, denn die Jacht war von britischen und französischen Nachrichtendiensten verfolgt worden, und zwar bereits seit ihrer Abreise in den Grenadinen, wo Powells Sohn Stephen sie einige Monate zuvor für etwa 295.000 Dollar gekauft hatte. Die Schmuggelaktion endete abrupt: Ein Enterkommando irischer Ozean-Ninjas in Kevlar-Rüstung stürmte das Deck und richtete ihre Waffen auf die Crew.
Peinlicherweise war dem 48-jährigen Stephen, der mit einem kleineren Boot die Drogen von der Makayabella an Land bringen sollte, der Treibstoff ausgegangen und er musste von einer Freiwilligenorganisation gerettet werden. Als Stephen sich bald darauf stellte, sagte er den Polizisten:
„Ich glaube, Sie haben etwas, das mir gehört.” Als sie fragten, um was es sich handle, sagte Stephen: „Kokain im Wert von dreiundsechzig Millionen Pfund [83,3 Millionen Euro].” Er wurde im englischen Leeds wegen Verschwörung zum Kokainschmuggel zu 16 Jahren Haft verurteilt. Sein Vater und zwei weitere Angeklagte warten in Irland auf ihre Gerichtsverhandlungen.
Die Makayabella war nur eine der Jachten, auf denen Ende 2014 bei ihrer Atlantiküberquerung Kokain beschlagnahmt wurde. Bei acht See-Razzien im Laufe von acht Wochen zwischen September und November des letzten Jahres wurden laut Ermittlern des europäischen Operationszentrums für den Kampf gegen den Drogenhandel im Atlantik (MAOC-N) fünf Millionen Gramm hochwertigen Kokains auf dem Seeweg nach Europa abgefangen. Das MAOC-N ist eine Initiative von sieben EU-Ländern—Frankreich, Irland, Italien, den Niederlanden, Portugal, Spanien und Großbritannien—die Geheimdienstinformationen und Ressourcen im Kampf gegen den transatlantischen Drogenschmuggel koordiniert. Von Fortschritten wollte man dort allerdings nicht sprechen.
„Es gibt für diese Generation der Kriminellen keine bessere Art, schnell das große Geld zu machen, als Kokain in Südamerika zu kaufen und es in Europa zu verkaufen, und die häufigste Transportart ist per Schiff”, sagte Frank Francis, ein leitender Beamter des britischen Nationalen Kriminalamtes (NCA), der als der nächste Direktor des MAOC-N gehandelt wird. Der illegale Status von Kokain führt zu einem drastischen Preisunterschied zwischen Hersteller- und Konsumentenländern: Ein Kilo Kokain kann z. B. für 1.400 Euro in Kolumbien gekauft und für etwa 70.000 Euro in Großbritannien verkauft werden.
Immer häufiger kommen dabei Jachten zum Einsatz, beschreibt Francis. „Als MAOC-N 2007 seine Arbeit begann, beschlagnahmten wir große Mengen Kokain auf Handelsschiffen”, sagte er. „Jetzt gibt es viel mehr gut ausgerüstete Jachten und Hausboote auf diesen Schmuggelstrecken. Meist transportieren sie geringere Mengen und fahren dafür öfter.”
In den 1990ern war der Schmuggel auf Jachten eine Seltenheit. Noch 2007 fand nur ein Drittel aller Beschlagnahmungen durch MAOC-N auf Jachten statt, 2013 waren es bereits 70 Prozent.
Als kolumbianische Kartelle in den 1990ern Europa als neuen Markt für Kokain entdeckten, traf das meiste davon auf langsamen Schiffen ein. Kleine Schnellboote brachten es von diesen aus an Land. Anfangs arbeiteten die Kolumbianer mit organisierten, seefahrenden Banden aus Galizien an der rauen Nordwestküste Spaniens zusammen. Der Kokainschmuggel war für die vom Muschelfang abhängige Wirtschaft der Region eine willkommene Geldquelle. Bald mischten auch britische Gangster mit, die sich an der Costa del Sol versteckten.
Die kolumbianischen Großhändler, die aufgrund der teils gesetzlosen Zustände Venezuela als Basis nutzen, haben es inzwischen mit einem größeren Netzwerk europäischer Krimineller zu tun. Der Drogenimport wird nicht länger von einigen Wenigen dominiert. Solange jemand die drei Schlüsselkomponenten hat—einen südamerikanischen Großhändler, ein Boot und einen europäischen Käufer—fehlen zum eigenen Koksschmuggelbetrieb nur noch ein wenig Glück und ein guter Skipper.
Die Schmuggler sind nicht länger nur die üblichen Verdächtigen—die Briten, Niederländer, Iren, Portugiesen und Spanier. Der Aufstieg der osteuropäischen Banden, der sich an Land abgespielt hat, vollzieht sich nun auf dem Meer. Im November wurde eine Jacht namens Liberty Belle mit einer Besatzung von einem Serben und zwei Ukrainern 200 Seemeilen vor den Kanaren mit einer Tonne Kokain erwischt. Zehn Tage zuvor fand man die Meguem mit einer Besatzung von vier Tschechen und 599 Kilo Koks vor den Kanaren.
Der Atlantik bleibt die wichtigste Importroute für Kokain nach Europa. Die Mengen Kokain, die bei der Überquerung des Meeres beschlagnahmt werden, stellen definitiv den in den Medien so beliebten Online-Drogenhandel in den Schatten. Die drei Millionen Ein-Gramm-Tütchen, die aus der Fracht der Makayabella geworden wären, sind doppelt so viele, wie auf Silk Road zwischen 2011 und 2013 insgesamt den Besitzer wechselten.
Im Katz-und-Maus-Spiel des maritimen Drogenschmuggels sind die Einsätze riesig. Für Behörden ist es ein wichtiger Erfolg, große Drogenlieferungen zu erwischen, bevor sie im Zielland verteilt werden können. Doch der Atlantische Ozean hat eine Fläche von 106 Millionen Quadratkilometern. Zufällig auf ein Drogenboot zu stoßen ist da ausgeschlossen. Es braucht detaillierte Informationen, und selbst wenn diese vorhanden sind, muss MAOC-N hoffen, dass ein Kriegsschiff verfügbar ist, um die immer schneller werdenden Jachten abzufangen.
Im MAOC-N-Büro in Lissabon weiß man von 170 „verdächtigen Wasserfahrzeugen”, von denen bei 80 vermutet wird, dass sie regelmäßig zum Schmuggel eingesetzt werden. Francis sagte mir, Ermittlungen gegen potentielle Schmuggler seien „klassische Polizeiarbeit”, bei der man „die Teile eines Puzzles zusammenfügen” müsse.
„Ob gesprächige Individuen, Informanten, verdeckte Ermittler oder normale Überwachungsmethoden, wir nutzen alle Möglichkeiten. Wenn du genug Zeit in einem Hafen verbringst, dann merkst du, wenn etwas nicht stimmt. Sind diese Leute wirklich aus Spaß am Segeln auf der Jacht? Warum bezahlt dieser Typ seinen Treibstoff in bar? Was macht ein ukrainischer Deckarbeiter auf einer Jacht aus Venezuela?”
Als 2011 eine Jacht in Southampton mit 1,2 Tonnen Kokain an Bord beschlagnahmt wurde, gab die Polizei bekannt, sie habe die niederländische Bande mithilfe von Telefonüberwachung überführt. Die Hygeia of Halsa, deren Zwei-Mann-Crew von der Insel Jersey stammte, wurde im November 2014 auf der karibischen Insel Martinique mit 250 Kilo Kokain an Bord beschlagnahmt. Ermittlungen der Londoner Polizei zufolge hatte eine Londoner Bande mit Verbindungen in die Karibik die Lieferung organisiert.
Für die atlantischen Schmugglerbanden gibt es nicht nur das Risiko, zehn oder zwanzig Jahre hinter Gittern zu verbringen—die Reise selbst kann sehr gefährlich sein. Schmuggler müssen oft sehr schlechten Bedingungen trotzen, die andere Segler meiden würden, weil sie nicht in Häfen Schutz suchen wollen. Da sie mit kleineren Booten zusammenarbeiten müssen, die die Drogen in versteckte Buchten bringen, ist der Zeitplan zudem meist sehr eng.
Die nordatlantische Route südlich an Irland vorbei und an die walisische Küste ist nichts für Zartbesaitete. Eine Jacht namens Dances with Waves, die mit anderthalb Tonnen Kokain von Venezuela nach Wales unterwegs war, kenterte 2008 in einem Sturm, unweit der Stelle, an der die Makayabella hochgenommen wurde. Die Drogen und die Besatzung wurden sichergestellt und der Drahtzieher—John Brooks, ein berüchtigter britischer Verbrecherboss von der Costa del Sol, der einst auf einem Jetski der Festnahme entkommen war—wurde 2012 gefasst. Zwei Jahre zuvor wurde der ehemalige Drogenermittler Michael Daly erwischt, als er mit anderthalb Tonnen Kokain vor der irischen Küste Schiffbruch erlitt.
Das MAOC-N erhalte Unterstützung von den Drogen- und Seefahrtsbehörden der USA und schmiede Bündnisse mit Kolumbien und Brasilien, so Francis, „um den Atlantik für Drogenschmuggler so unwirtlich wie möglich machen.”
Doch das Kokaingeschäft auf hoher See scheint nicht nachzulassen; es verändert sich lediglich mit dem technologischen Fortschritt. Die Schmuggler haben immer bessere Wasserfahrzeuge und Satelliten-Navigationssysteme, und sind damit den Gesetzeshütern oft einen Schritt voraus.
So lange es entlang der europäischen und westafrikanischen Küste kaum Patrouillen gibt, werden Schmuggler die eleganten Jachten nutzen, um Profite zu machen.
Ein ehemaliger Zollermittler, der seit den 1980ern gegen die Kokainschwemme über den Ozean kämpft, sagte mir: „Die Schmuggler wissen, dass sie gute Chancen haben durchzukommen, wenn sie alles richtig machen. Das Einzige, das sie außer dem Meer aufhalten kann, ist ein Leck in ihrem Plan, von dem wir durch gute Ermittlungsarbeit etwas mitbekommen.
„Aber sind wir realistisch. Seit Jahrhunderten schmuggeln Menschen verbotene Güter übers Meer, und es gibt kaum einen Grund, warum das nicht noch 100 Jahre weitergehen sollte. Bis sich Regierungen langfristig um die gesellschaftlichen Ursachen für die Nachfrage kümmern, ist Kokain an unseren Küsten so sicher wie die nächste Flut.”