Besucher der Street Parade 2013, wo in diesem Jahr auch die Antänzer-Bande zuschlug. Foto: imago/Tavel-Stock-Image
Sie kommen plötzlich auf dich zu, fragen dich nach dem Weg, klopfen dir vor Dankbarkeit auf die Schulter—und dann ist deine Brieftasche weg. Von sogenannten Antänzern bestohlen zu werden, fühlt sich nicht gut an. Meist reicht diesen Gruppen ein simpler Vorwand, um dich zu berühren. Auf Festivals passiert sowas noch leichter, denn du bist betrunken und daher (noch) unachtsamer. Alles ist dicht gedrängt und diverse Moshpits tragen zusätzlich ihren Teil zu der unübersichtlichen Lage bei. Organisierte Banden nutzen diese gezielt aus.
Eine dieser Banden ist mittlerweile sogar so gut aufgestellt, dass sie Konzerte und Festivals in ganz Europa bereist. Doch die Polizei ist dem Netzwerk von Taschendieben bereits auf der Spur. Vor wenigen Tagen konnte man nun einen ersten Teilerfolg erzielen. Doch die Geschichte der gewieften Bande ist noch längst nicht zu ende.
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Von Slipknot bis zum Tomorrowland
Das erste Mal waren sie vermutlich auf dem Leipzig-Konzert in Deutschland von Slipknot zu Beginn diesen Jahres aktiv. Ihre Beute konnte sich sehen lassen. Fast 100 Smartphones und 25 Brieftaschen entwendeten sie den Besuchern. Die weiteren Stationen der Diebe auf ihrer Deutschland-Tournee im Januar waren: Zwickau, Bielefeld, München und Lingen (Niedersachsen). Sie “tourten” mit Limp Bizkit durch Frankreich und die Niederlande, bis sie im August wieder nach Deutschland zurückkehrten, um beim Düsseldorf-Gig von Fred Durst und Konsorten erneut zuzuschlagen.
Da Konzerte alleine nicht glücklich machen, haben die Antänzer auch noch auf diversen Festivals halt gemacht. In Belgien trat man gleich drei mal auf: beim Dour und Lokerse Festival sowie, klar, beim Tomorrowland. In der Schweiz hat die organisierte Gruppe auf der Street Parade in Zürich einen ungebetenen Überraschungsauftritt gehabt. Im Nachlauf des Events wurden 100 Anzeigen wegen Diebstahls erstattet.
Bewegungsprofile führen auf eine Spur
Nach der Street Parade war wieder Deutschland die Haltestelle für die Tänzer. Zuerst erleichterten sie am ersten August-Wochenende auf dem Wacken ein paar Kuttenträger um ihre Wertgegenstände. Anschließend planten sie ein großes Ding auf dem Highfield Festival, das zwei Wochen später stattfand. Doch dort waren ihnen die Fahnder der Kripo Leipzig bereits längst auf den Fersen.
Denn schon bei der ersten Aktion auf dem Slipknot-Konzert in Leipzig gelang den Beamten ein Teilerfolg: Eines der gestohlenen Smartphones konnte geortet werden. “Anhand der Daten gelang es, ein Bewegungsprofil zu erstellen, das in den Leipziger Stadtteil Schönefeld führte”, wie Maria Braunsdorf, Pressesprecherin der Leipziger Polizei gegenüber Noisey erklärt. In einem dort beheimateten Gebüsch fanden die Ermittler einen Rucksack mit 60 Mobiltelefonen. Durch Kooperation mit den Kriminalämtern anderer Bundesländer und europäischen Behörden, war man schnell sicher, dass es sich um ein international kooperierendes Netzwerk handelt musste.
Auf dem Highfield Festival am vergangenen Wochenende gelang den Ermittlern dann ein empfindlicher Schlag gegen die Antänzer. Diese hatten sich kurz vor Beginn des Festivals Karten besorgt und dann in der Nacht zum Samstag—nach Angaben der Polizei—20 Smartphones und mehrere tausend Euro geklaut. Als sie das Festival morgens mit der heißen Ware verlassen wollten, warteten die Fahnder des LKA Sachsen und der Kripo Leipzig bereits auf sie.
Momentan sitzen die mutmaßlichen Diebe wegen dringenden Tatverdachts in Untersuchungshaft. Fun Fact: Einer der Täter verlor während der großen Diebstahlaktion auf dem Festivalgelände sein persönliches Handy. Ein Besucher gab es anschließend beim Veranstalter ab.
Ein großer Schlag gegen das kriminelle Netzwerk?
Die BILD-Zeitung feiert den Erfolg in dem ihr typischen Jargon: “LKA sprengt rumänische Antänzer-Bande“. Dabei geht die Polizei in ihrem Bericht lediglich von “überwiegend aus Rumänien stammenden Personen aus.” Wie die Pressesprecherin der Leipziger Polizei, Maria Braunsdorf, im Gespräch mit Noisey klarstellt, ist man diesbezüglich noch in der Ermittlungsphase. Die Gruppe soll aus mindestens 20 Personen bestehen, um eine wirkliche “Sprengung” des Netzwerkes beim Highfield kann also keine Rede sein.
Die Polizei NRW hat dieses Informationsvideo über den Antänzer-Trick gedreht
Es ist daher durchaus wahrscheinlich, dass die restlichen Mitglieder der Gruppe weiterhin aktiv bleiben. Zwangsläufig stellt sich dabei die Frage: Wie kannst du dich gegen das Antanzen schützen?
“Unsere Erfahrung zeigt, dass die Tänzer von potenziellen Opfern ablassen, wenn diese sich körperlich energisch wehren”, sagt Maria Braunsdorf. Also solltest du sofort wild um dich schlagen, wenn jemand dich antanzt oder an der Schulter berührt? Das klingt nach einer fragwürdigen Strategie. Wenn du dir sicher bist, kannst du das natürlich machen. Aber das zentrale Problem ist doch, dass du in der Regel nicht merkst, wie solche Profis dir in die Hosentasche fassen. Besonders wenn du gut gelaunt auf einem Festival bist und dabei an alles mögliche denkst, nur nicht daran, im nächsten Moment beklaut zu werden. Außerdem treten die Diebe oft zu zweit oder dritt auf, können zudem mit Messern bewaffnet sein. Gegenwehr ist also nicht ungefährlich.
Wie du dich schützen kannst
Es gibt eigentlich nur die üblichen Tipps, um das Risiko zu minimieren:
1. Nimm so wenig Wertgegenstände mit wie möglich.
2. Schließ deine Sachen auf Festivals in entsprechende Fächer ein, sofern diese angeboten werden. Den Schlüssel dafür kannst du mit einem Band um deinen Hals tragen.
3. Steck deine Wertgegenstände nicht in Jacken-, Mantel- oder die hinteren Hosentaschen. Der Noisey-Evergreen des Safer Partying ist natürlich der Brustbeutel. Den findet übrigens auch die Leipziger Polizei sinnvoll.
Was können die Festivals tun? Die Täter nicht reinlassen? Man sieht niemandem am Gesicht an, ob er ein Dieb ist, selbst wenn das eine gewisse blauäugige Partei bei uns sowas behaupten würde. Schließfächer anzubieten, wäre gut, wie gesagt. Außerdem sollten Festivals nicht so überfüllt sein, dass du auf den Füßen des anderen stehen musst. Das macht es den Dieben nämlich noch leichter, dich zu beklauen. Für Konzerte gilt das natürlich auch.
Diese ganze Debatte um die Gefahr durch Antänzer, ist nicht erst jetzt entstanden. Das RAW-Gelände im Berliner Statdtteil Friedrichshain-Kreuzberg ist für diese Art von Kriminalität berüchtigt. Mittlerweile ist die Lage durch ein höheres Security-Aufkommen angeblich besser geworden.
Was du berücksichtigen solltest
Stefan Epli, Mediensprecher der Street Parade in Zürich, gibt allerdings zu bedenken, dass eine größere Polizeipräsenz nicht immer reicht und dass man die gesellschaftlichen Ursachen nicht ignorieren dürfe. “Die Situation ist auch ein Spiegel der Zeit.” Es gebe nun einmal soziale Unterschiede, die zudem immer größer werden. Wer arm ist und keine Perspektive hat, gerät also leichter in die Kriminalität.
Das nimmt den Tätern nicht die Verantwortung und schützt auch nicht vor Strafe. Allerdings muss die Dimension der sozio-ökonomischen Faktoren bei der Analyse und Prävention von Kriminalität immer berücksichtigt werden. Und im Fall der Street Parade ist die Lage für dich als Besucherin auch gar nicht unsicherer geworden. Zwar bedeuten die 100 gemeldeten Delikte gegenüber den 50 des Vorjahres einen deutlichen Zuwachs, aber, so Epli: “Wenn man aber bedenkt, dass wir dieses Mal über 900.000 Besucher hatten, ist es dann doch nicht so viel.”
Dieser Artikel ist zuerst bei THUMP erschienen.
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