Wer Meidling kennt, weiß, dass seine Bewohnerinnen und Bewohner (und Sebastian Kurz) besonders gerne und oft die Andersartigkeit ihres Bezirkes betonen.So wie Wiener generell, könnte man sagen. Aber Meidling will immer auch noch mal ANDERS ALS DER REST VON WIEN sein. Und obwohl ihr vermutlich wisst, was man über Menschen sagt, die bei jeder Gelegenheit klar machen wollen, wie besonders sie sind, haben die Meidlinger zur Abwechslung auch ein bisschen Recht.
Meidling hat jedenfalls einiges zu bieten: Zum Beispiel das Eisgeschäft “Schleckeria“, das zur morbiden Legende wurde, weil die Besitzerin Leichenteile ihrer ermordeten Verwandten in Tiefkühltruhen gelagert hatte, Schlagzeilen wie “Täter zerschneidet sich bei Einbruch das Gesicht” oder Meldungen darüber, wie die Polizei hier Spinnen fängt. Außerdem ist es sowas wie das Mekka für Wiener Drogen-Lenker und hat auch sonst irgendwie den Ruf des heißen Pflasters.
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Aber um ehrlich zu sein, ist in Meidling die meiste Zeit eher wenig los. Ich liebe es trotzdem. Und das natürlich aus ganz objektiven Gründen und nicht, weil ich hier aufgewachsen bin. Und weil man sich in der schieren Menge an Attraktionen im Bezirk niemals alleine zurechtfinden würde, hier meine ganz persönliche (Liebes-)Erklärung an den 12. Wiener Gemeindebezirk.
In Meidling ist alles wurscht
Wien ist ja im Allgemeinen ein bisschen oberflächlich und prätentiös. Nicht so Meidling. Weil hier alle vollkommen davon überzeugt sind, anders als der Rest von Wien zu sein, könnte man eigentlich argumentieren, dass Meidling der einzige “normale” Bezirk ist. Aber eine Beschreibung, die ziemlich sicher richtig ist und den Geist des Bezirks verkörpert, lautet: Es ist wurscht. Und zwar alles.
Hier wundert es niemanden, wenn eine Frau mittags ohne Musik abgeht, als wäre sie gerade in der Forelle, oder wenn plötzlich jemand hinter dir sehr laute Dinosauriergeräusche macht. Generell gibt es einige Persönlichkeiten, die man als Bezirksbewohner einfach kennt. Wie zum Beispiel den Typen, der seinen monströsen Bart immer so stylt, dass er ein ziemlich genau wie ein Nashorn aussieht, oder die Lady, die immer mit ihrem Kinderwagen spazieren geht, in dem noch nie ein Kind drin war.
Diese Mischung aus Dorfgeist und Großstadt-Wurschtigkeit hat auch den unglaublichen Vorteil, dass ich mich amWochenende im Pyjama überall hinbewegen kann, ohne dass es irgendjemandem auffällt.
In Meidling wird noch wahre Rebellion gelebt
Ich glaube, jeder Mensch in Wien kennt diesen Moment, in dem man so dringend aufs Klo muss, dass man in irgendeinem Grindbeisl ein kleines Soda-Zitron kauft, nur um nicht die nächstbeste Toilette aufsuchen zu müssen. Oder auch, um zumindest auf IRGENDEINE Nasszelle gehen zu können, weil es weit und breit keine öffentlichen Toiletten gibt. Der Punkt ist: Öffentliche WCs sind selten und wenn es sie gibt, sind sie sehr schlimm.
Bei der Renovierung der Meidlinger Hauptstraße – der wichtigsten und tollsten Einkaufsstraße Wiens, von der du vermutlich gerade zum ersten Mal hörst – wollte die Stadtplanung diese Wahrnehmung des öffentlichen Urinierens und Defäkierens proaktiv ändern und hat an Anfang, Mitte und Ende der Straße moderne Toilettenanlagen installiert. Eine Heldentat, meint ihr?
In jedem anderen Bezirk vielleicht. Nicht-Meidlinger würden angesichts dieser sensationellen Straßenaufwertung vermutlich eine Klo-Party geben, um das Ende des Soda-Zitron-Fluchs zu feiern – so wie das auch bei der Eröffnung einer Rolltreppe am Schottentor geschehen ist. Aber nicht so in Meidling. Hier heißt das Motto WIDERSTAND. Man muss sich zwar entscheiden, welche Kämpfe es sich zu kämpfen lohnt, aber öffentliche Klos sind eindeutig die letzte Barriere zwischen gesellschaftlicher Stabilität und dem Ausbruch des absoluten Anarchismus. Hier hört die Wurscht-Mentalität beim besten Willen auf. Wacht auf, Leute! Es stinkt!
Die kleinen Geschäfte
In Meidling hat sich noch nicht herumgesprochen, dass Second-Hand und Vintage-Mode im Rest der Welt vor zirka zehn Jahren als Trend angekommen ist. Deswegen sind die vollgestopften Flohmarktläden, die meistens netten alten Herren gehören, die haarscharf an einer Existenz als Messie vorbeigeschlittert sind, auch noch nicht so überteuert. Es sind elegant abgeranzte Geschäfte, in denen man in tiefe und vor allem sehr, sehr lange Gespräche verwickelt wird, die genau so lange dauern, bis dein Gegenüber ein schlechtes Gewissen bekommt und dir schuldbewusst irgendwas schenkt. Wenn ihr also alte Möbel, Bilder, Schreibmaschinen und haufenweise anderes ramschiges, aber tolles Zeug braucht: Die ganze Pohlgasse und die Tivoligasse, Ecke Ruckergasse sind eure Adressen.
Überhaupt bietet Meidling eine Vielzahl an Shops, die hauptsächlich dafür zu existieren scheinen, damit wir uns fragen können, wie zur Hölle sie überleben können. Zum Beispiel Schuster und Knopfläden und Gemischtwarenhändler, die das Gefühl von Dorf verstärken, das Meidling ausmacht. Ich bin nach wie vor bei jedem Spaziergang auf der Suche nach den Menschen, die hier die Knopfnachfrage ausreichend in die Höhe treiben, um den Markt lukrativ genug zu halten.
Das U4
Man kann wirklich viel lobhudeln, aber ein Zentrum für junge Menschen und Nachtleben ist Meidling trotzdem eher nicht. OK, es gibt ein paar nette Beisl und zirka zwei Bars beziehungsweise Shisha-Lokale, aber das war’s. Der einzige Club, der hier existiert, ist das U4 und ihr könnt mir noch so oft erzählen, dass Falco dort war – ich werde es weiterhin nicht leiden können. Es ist immer zu kalt oder zu heiß, nichts passiert und die Zeit wirkt hier noch stärker in den 80ern stehengeblieben zu sein als im Rest von Österreich unter Schwarz-Blau.
Weil wir aber hier immer noch in Wien sind – immerhin der offiziell zweit unfreundlichsten Stadt der Welt – und man hier sehr gerne sudert, darf das U4 aber trotz meiner persönlichen Ambivalenz auf keinen Fall fehlen. Außerdem finde ich es irgendwie liebenswert, dass es auch den U4 Friseur, das U4 Cafe und das U4 Center (eine Bar) in direkter Umgebung gibt. Bei der kreativen und aussagestarken Namensgebung war die Ehrung der U-Bahn offensichtlich sehr wichtig. Danke, Wiener Linien. Wir wissen, dass man mit euch aus Meidling raus und nach Meidling rein kommt und sind euch (je nach Tagesverfassung) für beides sehr dankbar.
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Der Meidlinger Markt
Der Meidlinger Markt ist das Zentrum für alle im 12. Bezirk, die insgeheim doch das Herz eines gentrifizierenden Hipsters in ihrer Bobo-Brust tragen. Dank ihm gibt es nicht nur im Sommer einen Bauernmarkt am Wochenende, sondern vor allem ein paar Restaurant-Container, die einen für einen Moment lang in sowas wie ein Großstadt-Feeling katapultieren.
Besonders beliebt ist der Milchbart. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Koch dir irgendeine neue Kreation unter die Nase hält und gespannt beim Verkosten zuschaut, liegt hier bei 100 Prozent. Er entscheidet nämlich immer erst spontan, was er kochen will und man sieht ihn zwischendurch auf seinem Skateboard am Markt herumfahren und Zutaten zusammensuchen. Wenn du keine Lust auf das aktuelle Tagesangebot hast, kocht er dir einfach schnell etwas anderes.
Nur ganz selten ist er auch einfach mal nicht da – magischerweise meistens an Samstagen, die bekanntlich auf Freitagnacht folgen. Für solche Tage gibt es dann das vegane Marctstandl mit dem besten Frühstück überhaupt oder einen Vietnamesen.
Geschichte, Vergnügungsparks, Nazis und noch mehr Rebellion
Meidling war mal der Würschtelprater für Adelige. Zwischen Schwenkgasse und Grünbergstraße tummelten sich hier ab 1830 die oberen Schichten und der Hochadel inklusive Kaiser. Mit einer langen Sommerrutsche und haufenweise anderer Events wie Laternenfesten, Feuerwerken, Hahnenkämpfen und einem fixen Engagement des Orchesters von Johann Strauß Vater vor Ort war Tivoli ein Zentrum für Luxus und Vergnügen.
Während des Zweiten Weltkriegs wurde das Tivoli dann geschlossen und verfiel immer mehr, bis der Betrieb 1967 völlig eingestellt wurde. 1980 wurde es durch Brandstiftung verwüstet und 1991 endgültig abgetragen. Zwischen Grünberg und Schwenkgasse liegt außerdem das Springer Schlössl. Während des Zweiten Weltkriegs als jüdisches Eigentum von Nazis beschlagnahmt, wurde die Villa zur Gauführerschule der NSDAP umgewandelt. Nach dem Krieg wurde das Schlössl der ehemaligen Besitzerin zurückgegeben, die schon vor Kriegsausbruch nach Paris gezogen war. Sie verkaufte das Schlössl 1953 an den Verein der Wiener Volksheime und 1975 wurde es zu einem Seminarhotel umgebaut. Seither ist es der Sitz der politischen Akademie der ÖVP, die die umliegenden Häuser bei Festen gerne mit (eher schlechter) Musik beschallt.
Von der ehemaligen Edelgegend ist bezeichnenderweise nur die Akademie übrig geblieben. Das Theresienbad galt zum Beispiel früher als edles Heilbad – heute ernte ich eher besorgte Blicke, wenn ich jemandem laut erzähle, dass ich es aufzusuchen gedenke.
In der jüngeren Zeit hat das Schlössl aber Geschichte geschrieben. Um genau zu sein im Jahr 2010, als die ÖVP plante, großräumig rund um das Hotel zu erweitern. Dagegen machten zwei Bürgerinitiativen mobil – die Fläche steht nämlich unter Naturschutz. Bei einer Anrainerbefragung stimmten dann 87 Prozent gegen den Bau und die Planung wurde eingestellt.
Vielleicht haben die Leute hier so viel Zeit für wahrhaftigen Widerstand, weil sonst nicht so viel passiert. Natürlich bis auf die schlaflosen Nächte, die die ÖVP-Partys einem bereiten, die turbokapitalismusbefreiten Knopfgeschäfte, die Morbidität und all die anderen Dinge, die mich Meidling so lieben lassen.