“Bald werde ich 30 und habe meinen Vater noch nie gesehen” – Olexesh über russische Kultur und seine Kindheit

Dieser Artikel ist Teil einer Noisey-Serie über Rap aus Russland und der Ukraine.

Olexesh wurde geboren, als keiner so recht wusste, wie es weitergehen würde. Das war in Kiev, 1988, als die Sowjetunion langsam zu zerfallen begann. Die Unabhängigkeit der Ukraine erlebte Olexesh als Kind noch mit, obwohl er sich nicht daran erinnern kann. Mit sechs Jahren zog er zusammen mit seiner Mutter nach Deutschland. Schließlich landete er in Darmstadt-Kranichstein, ein Viertel, das nicht nur sein Lebensmittelpunkt ist, sondern auch in seiner Musik noch immer eine zentrale Rolle spielt.

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Was Olexesh aus seinen sechs Jahren zwischen UDSSR und Ukraine bleibt: Die Muttersprache, Russisch. Sie taucht immer wieder in Songs auf, in Form von zaghaft eingeschobenen oder bedrohlich gebellten Worten, die sich zusammen mit Olex’ Viertel-Geschichten, Funk-, Trap- und mittlerweile auch House-Anleihen zu seinem Trademark-Sound verdichten. Einmal rappte er sogar einen ganzen Song auf Russisch ein. Warum das eine Ausnahme bleibt, wie er seine Wurzeln auch 2018 auf seinem neuen Album Rolexesh pflegt und warum sein Vater für ihn noch immer verschollen ist, erzählte er uns im VICE-Büro. Dort gab es sogar einen funktionierenden Wasserhahn. In seiner Küche fehlt der – schon wieder. Ein Kranichstein-Hustler bleibt eben ein Kranichstein-Hustler und die interessieren sich für vieles, aber nicht für Wasserhähne.


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Hörst du zurzeit Rap auf Russisch?
Kaum. Nur, wenn ich mal was finde, das mir gefällt. Грибы aus Kiev zum Beispiel. Die machen House-Rap und haben mich sehr inspiriert. Auf Radiokativ, dem zweiten Album, das zusätzlich zu Rolexesh erscheint, habe ich auch zwei Tracks in die Richtung gemacht. Wir stehen sogar in Kontakt. Гамора ist auch cool, der macht klassischen Rap. Und natürlich Seryoga. Der ist schon etwas älter.

Den kennen viele in Deutschland wegen seiner Zusammenarbeit mit Azad.
Genau. Außerdem gibt es eh viele Russen und Slawen in Deutschland. Die feiern das. Es gibt sogar ganze russisch-slawische Viertel und mittlerweile sogar russische Märkte hier. Da gehe ich gerne hin, in Darmstadt, in Frankfurt oder in Berlin. In Berlin gibt es sogar einen, der 24 Stunden geöffnet hat. Da war ich mit Crackaveli mal. Er bringt mir von da immer getrockneten Fisch mit. Den kannst du essen wie Chips.

Was kaufst du sonst auf russischen Märkten?
Ich kaufe gerne Bonbons und süße Kondensmilch, die zum Brot dazugehört. Pelmeni natürlich auch oder Plombir. Das ist das klassische Straßen-Eis, das in der Ukraine in so kleinen Eisläden verkauft wird. Bei Plombir ist das Eis zwischen zwei Waffeln gepackt – so wie ein Sandwich. Aber mittlerweile muss ich gar nicht mehr auf den Markt gehen, es gibt ja sogar bei REWE russische Ecken.

Wann hast du das letzte Mal Russisch gesprochen?
Heute Morgen mit meiner Oma über WhatsApp [lacht]. Wir schreiben uns jeden Morgen und jeden Abend.

Fällt dir das Sprechen und Schreiben noch leicht?
Ja, und es macht Spaß. Es ist einfach anders, Russisch zu sprechen. Auch die Gestik und die Mimik verändern sich dabei. Ich spreche aber mittlerweile so viel Deutsch, dass ich sogar den russischen Akzent abstellen kann. Ich bin seit 1992 in Deutschland, war zuerst im Asylbewerberheim. Mein Kumpel Wahib und seine Mama haben mir sofort das Zählen beigebracht. An meinem ersten Tag in Deutschland konnte ich bis zehn zählen. Dafür bin ich ihnen heute noch dankbar. Dann bin ich direkt hier auf die Schule gekommen.

Was magst du an der russischen Sprache?
Ich mag das Kratzige. Mir gefällt aber vor allem der Wechsel zwischen den Sprachen. Es ist cool, verschiedene Sprachen sprechen zu können. Ich kann Russisch ungefähr so gut wie Englisch, kann aber kyrillische Buchstaben zum Beispiel nur sehr langsam schreiben. Meine Oma schreibt mir immer auf Kyrillisch. Das ist meine tägliche Übung. Ich muss im Satz dann immer wieder zurückspringen und von vorne anfangen, bis ich alles verstehe. Ich will aber selbst drauf kommen und bitte deswegen niemanden um Hilfe.

Du hast 2014 mal den russischen Track “Nu Pagadi” veröffentlicht. Auch auf Rolexesh gibt es eine Hook (“So high”) auf Russisch. Schreibst du die Lyrics dann in kyrillischen Buchstaben?
Nein, ich schreibe das in lateinischen Buchstaben und singe oder rappe es auf Russisch ein. Ich finde in der Hook von “So high” hört man gar nicht, dass ich Russisch ein bisschen verlernt habe. Meine Aussprache ist sehr gut dafür, dass ich deutschsprachige Musik mache, jeden Tag Deutsch spreche und alles auf Deutsch regeln muss.

Als “Nu Pagadi” erschien, hast du gesagt, dass du mal ein Mixtape auf Russisch aufnehmen willst.
Das wollte ich machen, aber es fällt mir einfach zu schwer und macht dann auch keinen Spaß. Ich kann zwar verstehen, dass ein paar Fans darauf warten, aber auf Deutsch bin ich sicherer. Da kann ich mehr sagen. Trotzdem werde ich Russisch weiter in meine Tracks einbeziehen.

Hat die bekannte russische Kinderserie Ну, погоди! eine Rolle für dich gespielt?
Ja, auf jeden Fall: Der Wolf jagt den Hasen [ lacht]. Ich habe jede Folge geguckt, das war geil. Aber das gibt’s hier leider nicht im Fernsehen.

Erinnerst du dich noch gut an deine Kindheit in der Ukraine?
Ich erinnere mich noch an meinen Kindergarten und an den Weg dahin. Als ich wegen des Makadam-Albums in Kiew war, bin ich mit meinem Opa durch die Stadt gelaufen. Plötzlich kam mir eine Straße bekannt vor. Dort war früher mein Kindergarten, nach über 15 Jahren wusste ich das noch. Ich habe bei sowas ein sehr gutes Gedächtnis. Früher habe ich mal bei Subway gearbeitet. Wenn ich jetzt durch die Stadt laufe, erkenne ich immer noch Leute, die ich früher bedient habe.

Wie sah das Kiew, in dem du aufgewachsen bist, aus?
Es wirkte alles etwas kalt, ein bisschen slawisch eben. Es gab viele Häuser mit hohen Decken, so wie in Berlin. Hier hat auch vieles einen russischen Touch. Wenn ich auf dem Kurfürstendamm bin, erinnert mich das immer an Kiew, die breiten Straßen, die Metro. Da sind auch russische Bauelemente verankert. Ich erinnere mich auch noch daran, dass wir öfter im Zirkus und im Zoo von Kiew waren. Der Zirkus war ein richtiges Gebäude, nicht nur ein Zelt wie in Deutschland. Es kam mir riesig vor, war rund und hatte mehrere Säle. Da war ich gerne mit meinen Großeltern.

Deine Großeltern haben sich in der Ukraine um dich gekümmert, weil deine Mutter mit 16 schwanger wurde und dein Vater verschwunden ist. Wie war das damals?
Meine Mutter war damals noch Schülerin. Meine Oma hat mich aufgezogen, damit meine Mutter weiter in die Schule gehen konnte. Mein Vater ist einfach nach Los Angeles abgehauen. Wir sind dann nach Deutschland ausgewandert, weil meine Mutter hier eine Perspektive gesehen hat. Meine Großeltern sind heute noch in Kiew. Ich habe gar keinen Kontakt zur Familie von meinem Vater, die blocken das immer ab. Bald werde ich 30 und habe meinen Vater noch nie gesehen. Aber was soll man machen, vielleicht lebt er gar nicht mehr. Es wäre trotzdem schön zu wissen, wo man herkommt. Er weiß ja, dass es mich gibt und er weiß auch, dass ich 30 werde. Ich würde gerne wissen, wo er ist. Aber mir geht es zum Glück auch so gut, ich habe gute Leute um mich herum. Ich will mich deswegen nicht fertig machen.

Auf Rolexesh scheinst du diese Themen ausgeklammert zu haben. Da geht es mehr ums auf die Kacke hauen und um Geld.
Über meine Geschichte habe ich ja schon geredet. Jetzt will ich zeigen, was seit Nu Eta Da und Makadam passiert ist. Ich habe viel Geld ausgeben, habe es mir gut gehen lassen und bin alle zwei Meter Taxi gefahren. Ich bin sogar zur Fahrschule mit dem Taxi gefahren und meinen Führerschein habe ich immer noch nicht [ lacht]. Ich wollte mal die guten Sachen verarbeiten.

Hast du mittlerweile denn einen Wasserhahn in der Küche deiner Wohnung oder spülst du das Geschirr immer noch in der Badewanne?
[ L acht] Ich habe jetzt eine neue Wohnung und da ist gar nichts. Es wird jetzt noch eine Küche eingebaut. Gerade spüle ich wieder im Badezimmer. Ich habe mir damals in der alten Wohnung einfach keine Zeit genommen für den Wasserhahn. Ich hatte keine Lust darauf. Als ich einmal im Urlaub war, hat ein Freund bei mir gewohnt und plötzlich einfach alles repariert und eingebaut.

Auf dem Zusatz-Album Radioaktiv gibt es, wie du schon gesagt hast, auch Songs mit House-Motiven. Hättest du dir solche Experimente zu Beginn deiner Karriere auch zugetraut, als du vor allem auf klassische 95-BPM-Beats gerappt hast?
Das, was ich gemacht habe, ist neu, ein Hipsterding, fashioned. Wobei Frauenarzt früher auch schon Musik in diese Richtung gemacht hat. Ich wollte jetzt versuchen, Deep-House mit Rap zu mischen. Das habe ich 2008 auch schon mal versucht, den Song kennt nur keiner. Rap muss nicht immer auf 95-BPM-Beats passieren. Die Musik entwickelt sich weiter. Auf andere Beats zu rappen ist doch geil und auch schwer. Du musst deine Flows anpassen. Musik ist solange gut, solange sie angesagt ist, Geld bringt und dir Spaß macht. Du musst killen!

Und wenn die Musik kein Geld bringt?
Dann musst du die Musikrichtung wechseln. Wenn du vier Jahre Musik machst und nichts dabei rumkommt, solltest du lieber arbeiten gehen. Auch wenn du es mit Leidenschaft machst. Dann musst du irgendwas an der Musik ändern.

Der Vorwurf ist ja, dass viele Rapper in Deutschland nur Trap machen, weil es gerade angesagt ist.
Ich glaube, das stimmt nicht. Die Leute kennen den Rapper so, wie er war, und wollen ihm nichts Neues zugestehen. Aber wenn die Flows und der Vibe stimmen, ist es doch in Ordnung.


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Johann Voigt bei Twitter: @monodefekt

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Olexeshs neues Album Rolexesh erscheint am 2. März 2018 und kann bei Amazon oder Apple Music vorbestellt werden. Außerdem wird natürlich mit dem neuen Album auch getourt. Hier alle Termine:

05.05.2018 Hamburg, Docks
06.05.2018 Köln, Essigfabrik
08.05.2018 Dortmund, FZW
09.05.2018 Stuttgart, Im Wizemann
10.05.2018 Zürich (CH), Dynamo
11.05.2018 München, Backstage
12.05.2018 Wien (AT), Grelle Forelle
13.05.2018 Leipzig, Täubchenthal
15.05.2018 Berlin, Lido
16.05.2018 Bremen, Modernes
17.05.2018 Hannover, Musikzentrum
18.05.2018 Frankfurt am Main, Batschkapp

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