Erinnert ihr euch noch an Frauke Petry? Die jahrelange Gallionsfigur mainstreamgewordenen Fremdenhasses, die immer und immer wieder in Talkshows und Interviews saß und stoisch lächelnd falsche Zahlen wiederholte? Nun, Frauke Petry ist Geschichte. Ihren Posten als telegene Vorzeige-Rechtspopulistin hat nun Alice Weidel eingenommen. Der Rest der AfD fällt mit Badehose-Skandalen auf und mit dem Versuch auszutesten, wie viel Menschenfeindlichkeit der Bundestag aushält – und scheint sich trotzdem nahezu ungebrochener Beliebtheit zu erfreuen. Quo vadis, Deutschland?
Und nun liefert Parteigenossin Beatrix von Storch auch noch ein Interview ab, in dem sie über große Teile des Gesprächs vergessen zu haben scheint, wofür ihre Partei eigentlich so steht.
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Von Storch war am Dienstagabend ins BBC Newsnight-Studio zugeschaltet, um mit Moderatorin Emily Maitlis über die deutsche Flüchtlingspolitik zu sprechen – oder zumindest darüber, wie die AfD mit Geflüchteten umgehen würde, wenn sie diesbezüglich wirklich etwas zu sagen hätte. Wessen Asylantrag abgelehnt wurde, der müsse abgeschoben werden, sagt von Storch. Wenn es sein muss, auch gegen seinen Willen.
Überraschend ist das nicht, schließlich ist die Politikerin in der Vergangenheit schon öfter unglücklich auf der Maus ausgerutscht und hatte deswegen unter anderem getwittert, dass man bei illegaler Grenzüberquerung auch auf Kinder schießen könne. Im Gespräch mit der BBC gibt sie sich zunächst allerdings gemäßigt. Wüsste man nicht, wie rechtsradikal sich die AfD zum Teil positioniert, man könnte fast glauben, hier spricht einfach nur eine Bürokratin, die sich sklavisch an deutsche Asylvorschriften hält.
Auch als Emily Maitlis fragt, ob die AfD auch sämtliche Musliminnen und Muslime aus Deutschland ausweisen wolle, wiegelt von Storch ab: “Wir wollen, dass die illegalen Migranten unser Land verlassen, die kein Recht haben, hier zu sein.” Das habe nichts mit Religion zu tun. Schon im April 2018 hatte Beatrix von Storch viele überrascht, als sie gegenüber Zeit Online äußerte, gar nicht alle Musliminnen und Muslime abzulehnen – nur eben die meisten.
Beatrix von Storch ist auf ideologischem Kuschelkurs
“Ich beziehe mich nur auf ihr Wahlplakat”, sagt Maitlis trocken. “Auf dem steht: Der Islam gehört nicht zu Deutschland.” Wirklich Stellung beziehen will von Storch dazu nicht. Auch die Plakate, auf denen die AfD mit weißen, schwangeren Frauen dafür wirbt, deutsche Kinder wieder “selbst” zu machen, sollen gar nicht so gemeint gewesen sein. “Es geht darum, dass Migration unsere demografischen Probleme nicht lösen kann”, sagt von Storch. Klar. Und der Slogan “Burka? Ich steh’ mehr auf Burgunder”, sollte wahrscheinlich nur die internationale Wichtigkeit deutscher Weinanbaugebiete betonen.
Egal wie zugespitzt die BBC-Journalistin ihre Fragen stellt, egal wie sehr sie versucht, ihre Interviewpartnerin auf klare Aussagen oder vergangene AfD-Statements festzunageln, von Storch scheint einen ideologischen Kuschelkurs eingeschlagen zu haben. Klar müsse man Geflüchteten helfen, nur eben nicht, indem man sie bei sich aufnimmt. Natürlich sollten geflüchtete Familien nicht voneinander getrennt werden, wie es in den USA passiert ist – aber wenn die Eltern Straftaten begangen haben, “inhaftiert man normalerweise nicht die Kinder mit”, sagt von Storch.
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In Deutschland kauft mittlerweile kaum noch jemand der AfD die Maske der Bürgerlichkeit ab. Im europäischen Ausland, so scheint von Storch zu hoffen, könnten Zuschauer aber vielleicht wirklich glauben, dass sie und ihre AfD-Kollegen einfach nur ziemlich konsequente konservative Politik machen.
Schließlich fällt Beatrix von Storch aber doch noch aus der Rolle. In dem Moment, in dem Emily Maitlis wissen will, warum sie Donald Trumps Äußerung zu den vermeintlich steigenden Kriminalitätszahlen in Deutschland retweetet hat. “Sie wissen doch bestimmt, dass das faktisch falsch ist, oder?”, fragt die Journalistin. Tatsächlich sind die Straftaten auf dem niedrigsten Stand seit 25 Jahren. Plötzlich kommt Leben in von Storch. “Das ist Blödsinn, es tut mir Leid, das so deutlich sagen zu müssen”, platzt es aus ihr heraus.
Vielleicht sei die Gesamtzahl zurückgegangen, das habe aber damit zu tun, dass es weniger “Fahrraddiebstähle” gebe. Die echten, schlimmen Verbrechen, Mord zum Beispiel oder Vergewaltigung, seien hingegen gestiegen. (Sexualisierte Gewalt, wir erinnern uns, ist für die AfD ein wichtiges Thema – allerdings nur, wenn sie von Menschen mit Migrationshintergrund ausgeht.) Mehrfach setzt Maitlis an, um aktuelle Zahlen des Innenministeriums vorzulesen, von Storch redet aber unbeirrt weiter. Schließlich muss die Journalistin etwas hilflos lachen. “Die Leute gehen nicht mehr zur Polizei, wenn ihr Fahrrad gestohlen wurde”, behauptet die AfD-Politikerin, deswegen seien die Zahlen insgesamt im sechsstelligen Bereich gesunken. Eine Quelle für diese Behauptung nennt sie nicht. “Es wird so getan, als würde unser Land sicherer werden, aber das tut es nicht!”, sagt von Storch.
Beatrix von Storch beschwert sich anschließend auf Twitter
Nicht alles, was die AfD-Politikerin hier sagt, ist falsch. Die Zahl der Morde ist tatsächlich gestiegen, Gewaltkriminalität insgesamt hat allerdings abgenommen. Daraus zu schließen, dass Deutschland durch Geflüchtete unsicherer geworden ist, ist vor allem eines: Panikmache, die fremdenfeindlichen Parteien wie der AfD in die Hände spielt.
“Sie wissen, dass das alles nicht stimmt, oder?”, fragt Emily Maitlis. “Sie wissen, dass ihr Land die niedrigste Verbrechensrate seit 1992 hat, sich also auf dem tiefsten Stand der letzten 25 Jahre befindet. Sie wissen, dass auch die Gewaltverbrechen abgenommen haben”, zitiert sie aus den offiziellen Statistiken. “Sie hören einfach nicht zu!”, ruft von Storch, mittlerweile in ihrer angestammten Rolle als das trotzige “Menno”-Kind einer jeden politischen Talkrunde angekommen.
“Das ist das, was Ihr Innenminister sagt!”, ruft die BBC-Moderatorin schließlich sichtlich frustriert. “Sie nutzen Verbrechenszahlen, um den Leuten Angst zu machen, obwohl die nicht korrekt sind!” Beatrix von Storch, der mittlerweile klar geworden zu sein scheint, dass sie aus der Nummer auch mit ein paar improvisierten Fahrrad-Verschwörungstheorien nicht mehr rauskommt, entscheidet sich für eine andere bewährte AfD-Taktik: sich selbst zum Opfer machen.
“Sie müssen mich während eines Interviews nicht anschreien”, sagt sie betont gefasst am Ende des Interviews. Auf Twitter tritt sie anschließend nach. “Diese BBC-Redakteurin hat mich derart angebrüllt mit ihren hysterischen Fragen, dass ich sie später noch bitten musste, nicht so rumzuschreien”, schreibt sie zu einem Ausschnitt aus dem Interview. Nur: mit dem geteilten Video widerlegte sie sich direkt selbst. “Klassisches Eigentor”, lautet der Konsens bei mehreren Twitter-Nutzern.
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