Dieser Artikel stammt aus der Privacy and Perception Issue des VICE Magazines, das in Zusammenarbeit mit Broadly produziert wurde. Mehr Geschichten aus dem Heft kannst du hier lesen.
Vor Kurzem lernte ich einen Mann im Internet kennen. Wir unterhielten uns auf Facebook und per Video-Anruf. Er war attraktiv, lieb und hatte einen süßen Hund. Er hatte eine Art unangestrengte Maskulinität – gute Figur, aber nicht aus der Muckibude, der Bart war selbstgetrimmt. Was noch wichtiger war: Er stand auf Fetisch-Sex.
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Wenn wir über Fetische sprachen, spürte ich schon die Vorfreude, die sich vor sexuellen Begegnungen einstellt. Wir unterhielten uns so viel, dass ich mich schließlich traute, ihm zu sagen, dass ich trans bin und ihn persönlich kennenlernen wollte.
Seine Antwort war unmissverständlich: “Das hätte das Erste sein sollen, was du mir erzählst. Die Zeiten ändern sich. Ich wünsche dir alles Gute bei der Suche nach einem anderen.” Dann blockte er mich.
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Ich war nicht sicher, inwiefern sich die Zeiten änderten, wo er doch sofort abgeneigt war. Ich erinnere mich noch an eine Zeit, in den 80ern und frühen 90ern, als Anziehung keine Schubladen und Beschreibungen brauchte. Unsere Körper reagieren in Echtzeit aufeinander, ohne dass wir vorher darüber chatten und uns vergewissern mussten, dass die Bezeichnungen stimmen.
Heute bieten Dating-Apps viele Kriterien, anhand derer wir unsere Wunschpartner suchen können. Wie viel muss ich über mich verraten, um Intimität zu bekommen? Wie leicht kann ich jemanden kennenlernen, ohne dass mich dafür andere definieren? Die Wörter, die ich gezwungen bin zu benutzen, torpedieren oft meinen Wunsch nach einem Date. Ich bin trans, HIV-positiv und passe in keine einfache binäre Geschlechterrolle. Auf Tinder oder Grindr steht in meinem Pro l Zeug wie: “Trans-Femme sucht maskulinen Aktiven, dessen Schwanz entweder selbstgewachsen ist oder nicht.”
Oft schreiben mir Typen: “Du bist also eine Frau mit Schwanz?” oder “Bist du pre- oder post-op?”
Und ab hier wird es problematisch und ermüdend. Ich will einfachen, mühelosen Sex und kein lächerliches Gefummel, überschattet von Unsicherheit und Gedanken daran, dass mein Körper nicht gut genug ist. Ich will nicht, dass meine Genitalien zum ausschlaggebenden Faktor werden. Die der anderen sind es für mich nicht. Ob der Schwanz an natürlichem Gewebe oder an einem soliden Geschirr hängt, ist mir egal, so lange sie maskulin damit umgehen. Ich gebe online an, was ich preisgeben will – schreib mir halt nicht, wenn du nicht bereit bist, das auch zu nehmen, egal in welcher Form es kommt.
Als Nächstes tauschen wir Fotos von Gesicht und Körper, aber nicht von den Genitalien. Ich bin operiert, aber ich sehe meine Neo-Vagina als einen queeren Raum, der mir mehr Optionen eröffnen sollte und nicht weniger. Ich sollte meinen vaginalen Status mit niemandem teilen müssen, um mein Frausein zu bestätigen. Vor allem nicht, weil das auch ein Verrat an meinen Trans-Schwestern wäre, die nicht operiert sind. (Außerdem habe ich in der Vagina kein Gefühl, also ist es für mich nicht gerade weltbewegend, wenn jemand mich auf die herkömmliche Art fickt.)
Auf die Fotos kommt die Reaktion: “Ich wäre nie drauf gekommen, dass du trans bist. Du siehst echt aus, ich würde dich ansprechen.”
Diesen schmerzhaften Spruch sehen sie als Kompliment. Für mich bedeutet er, dass sie mich nicht als das sehen, was ich bin. Meine Bezeichnungen müssen also vielleicht noch deutlicher werden – aber wie, und welche Wörter gibt es noch? Ich will Sex und vielleicht auch mal ein nettes Date, aber mehr will ich dafür nicht verraten müssen. Ich kann mich nicht selbst lieben und gleichzeitig ständig Cis-Personen erklären, wer ich bin.
Im Hinterkopf habe ich immer meinen HIV-Status. Ich bekam meine Diagnose zu einer Zeit, als die Boulevardpresse sich einig war: Wir “Infizierten” hätten eine moralische Pflicht, die Welt über unser “toxisches” Blut zu informieren. Mein Gesundheitsstatus wirft viele Fragen auf, die meine Privatsphäre berühren. Soll ich es erzählen, und wenn ja, wann? Meine Viruslast ist unter dem Schwellenwert, es gibt keine Übertragungsgefahr. Trotzdem haben potenzielle Sexpartner schon aggressiv reagiert, wenn sie von meinem Status erfuhren. Ein Mann sagte, er würde herumerzählen, dass ich mit AIDS “infiziert” sei und versuche, andere zu in zieren. Ein anderer drohte, mich zu verprügeln, weil ich ihn gefährdet hätte.
Ich versuche es erneut mit meinem Onlinefirt. “Ich bin nicht cis”, sage ich. “Nichts für ungut, aber ich bin froh, dass ich trans bin. Ich brauche von dir wenigstens so viel Verständnis, mich nicht dafür zu verurteilen, dass mein Körper sowohl von Testosteron als auch von Östrogen geformt wurde.”
Zu diesem Zeitpunkt spürt keiner von uns mehr sexuelle Vorfreude. Wir wollen beide gewisse Dinge dringend wissen, wollen aber nichts sagen müssen. Es scheint, als müssten die Körper und Leben von Transpersonen beim Daten ein offenes Buch sein. Ich muss mein ganzes Selbstgefühl aufgeben, um die Vorstellungen anderer zu erfüllen–darüber, was ich sein kann oder nicht. Transfrauen werden oft zu Opfern von gewalttätigen Männern, weil sie angeblich nicht offen genug waren. 2017 gab es 28 Morde an Transpersonen in den USA, ein trauriger Rekord.
Wir leben in einer aufregenden Ära für LGBTQ-Personen, aber unsere Sprache ist noch zu schwarz-weiß. Die Unfähigkeit, neue Bezeichnungen zu akzeptieren und zu nutzen, ist allgegenwärtig. Cis- und Transpersonen kämpfen um das Recht, Wörter wie “Frau” oder “echt” benutzen zu dürfen. Transpersonen sind diese ständige Spannung gewöhnt, unsere “Echtheit” wird schon lange infrage gestellt. Wir haben einen guten Ausgangspunkt, um eine neue Art zu entwickeln, online über Intimität zu sprechen – eine, die alle Identitäten in ihrer subtilen, schwammigen Komplexität einfängt. Immerhin wurde meinem Körper durch Upcycling und Umgestaltung ein neues Leben gegeben. Aber die Label für mich werden wohl niemals ganz eindeutig sein.