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Berliner Justiz will auscashen: Beschlagnahmte Dealer-Bitcoin inzwischen zehnmal so viel wert

Wir wissen mittlerweile, dass der Bitcoin-Hype Online-Drogendealer und frühe Investoren ruckzuck zu Millionären gemacht hat, doch auch manche deutsche Behörden dürften den Champagner schon kaltgestellt haben. Denn die Justiz verdient am Darknet-Handel zumindest indirekt mit – an jedem in der Vergangenheit beschlagnahmten Dealer-Vermögen in Bitcoin. Der Berliner Justiz spülen 64 beschlagnahmte BTC jetzt einen netten Geldregen in die Kassen.

Konkret geht es um eine Ermittlung im Zusammenhang mit dem Archetyp aller Darknet-Schwarzmärkte, wie der Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft, Martin Steltner, telefonisch gegenüber Motherboard bestätigte: Silk Road.

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Silk Road, straff geführt durch den libertären Texaner Ross Ulbricht, war der von 2011 bis 2013 erste Darknet-Markt seiner Art mit einer breit gefächerten Angebotspalette von Drogen aller Art, gefälschten Ausweisen, Waffen und gestohlenen Waren. Viele weitere ähnliche Märkte folgten, nachdem Ulbricht 2014 zu lebenslanger Haft verurteilt wurde.

Auf Silk Road sollen ein 46-jähriger Japaner aus Berlin und seine zwei Helfer in rund 5.600 Fällen mit Kokain, MDMA und Marihuana gehandelt haben und die Drogen von Deutschland aus an Abnehmer weltweit geschickt haben. Der Hauptangeklagte trat unter dem Pseudonym Triple M oder Mora Moru auf. Ein amerikanischer IT-Spezialist kümmerte sich um die Finanzen, eine weitere Japanerin übernahm den Vertrieb. 640.000 Euro zwischen November 2012 und Oktober 2013 sollen Triple M und sein Team damit verdient haben, so die Staatsanwaltschaft.

Nach der Abschaltung von Silk Road durch das FBI bekam das LKA Hessen Tipps aus den USA zu dort aktiven Dealern aus Deutschland. Triple M, so stellte sich heraus, war umtriebig und soll nach dem Ende von Silk Road noch auf mehreren anderen Darknet-Plattformen gehandelt haben: AlphaBay, Hansa Market und Silk Road 2.0, Märkte, die es allesamt nicht mehr gibt.

Die Ermittlungen zogen sich über zwei Jahre hin. Im April 2017 wurde der Hauptverdächtige schließlich in Berlin festgenommen. Dabei stellte die Polizei neben Drogen auch 64 Bitcoin auf dem Rechner des Dealers sicher. Nun wird den dreien seit vergangenem Donnerstag vor dem Landgericht Berlin der Prozess gemacht.

Bei der Beschlagnahmung waren die Bitcoin 76.000 Euro wert – innerhalb der vergangenen acht Monate hat sich ihr Wert jedoch fast verzehntacht und liegt nun bei 726.272 Euro (Stand: 15. Januar 2018). Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin freut sich über diesen Jackpot auch öffentlich:

…musste ihn allerdings schnell korrigieren: Es hatte sich allein um die Wertsteigerung zwischen April 2017 und dem heutigen Tag gehandelt. Kann bei der Rasanz, mit der sich die Digitalwährung entwickelt, schon mal passieren.

Das Gericht hat dem Angeklagten und seinen Helfern bei umfangreichen Geständnissen eine geringe Haftstrafe von rund sieben Jahren in Aussicht gestellt – das würde zumindest einen kurzen Prozess und damit auch einen raschen Verkauf zu einem guten Preis ermöglichen.

Da sich durch die Kursschwankung ein erheblicher Gewinn erzielen lässt, “entfällt” der öffentliche Schlüssel für die Bitcoin-Wallets den meisten Darknet-Kriminellen vor Gericht. Im Falle von Triple M, dem eine vergleichsweise milde Haftstrafe von sieben Jahren bei einer umfänglichen Aussage in Aussicht gestellt wurde, stimmten die Angeklagten am vergangenen Donnerstag allerdings vor Gericht zu, ihre Bitcoin der Justiz zu überlassen, wie die Staatsanwaltschaft berichtet.

Doch der Geldsegen wirft angesichts der noch weitgehend unberechenbaren Entwicklung der Währung Fragen auf: Darf die Justiz zum Spekulanten werden und die Bitcoin genau dann loswerden, wenn der äußerst flatterhafte Kurs gerade richtig durch die Decke geht? Wer berät die Beamten in Finanzfragen? Und: Auf welcher Börse darf der Handel stattfinden, mit der die Justiz das Geld letztlich auscasht? Hat die Justizkasse ein eigenes Wallet oder lässt sie sich das Geld über eine Wechselbörse in Euro auszahlen?

Auf diese wichtigen Fragen antwortet uns die Staatsanwaltschaft bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung nicht. Wir werden den Artikel an dieser Stelle ergänzen, sobald wir mehr erfahren. Der Blick auf ähnliche Fälle lohnt aber, um zu verstehen, wie die Justiz mit solchen Bitcoin-Schätzen umgeht.

So kann ein anderes Bundesland sogar noch mehr jubeln: Als 2014 die Darknet-Marktplätze Hydra und Silk Road 2 nach Razzien abgeschaltet wurden, beschlagnahmten Ermittler in Hessen 126 Bitcoin bei Verdächtigen, die laut des Staatsanwalts an der Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität jetzt 1,9 Millionen Euro wert sind. Logisch, dass auch Hessen die Kryptowährung schnell loswerden will. Nur wie?

Die Strafprozessordnung erlaubt den schnellen Verkauf eines Gegenstands, “wenn sein Verderb oder ein erheblicher Wertverlust droht” – wie etwa eine sündhaft teure Champagnerflasche aus dem Anwesen eines Drogenbarons. Diese Klassifizierung erlaubt staatlichen Stellen, die heiße Ware in einer sogenannten Notveräußerung loszuwerden – und damit relativ fix zu Geld zu machen.


Bei Motherboard: Zu Besuch in der chinesischen Bitcoin-Mine


Hessen hat sich auch schon einen Marktplatz ausgesucht: Bitcoin.de soll es werden. Die größte Bitcoin-Website in Deutschland gilt hierzulande als einzig regulierte Handelsplattform für Digitalwährungen – und gibt, was vielen Kunden nicht bewusst sein dürfte, Strafverfolgungsbehörden auf Anfrage auch Kundendaten weiter. Sind die Formalien erfüllt, möchte Hessen den Verkaufsprozess für weitere Ermittlungen standardisieren.

Ein Präzedenzfall sind diese beiden Bitcoin-Deals allerdings nicht: Schon 2015 bescherte der festgenommene Online-Dealer Shiny Flakes der sächsischen Justiz einen fetten Bitcoin-Schatz. Am 21. Mai 2015 verkauften die Kläger rund 1.197 Kryptowährungs-Einheiten für etwas über 400.000 Euro. Heute wären sie weit über 13 Millionen Euro wert gewesen.

Noch ist nicht bekannt, auf welchen Bitcoin-Vermögen staatliche Stellen insgesamt sitzen, doch das Bundeskriminalamt trägt dazu aktuell Fälle zusammen. In der kommenden Kriminalstatistik für 2017 will das BKA erstmals auch beschlagnahmte Bitcoin ausweisen.

Aus Fulda heißt es, die Cybercrime-Einheit hätte seit ihrer Gründung Bitcoin im vierstelligen Bereich einkassiert – je nach Verkaufsdatum ist das eine beachtliche Einnahmequelle für Ermittler.

Und so hat die vermeintliche Anonymität des Darknets und seiner Zahlungsmittel, über die Ermittler immer noch gern fluchen, vielleicht auch seine Sonnenseite – zumindest für die Staatskasse. Wir können den Behörden nur einen Rat geben: unbedingt HODLn.

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