Freitagabend in einer Bar in Los Angeles. Ich bin mit einer Freundin verabredet, kann sie aber nirgends im Gedränge entdecken. Dafür sehe ich mehrere Typen, die mich aufdringlich mustern.
Einer von ihnen nähert sich aggressiv, greift mich am Arm und versucht, mich zu ihm herumzudrehen. Überrascht und desorientiert lasse ich es geschehen. Er stellt sich als Julien vor, möchte meinen Namen und meinen Beruf wissen. Ich habe mich inzwischen wieder gefasst und will einfach nur meine Freundin finden. Das sage ich Julien auch, ihm ist das aber offensichtlich egal. Er versucht, mich in einen anderen Teil der Bar zu bugsieren. “Ich liebe dich! Komm schon. Hier rüber”, ruft er. “Zwei Minuten! Nur zwei Minuten!”
Videos by VICE
Ich zögere kurz, was er als Einladung auffasst, die Arme um mich zu legen. Mein ganzer Körper versteift sich. Da bellt er mich an: “Was ist dein Problem?” Ich sage ihm, diesmal schön deutlich, dass er sich verpissen soll. Endlich weicht er zurück. Leider bleibt er nicht der einzige Typ, der mit dieser übergriffigen Masche versucht, mir nahe zu kommen.
Mehr lesen: Die deutsche Pick-up-Szene ist eine Brutzelle für Rechtspopulisten
Zum Glück bin ich gar nicht wirklich in einer Bar in Los Angeles, sondern spiele ein Spiel auf meinem Laptop. The Game: The Game ist ein Dating-Simulator, entworfen und entwickelt von der Künstlerin Angela Washko. Das außergewöhnliche Videospiel ist aktuell im Museum of the Moving Image in New York City spielbar und soll erfahrbar machen, wie es ist, sich mit selbsternannten Verführungsexperten herumzuschlagen – allgemein als “Pick-up-Artists” (PUA) bekannt. Musikalisch untermalt werden die Begegnungen gänsehautfördernd von der experimentellen Band Xiu Xiu.
Die Männer der Pick-up-Szene haben ganze Systeme für sogenannte “Verführung” entwickelt und damit eine florierende Industrie geschaffen, in der sie ihre Methoden an andere Männer verkaufen. Auch in Deutschland erreichen PUAs seit Jahren ein aufmerksames Publikum aus frustrierten Männern. Roosh V, ein berüchtigter Star der Szene und ausgewiesener Vergewaltigungsbefürworter, machte bei seiner “Welttournee” 2015 auch in Berlin Halt (die Tournee umfasste lediglich vier Länder). Berühmt-berüchtigt wurde er unter anderem für offen frauenfeindliche Artikel wie “Street Harassment ist ein Mythos, den sozial zurückgebliebene weiße Frauen erfunden haben”, mittlerweile ist er begeisterter Unterstützer der Alt-Right-Bewegung.
PUAs nennen ihren gezielt manipulativen Umgang mit Frauen, der natürlich zum Sex führen soll, “Game”. Diesen Spieß hat Angela Washko nun umgedreht und selbst ein Spiel aus den Interaktionen gemacht. Mit Geldern aus Stipendien kaufte sie jeden Kurs, jedes Buch und jeden Guide der prominentesten PUAs, um daraus ihre Spielszenarien zu konstruieren. Dabei hält sich die Entwicklerin genau an ihre Quellen: “Julien”, dem ich gleich zu Anfang begegne, legt Washko zufolge exakt das Verhalten an den Tag, zu dem der echte PUA Julien Blanc rät. Dem amerikanischen Aufreißerguru ist die Einreise in Großbritannien, Australien und Singapur untersagt, weil er zu sexuellen Übergriffen aufgerufen hat. Auch in Deutschland gab es eine Kampagne für ein Einreiseverbot, die allerdings erfolglos blieb.
Insgesamt begegnet die Spielerin in The Game: The Game sechs Pick-up-Artists. Darunter ist auch Roosh V, bürgerlicher Name Daryush Valizadeh, der im Spiel eines seiner Pseudonyme trägt: “Luke”. Auch mit von der Partie sind Neil Strauss, der mit seinem Buch The Game so etwas wie der Gründer der Szene ist, und Erik Von Markovik, der sich “Mystery” nennt und 2007 dermaßen Mainstream war, dass er seine eigene PUA-Reality-Show auf VH1 hatte. (Gegen Ende seiner Spiel-Storyline versucht Markovik, dich in sein Zimmer zu kriegen, indem er anbietet, dir sein Haus auf Google Earth zu zeigen. Sexy.)
Mehr von Broadly: Die letzten Lesbenbars in den USA
Bei aller Realitätsnähe ist es Washko wichtig, die Personen vor dem Computerbildschirm nicht zu traumatisieren. “Ich würde nie jemanden zu den Interaktionen in dem Spiel zwingen wollen – im echten Leben wären diese Begegnungen schließlich auch traumatisch”, erklärt sie Broadly in einem Telefonat. Wenn im Spiel ein Pick-up-Artist auftritt, hat man die Option, die Begegnung mit einem “Fuck off” sofort zu beenden. Eine negative, aber dennoch passive Reaktion führt hingegen im seltensten Fall dazu, dass der PUA von seinem Opfer ablässt. The Game: The Game lässt allerdings auch zu, dass die Spielenden positiv auf die Anmachen reagieren.
Washkos Inspiration zu dem Spiel begann mit einem Projekt, das sie 2012 startete: In The Council on Gender Sensitivity and Behavioral Awareness in World of Warcraft stellte sie sich Spielern des Multiplayer-Onlinespiels World of Warcraft als Forscherin vor und sprach mit ihnen über deren Ansichten zum Thema Feminismus. Als WoW-Spielerin empfand sie die Community häufig als frauenfeindlichen “Boys’ Club”; durch ihr Projekt wollte sie die Hintergründe dieser Dynamik besser verstehen. Bald stellte sie fest, dass viele ihrer Interviewpartner in der sogenannten “Manosphere” aktiv waren. Zu dieser Online-Welt zählen sich nicht nur Pick-up-Artists, sondern auch Männerrechtler und Anhänger konservativer und rechtsextremer Bewegungen.
Diese Entdeckung brachte Washko auf Valizadeh und ihr nächstes Projekt. In seiner Bang-Buchreihe erklärt Valizadeh Männern, wie sie Frauen in verschiedenen Ländern und Städten ins Bett kriegen sollen. Vor allem aber gibt er damit an, wie viel Sex er angeblich schon gehabt hat. Washko war sich sicher: Die Frauen, von denen Valizadeh da spricht, haben bestimmt eine ganz andere Geschichte zu erzählen. Ihr Projekt gipfelte in einem zweistündigen Interview mit Valizadeh persönlich – das wiederum dazu führte, dass Washko öffentlich beleidigt und belästigt wurde. Um den Frauen ähnliches zu ersparen, entschied sie sich letztendlich dagegen, die Geschichten von Valizadehs “Eroberungen” zu teilen.
The Game: The Game soll die PUA-Community nun auf eine andere Art in den Fokus stellen. Nachdem Washko ihr Interview mit Valizadeh veröffentlicht hatte, schrieben ihr Männer, Roosh V sei ein extremer Vertreter der Community. Washko nahm ihre Einwände zum Anlass, auch die anderen prominenten PUAs unter die Lupe zu nehmen und sprach dazu vor allem mit Anhängern der Szene. Bei ihren Recherchen stellt sie fest, dass es tatsächlich deutliche Unterschiede in den Methoden der vermeintlichen Flirt-Gurus gab. “Roosh V war nur ein Teil des Gesamtbilds”, erklärt sie. “Es war mir wichtig, eine ganze Bandbreite zu zeigen.”
Sie grenzt Valizadehs Vorgehen deutlich von einem Strauss oder einem Markovik ab. “Roosh V. ist sehr transparent, was die politische Einstellung hinter seinen Methoden angeht”, sagt Washko. “Er sagt deutlich, wie progressive Bewegungen seiner Meinung nach seine Pick-up-Bemühungen beeinflussen”, sagt Washko. Valizadeh wirft dem Feminismus explizit vor, dafür gesorgt zu haben, dass Frauen keine Männer mehr brauchen – und Männer wie er deshalb “Game” brauchen, um überhaupt Frauen für sich zu interessieren. (Auf seinem Blog legt er diese Ansichten in weitaus kruderen Worten dar.)
Andere PUAs würden ihre “Verführungstechniken” eher in den Kontext der Selbsthilfe rücken. Der “Verführungscoach” Ross Jefferies beispielsweise behauptet, er würde Männern beibringen, Frauen anzusprechen, ohne die “vier Bs” einzusetzen – “bullying, buying, begging and booze”. Die Männer sollen also weder gemein werden, noch zu spendabel, sie sollen auch nicht betteln oder die Auserwählte abfüllen. Jefferies hat sich bereits gegen die “dunkle Seite” der PUA-Szene ausgesprochen. Washkos Spiel zeigt allerdings: Für die Frauen, die sich diesen Bemühungen ausgesetzt sehen, fühlt sich das alles gar nicht so unterschiedlich an.
Washko zufolge ist es jedoch genau diese Bandbreite an Methoden, die PUA bei Männern zu so einem Erfolg gemacht hat. “Diese Verführungscoaches sprechen Männer an, die aus diversen Gründen sozial unbeholfen sind und in der Dating-Welt Nachteile haben”, erklärt sie. “Diese Männer sind verzweifelt auf der Suche nach einer Methode, mit Frauen zu kommunizieren.” Weil die PUA-Gurus einfache Antworten böten, hätten sie eine Art Monopol auf die Aufmerksamkeit der Verzweifelten.
Doch es ist höchste Zeit, dass jemand andere Antworten findet. Seit er 2005 sein Buch The Game veröffentlichte, hat Strauss sich von der Community abgewandt und PUA als “eine traurige Art zu leben” bezeichnet. Traurig, aber auch gefährlich: 2014 ermordete der 22-jährige Elliot Rodger, einst ein aktiver Pick-up-Fan, im kalifornischen Isla Vista sechs Menschen. Er hinterließ ein Manifest, in dem er seinen Hass auf Frauen verkündete, weil diese nicht mit ihm schlafen wollten. Nicht nur Mörder treibt Frauenhass an, sondern auch Wähler: Viele aufgebrachte Vertreter der “Mannosphäre” sind in Richtung Rechtsextremismus gedriftet, wählen Trump oder AfD.
Mehr lesen: Meine verzweifelte Suche nach Feminazis
Wer als Frau The Game: The Game spielt, wird leider zweifellos an echte Barbesuche erinnert. Denn Männer müssen keinem Guru ein kleines Vermögen zahlen, um zu lernen, wie sie erbarmungslos Hatz auf wider- und unwillige Frauen machen. Diese Information ist in unsere Kultur an jeder Ecke gratis erhältlich. Genau deswegen könnten aber auch Männer davon profitieren, The Game: The Game zu spielen. “Schon die frühere Version des Spiels hinterließ bei Männern offensichtlich einen starken Eindruck”, sagt Washko. “Männer, die das Spiel spielen, erleben aus der Ich-Perspektive, wie es ist, wenn jemand ständig ihren persönlichen Freiraum missachtet und ihnen eine Reaktion abverlangt.”
Letztendlich hofft die Künstlerin, damit nicht nur die männliche Empathie zu schärfen, sondern auch vielen Männern zu einer lebensverändernden Erkenntnis zu verhelfen: Wenn sie merken, dass sie beim Flirten teilweise dieselben Methoden verwenden wie ein aggressiver selbsternannter Baggerprofi, der Frauen nur als Mittel zum Zweck sieht – vielleicht ist es dann an der Zeit, sich neue Methoden zu suchen.