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Warum wir aufhören sollten, die AfD wie eine Zombie-Epidemie zu behandeln

Das ständige Fragen, wer „Schuld" an den AfD-Erfolgen hat, ist wirklich schlecht für unsere Demokratie.
AfDler feiern ihren Sieg | Foto: imago | Objektif

Der triumphale Einzug der „Alternative für Deutschland" in drei Landtage hat wie erwartet für einige Unruhe im deutschen Politikbetrieb gesorgt. Auf Wahlpartys, in den Kommentarspalten der Zeitungen, sogar in der offiziellen Äußerung der Kanzlerin dreht sich eigentlich alles um die eine Frage: Wie konnte das passieren? Was ist schief gelaufen? Und vor allem: Wem können wir die Schuld daran geben?

Auf Antworten musste man natürlich nicht lange warten. Für Horst Seehofer zum Beispiel war ziemlich schnell klar, dass Angela Merkel und ihre Flüchtlingspolitik die Hauptschuld tragen. Darin stimmt ihm unter anderem Hans-Werner Sinn vom ifo-Institut zu (sagt er aber schon immer). Andere weiten das gerne auf die ganze CDU aus: Der Politikwissenschaftler und Pegida-Übersetzer Werner Patzelt zum Beispiel, aber auch Jacques Schuster von der Welt sowie der absolute Großteil seiner Leser finden, die AfD sei ein „Kind der CDU". Mit Thomas Oppermann hat sogar ein SPD-ler der CDU vorgeworfen, nicht mehr konservativ genug zu sein und so die AfD gefördert zu haben.

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Auf der anderen Seite gibt es aber auch genug Leute, die ihrerseits zum Beispiel Horst Seehofer die Schuld geben. Seine Art, der AfD rechts die Positionen wegzuquatschen, gäbe den Rechtspopulisten noch mehr Auftrieb, schreibt die Süddeutsche. Sein Gerede von einer „Herrschaft des Unrechts" sei Wasser auf ihre Mühlen, meint die SPD. Und in einem Kommentar kurz vor der Wahl erklärte zum Beispiel taz-Politik-Redakteurin Bettina Gaus: „Aus meiner Sicht haben die etablierten Politiker einen Riesenanteil an dem Aufstieg der AfD … über Wochen und Monate haben sie sich thematisch vor der AfD hertreiben lassen."

Das sind also die beiden Hauptpositionen: Für die einen hat also Merkels Politik Schuld, für die anderen sind es dagegen die Merkel-Kritiker, die der AfD weiterhelfen, indem sie ihre Positionen ernst nehmen und so eine „Diskursverschiebung nach rechts" mit vorantreiben. Dazu kommen dann noch eher verstreute „Schuldige" wie die sozialen Medien, Wladimir Putin oder der Kapitalismus.

Aber was, wenn niemand „Schuld" an der AfD hat—außer eben die AfD und ihre Wähler selbst? Wäre es nicht Zeit, diese „Schuldfrage" einfach hinter sich zu lassen?

Natürlich hat der Aufstieg der AfD Ursachen, Gründe, Hintergründe. Bestimmt hätte man als CDU oder als SPD oder auch als Medien anders mit dieser Herausforderung umgehen können. Aber ist es wirklich sinnvoll, immer bei irgendwem die „Schuld" für die AfD zu suchen—als wäre die AfD eine Art Zombie-Epidemie, der man mit der richtigen Eindämmung schon irgendwie hätte beikommen können.

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Das Problem an dieser Schuld-Rhetorik ist, dass sie die AfD-Wähler immer noch völlig entmündigt—genau das, was viele Kommentatoren immer wieder an den politischen Eliten kritisieren. Leute, die die AfD wählen, werden oft fast mitleidig so behandelt, als hätten sie sich irgendwas eingefangen. Als wäre es völlig unmöglich, dass jemand bei klarem Verstand sich dazu entschließt, eine rechtspopulistische Partei zu wählen. Da muss ja irgendjemand anders Schuld dran haben—Merkel halt, oder Seehofer, oder alle beide. Der einzige, der nie Schuld haben darf, ist der Wähler selbst. Auch dann nicht, wenn er sich hinstellt und deutlich sagt, dass er die AfD gewählt hat, weil er eben keinen Bock hat, sich „von irgendwelchen Negern anbetteln" zu lassen.

Wurde von der Politik gezwungen, das zu sagen: AfD-Wähler | Screenshot aus diesem Video

Vielleicht sollte damit jetzt einfach Schluss sein. Vielleicht müssen wir uns als Gesellschaft damit abfinden, dass es unter uns eben 12, 15 oder sogar 24 Prozent Menschen gibt, die es OK finden, einer mit Rassismus und Rechtsextremismus nicht nur liebäugelnden Partei ihre Stimme zu geben. Oder anders gesagt: Die die aktuellen Herausforderungen, die die Flüchtlingskrise an Deutschland stellt, zur Kenntnis genommen haben und dann beschlossen, dass sie zu schwach, zu ängstlich und zu fremdenfeindlich sind, um sie anzunehmen. Wir sollten ihre Wahl, ihre moralische Entscheidung respektieren und ihnen dafür voll und ganz die Schuld geben. Die Demokratie, wie man so schön sagt, wird es aushalten.

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Ein Einparteiensystem ist eben auch keine Alternative

Was gerade passiert, ist dagegen langsam wirklich besorgniserregend für die Demokratie: Wenn nämlich von allen Seiten immer wieder behauptet wird, die „Zerstrittenheit" der Koalition sei auch „schuld" am Erfolg der AfD.

Zum Beispiel Gaus, im selben Kommentar wie vorher: „Der Ton innerhalb der großen Koalition ist auch nicht gerade als vertrauensbildende Maßnahme zu verstehen. Also, wenn der eine von der ‚Herrschaft des Unrechts' spricht, und der andere eine Politik als erbärmlich bezeichnet, was dann wiederum von einer Dritten ihrerseits als ‚erbärmlich' bezeichnet wird, dann braucht man sich auch nicht zu wundern, dass Teile der Bevölkerung jedes Vertrauen in Politiker verlieren."

Das ist immerhin die Politikredakteurin der linken taz, die hier im Grunde Politiker dafür kritisiert, dass sie Angela Merkel kritisiert haben. Im Endeffekt heißt das: Hätten die Politiker nicht so viel rumdiskutiert, sondern sich einfach brav hinter dem Kurs der Kanzlerin eingereiht, dann wäre das alles nie passiert. Dieselben Leute, die früher wonnevolle Hasstiraden gegen Angela Merkels „Alternativlosigkeit" geschrieben haben, verlangen heute genau das: Hätten nur alle die Füße stillgehalten, dann wäre alles super gewesen. Nach der Wahl wurde diese Einstellung dann nochmal bekräftigt, als selbst CDU-Frau Ursula von der Leyen so getan hat, als seien im Grunde alle Stimmen, die nicht die AfD bekommen habe, irgendwie für die Kanzlerin, für die CDU, für die gute Sache abgegeben worden. Dass sie tatsächlich auch mal an die SPD gingen, ist eigentlich schon egal.

Ups, schafft ihr jetzt meinetwegen die SPD ab? Foto: imago | Christian Thiel

Es wäre sinnvoller, nicht aus Panik alle Unterschiede zwischen den etablierten Parteien weg zu glätten (wie gut das funktioniert, merkt die SPD ja gerade). Und wenn man einer Diskursverschiebung nach rechts entgegenwirken will, dann sollte man den Diskurs eben aktiv nach links verschieben—indem man zum Beispiel Angela Merkels Flüchtlingspolitik von links kritisiert. Zum Beispiel dafür, dass sie vordergründig immer wieder behauptet, sie habe keinen Plan B, gleichzeitig aber einiges dafür tut, dass immer weniger Flüchtlinge es tatsächlich nach Deutschland schaffen. Überhaupt ist die Lösung, syrische Flüchtlinge einfach in der völlig überforderten und vom Terrorismus zunehmend destabilisierten Türkei zu parken, an Zynismus kaum zu überbieten.

Über all das könnte man reden, und eigentlich müsste man das auch. Wenn man davon ausgeht, dass die AfD eben vor allem deshalb punktet, weil sie alternative „Lösungen" für die Flüchtlingskrise anzubieten vorgibt, dann ist es die Aufgabe der anderen Parteien, ebenfalls Lösungsvorschläge anzubieten, die sich vom Merkel'schen Durchwurschteln abheben.

Im Moment scheinen viele Politiker ernsthaft zu glauben, die beste Strategie gegen eine Partei, die sich „Alternative für Deutschland" nennt, wäre zu behaupten, es gäbe leider keine Alternative zu Angela Merkels Kurs. Wenn außer der AfD und Horst Seehofer niemand zu diskutieren bereit ist, dann ist die Richtung schon vorgezeichnet, in die sich der Diskurs verschiebt.