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Reisen

Ich bin mit 74 in eine Nudisten-Kommune gezogen

Nach dem Tod ihres Mannes verkaufte Fina die gemeinsame Wohnung in Barcelona und zog in eine Naturalisten-Kommune.
Fina in ihrem Zimmer | Alle Fotos von der Autorin

Fina in ihrem Zimmer | Alle Fotos von der Autorin

Fina ist 79. Vor fünf Jahren hat sie ihr altes Leben in Barcelona hinter sich gelassen, um Nudistin zu werden. Nach dem Tod ihres Mannes verkaufte sie die gemeinsame Wohnung, packte ihre Sachen und zog nach El Fonoll—ein Dorf in Katalonien, das gleichzeitig auch eine von Spaniens berühmtesten Naturisten-Kommunen ist.

Bevor sie Barcelona den Rücken zukehrte, arbeitete Fina als Tierpräparatorin. Die von ihr hergerichteten Tiere verkaufte sie an Sammler oder Museen. Finas Mann war Jäger und anscheinend wollte sie mit ihrer Arbeit eine Art Gegengewicht schaffen, indem sie zumindest einen Teil der Tiere am Leben hielt. Für sie begründet sich das in ihrer naturistischen Einstellung.

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Ein Typischer Ausblick in El Fonoll

"Naturismus ist eine Lebenseinstellung. Aber das Verlangen, auch wirklich so zu leben, muss tief in einem verankert sein. Ich bin schon so, seit ich sehr jung war. Mein Mann und ich sind oft an Nudistenstrände gegangen. Es klingt vielleicht klischeemäßig, aber das Leben ist zu kurz und manche Tage sind wolkig. Wir müssen die anderen genießen—die sonnigen Tage. Die kleine Fliege hier stirbt vielleicht in der nächsten Minute, aber so lange sie fliegt, nutzt sie den Tag", sagt sie.

Ich frage sie nach ihrer Familie. "Meine Eltern haben mich bekommen, da waren sie schon in ihren 40ern. Zum Glück war meine Mutter eine sehr moderne und optimistische Person. Alles, was ich bin, habe ich ihr zu verdanken", erinnert sie sich.

Fina und ein Nachbar laufen durch El Fonoll

Es liegt ziemlich auf der Hand, dass die 79-Jährige die Natur liebt. Immer wieder betont Fina, dass El Fonoll ihrer Vorstellung vom Paradies am nächsten kommt. Jeden Morgen, wenn sie aufsteht, dankt sie der Sonne dafür, dass sie Leben ermöglicht. Bevor die Nacht einkehrt, dankt sie der Erde für alles, was sie uns gibt.

Fina schätzt auch Bäume sehr—sogar so sehr, dass sie sie immer wieder umarmt, um sicherzugehen, dass diese ihre Wertschätzung auch mitbekommen. "Zuerst bitte ich um Erlaubnis, dann umarme ich sie. Aber man darf nur die gesunden Bäume umarmen, nicht diejenigen ohne Blätter. Die Bäume ohne Blätter brauchen ihre Ruhe, um wieder zu Kräften zu kommen. Ich habe in meinem Leben viel gelernt. Ich habe gelernt zuzuhören, tolerant zu sein und alles um mich herum zu lieben."

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Fina ist alleine hierhergezogen, aber fühlt sich mittlerweile als Teil der Großfamilie von El Fonoll. Sie selbst hat keine Kinder, da sie sich früher einfach nicht leisten konnte, welche aufzuziehen. Sie hat allerdings eine Nichte, die wie eine Tochter für sie ist. Allerdings hat die Nichte sie noch nie in ihrem neuen Zuhause besucht. "In ihrer Familie gibt es keine Naturisten, also habe ich sie nicht eingeladen. Ich wollte nicht, dass sie sich unwohl fühlen", erklärt sie ihre Entscheidung.

Sie steht jeden Morgen gegen 6:30 Uhr auf, orientiert sich aber tendenziell schon am Sonnenaufgang. Gegen 9 Uhr verlässt sie ihr Haus und geht die Fische im Stausee füttern. Gegen 11 Uhr wird die Sonne dann zu heiß. Trotz ihrer selbstgemachten Sonnencreme—einer Salbe aus Kokos- und Olivenöl—macht das fordernde katalonische Klima dann jede Aktivität unmöglich—gerade wenn man splitternackt ist. Ich kann das bestätigen. Um El Fonoll zu betreten und Fina zu besuchen, musste auch ich mich komplett ausziehen.

Fina und eine andere Einwohnerin von El Fonoll zeigen ihre Ohrringe

Wenn sie mit ihren Morgenaktivitäten fertig ist, kehrt Fina nach Hause zurück, um an ihrem Schmuck zu arbeiten. Diesen verkauft sie an andere Einwohner und gelegentlich auch an Besucher des kleinen Dorfes. "Ich bin nicht im Ruhestand. Ich arbeite ständig. Ich verwende Elemente der Natur und mache daraus Ohrringe und Anhänger. Dafür nehme ich heruntergefallene Blätter, Wurzeln und Steine. Ich glaube nämlich, dass alles auf der Erde eine Seele hat—auch die Steine", sagt sie.

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Eine von Finas liebsten Freizeitbeschäftigungen ist es, in den Hügeln von El Fonoll wandern zu gehen und dem Gesang der Vögel zu lauschen. "Vor Kurzem erst habe ich einen jungen Pirol gehört, der noch nicht richtig gelernt hatte, zu singen. Ich wusste, dass es ein Priol war, weil neben ihm ein ausgewachsener Vogel saß, der versuchte ihm das Singen beizubringen. Der kleine tat sein Bestes den großen zu imitieren, war dabei aber nicht besonders erfolgreich", lacht sie.

Fina und ihr Stand

Der katalanische Unternehmer Emili Vives hatte das verlassene Dorf 1998 gekauft. Er hatte den Traum, Spaniens erstes Naturalistenresort zu bauen, und so machte er sich daran, mit Freunden einige der verlassenen Häuser zu renovieren. Heute vermietet er diverse Grundstücke, inklusive einem Hostel und mehreren Wohnmobilen, die hier überall zu finden sind.

Menschen sitzen zusammen und essen Paella

Die Einwohner von El Fonoll können dort allerdings kostenlos leben und essen. Dafür müssen sie täglich nur einige Stunden Handarbeit erledigen—Arbeiten wie die Instandhaltung der Dorfanlagen oder Tierzucht. Die oberste Regel im Dorf ist: So lange es das Wetter erlaubt, müssen alle nackt sein. Fina selbst erlebte einen wichtigen Teil des Wiederaufbaus von El Fonolls mit: "Die ersten zwei Jahre lebte ich hier in einem Bauwagen. Als ich herzog, lag noch alles in Ruinen. Etwas später hatte ich schon mein eigenes Zimmer."

Ihre Wohnung ist voll mit Blättern, Vogelfedern und Souvenirs von ihren Reisen. Ein Porträtfoto von Fina in einem Helikopter hängt über ihrem Bett—es ist eine Erinnerung an ihre Kanadareise, wo sie vor nicht allzu langer Zeit war. "Ich liebe Reisen und in letzter Zeit reise ich wirklich viel. Ich bin jetzt an der Reihe das Leben zu genießen. Seit ich 8 war, habe ich gearbeitet und solange ich gesund bin, werde ich reisen. Vor zwei Jahren war ich in Peru. Ich bin alleine dort gewesen, aber in der Regel reise ich mit Freunden. Ich habe das Glück, Orte besucht zu haben, die viele Menschen in meinem Alter nicht sehen konnten—wie China", sagt sie, legt einen Anhänger mit einem Stein in meine Hand und gibt mir zum Abschied einen Kuss.