Claudio Pfeifer ist der Gründer des Berliner Verlags PogoBooks. Er ist nicht nur der Herausgeber von Rainer Siodas nächstem Buch FACK, das im August 2016 erscheinen wird, sondern hat auch Bücher von großartigen Fotografen wie Jim Mangan, Matt Lambert und Miron Zownir, die schon seit Jahren mit VICE zusammenarbeiten, verlegt. Da sich wahrscheinlich niemand so gut mit der Arbeit von Rainer Sioda auskennt wie Pfeifer, haben wir die beiden gebeten, sich ein bisschen für uns über FACK zu unterhalten.
Seit über 30 Jahren fotografiert der in Berlin lebende Fotograf Rainer Sioda in der Berliner Peripherie und im angrenzenden Brandenburg. In seiner aktuellen Serie FACK zeichnet er ein düsteres Bild der von Abwanderung betroffenen Gegenden Brandenburgs. Es ist eine fotografische Spurensuche durch Wälder, Hochhaussiedlungen, Paintball-Anlagen: verlassen, verödet, menschenleer und gerade deswegen auf subtile Weise furchteinflößend. Ein geradezu post-apokalyptisches Bild wird hier skizziert, aber auch immer wieder ironisiert. Da gibt es beispielsweise eine Vorliebe zur Beschriftung: In Autoscheiben, auf Bäume und an Hauswände getagged oder auf Werbebannern heisst es: „Dicke Hoden”, „Fick die Ex”, „White Power”, „Wohnen bei uns”, „Pure Hate” oder eben „FACK”.
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Auf einem Bild ist ein Willkommens-Banner abgebildet, das zynischerweise auf dem Kopf steht. Denn willkommen scheint hier niemand zu sein. Mauern, abgeschottete Hinterhöfe, geschlossene Wohnblöcke, verhangene Waldstücke. Sioda entwirft mit seiner Fotoserie ein dunkles Bild von Brandenburg, das als Kommentar zur aktuellen Stimmung in ganz Deutschland zu verstehen ist.
Claudio Pfeifer: Rainer, du bist in Treuenbrietzen geboren. Woher kommt der doch so düstere Blick auf deine Heimat Brandenburg?
Rainer Sioda: Der Titel „FACK” deutet schon einmal an, dass es um etwas anderes als die Schlösser und Gärten in der Mark geht. Ich scanne das Land fotografisch vor dem Hintergrund aktuell augenscheinlich verstärkt herumwabernder rechter Propaganda, Fremdenfeindlichkeit und eines sich beängstigend äußernden Nationalismus. Den Soundtrack für die Bilder liefert das Geifern auf Pegida-Demonstrationen, die Hassorgien in diversen Internetforen, das Brennen von Flüchtlingsunterkünften. Bei mir, wie vielen anderen auch, erzeugt das eine düstere und wütende Stimmung, die ich versuche zu artikulieren und zu diskutieren.
Was ist eigentlich los mit Brandenburg?
Ich bin viel und intensiv in der Gegend unterwegs. Dementsprechend groß ist mein Pool an Brandenburg-Bildern, der in den letzten Jahren entstanden ist. Letztlich war es erstaunlich und irritierend, dass mein Archiv zunehmend eine ziemlich große Menge an Stoff hergibt, das letztlich düstere Bild zugespitzt zu zeichnen. Natürlich gibt es in Brandenburg auch spezifische Bedingungen, die dieses ergeben. Große Teile des Landes, besonders jenseits des Speckgürtels um Berlin, sind von einer erheblichen Abwanderung betroffen. Unter denen, die gehen, ist der Anteil gut ausgebildeter Frauen überproportional hoch. Gleichzeitig steigt dementsprechend der Anteil zurückbleibender junger Männer mit unklarer Perspektive. Daraus entsteht eine ziemlich üble, beunruhigende Gemengelage mit augenscheinlich fatalen Folgen. Beispielsweise steht Brandenburg im Ranking rechtsmotivierter Gewalttaten auf Platz 1. Fast immer sind die Täter jung und männlich.
Geht es dir also in FACK vor allem um Aspekte von Jugendkultur?
Nicht ausschließlich, aber es ist so, dass die Jungs augenscheinlich mobiler sind und sich entsprechend verstärkt im „Kulturraum” artikulieren als der ältere Wutbürger, der sich zu Hause von „Überfremdung” bedroht fühlt. Aber es ist schon so, dass es letztlich um das Problem einer Jugendkultur geht, die sich momentan weiter in Richtung eines rechten Extremismus neigt. Während sich beispielsweise die rassistisch motivierten Gewalttaten in Brandenburg zwischen 1998 und 2005 im Vergleich zu den Vorjahren nahezu halbiert haben, steigen sie aktuell dramatisch an.
Wie artikuliert sich diese offensichtlich rechte Jugendkultur in deinen Bildern?
Ganz sicher stehen da Autos als mobile Stimmungsmacher an der Spitze. Hier mal eine Hitliste von Aufschriften auf frei in Brandenburg herumfahrender- und stehender Exemplare: „Jage nur, was du töten kannst”, „Lächle, du kannst sie nicht alle töten”, „Marschier oder stirb”, „Wodans Sturm”, „Hasskolonne”.
Deine Bildsprache funktioniert oft über das Element der Auslassung. Schaust du gerne Horrorfilme?
Ich schaue kaum noch Horrorfilme. Das Level des Ertragbaren scheint bei mir immer weiter zu sinken. Aber wenn du so fragst, bediene ich mich schon Elementen der Auslassung, Andeutung und Zuspitzung, um ein Gefühl des Unbehagens, des Verstörenden und potentiell Bedrohlichen zu erzeugen. Ich streue beispielsweise ab und an Landschaftsfotos ein, die im Kontext der Serie letztlich einen unangenehmen Schauder erzeugen. Es ist schon erstaunlich, wie das funktioniert.
In der Serie tauchen immer wieder Fotos von Paintballgebieten auf, sind ein immer wiederkehrendes Motiv. Warum?
Es gibt um Berlin erstaunlich viele Paintballgebiete. Dort wird eine Szenerie für eine Art analogen Egoshooter gebaut. Es werden Versatzstücke für den Häuserkampf zusammengezimmert, Hütten, Kirchen, Straßensituationen. Riesige Waldstücke werden mit Schutznetzen abgehängt. Seltsame Gebilde für Zielübungen werden kreiert. Innenräume sind mit der roten Farbe der Paintballs bespritzt. Alles in allem wirken die Fotografien davon wie Bilder einer völlig durchgeknallten Installation mit verstörender Symbolkraft.
Du zeigst viele Orte, an denen man sich nicht unbedingt aufhalten möchte. Auch wenn du keine Menschen abbildest, wirst du ab und an bei deiner Arbeit auf sie treffen. Wie waren die Begegnungen als du für FACK unterwegs warst?
In letzter Zeit haben mich Familie und Freunde häufiger gewarnt, doch vorsichtig zu sein, wenn ich vorhatte, an bestimmten Orten zu fotografieren. Zunehmend ist es so, dass ich beginne, mit einer Schere im Kopf unterwegs zu sein und einige Ecken präventiv zu No-Go-Areas zu erklären. So geht das aber nicht, denke ich mir. Mir ist auch nie etwas passiert. Aber es gab schon ab und an seltsame Begegnungen. In Forst zum Beispiel sind die Jungs im getunten Golf ewig im Schritttempo neben mir her gefahren, während ich mit geschultertem Stativ durchs dortige Plattenambiente geschlendert bin. Als ich in Wittstock fotografierend zwei Prachtexemplare von gepimpten Naziautos umkreist habe, bewegten sich zunehmend heftig die Gardinen in den Häusern ringsum. Das empfand ich unheimlicher, als mit dem Hinweis angeblafft zu werden, sich doch schleunigst zu verpissen. Du fragst nach Orten, an denen man sich nicht unbedingt aufhalten möchte. Ich bin da in einer komfortablen Situation, da ich dort nicht wohne. Es gibt dort aber viele bemerkenswerte junge Menschen, die dort bleiben, nicht aufgeben und etwas tun. Beispielsweise gibt es den Kinosommer „Schöner leben ohne Nazis”. Phantastisch!
Meinst du nicht, FACK könnte letztlich arrogant und abwertend wirken?
Sicher spitze ich zu, manipuliere ich letztlich durch Bildausschnitte und Bildauswahl und betreibe somit gewissermaßen Stimmungsmache. Insgesamt ist FACK ja auch nicht als Dokumentation mit dem Titel „So ist Brandenburg” zu verstehen. Ein Statement ist es aber ganz sicher.
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