Wir haben mit Brenk Sinatra einen Nachmittag in Kaisermühlen verbracht

Alle Fotos: Alexander Gotter

Manchmal wird aus einem Interview mehr. Christian Slater und Brat Pitt können davon ein Lied singen, Werner Faymann und Wolfgang Fellner kennen sich angeblich gar schon aus Kindertagen und auch auf tschechischen Casting-Sofas wird dokumentiert, dass es nicht immer staubtrocken zugehen muss. Die Voraussetzungen müssen eben stimmen. Als wir im Frühling dieses Jahres am frühen Nachmittag in Kaisermühlen ankommen, sind Himmel und Stimmung grau. Die Hälfte des Redakteur-Duos ist schrecklich verkatert, der Fotograf hielt sein Rad im strömenden Regen für die ökologischste Lösung und überhaupt ist Kaisermühlen nicht Prag.

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Der Auftrag war simpel: „Fahrts raus zum Brenk und machts ein Interview zu seiner Kalifornien-Reise. Brauchen wir dann nächste Woche.” Ok. Eh leicht. Kater und Regen standen im Kleingedruckten, nicht aber dass Kaisermühlen gar nicht Prag sein muss oder will. Brenk Sinatra, eigentlich Branko Jordanovic, ärgert sich kurz über das Wetter, aber weist uns an, ihm zu folgen. Unser Fotograf hat eine nasse Hose und lächelt.

Wenig später nehmen wir auf der Terrasse des „Zum Schinakl” Platz. Das Gasthaus ist immer der Star. Vom Arm der Alten Donau schallen Kommandos des Rudervereins, Segelboote schaukeln am Pier im Wind. Der Fotograf hat noch immer eine klatschnasse Hose, aber beginnt zu knipsen. Bei uns macht sich ein Riviera-Gefühl breit – nur eben auf Plastiksessel und am Laberlweg in Kaisermühlen. Manchmal fährt ein Räumungsfahrzeug über den schmalen Weg vor der Terrasse. „Das ist hier mein Universum. Ich muss nicht unbedingt in den Clubs abhängen,” sagt Brenk. „Ich würde mich selbst auch nicht wirklich als ,Social Butterfly’ bezeichnen, wie die Amis so schön sagen. Ich setze mich hier aufs Rad, hör meine Musik noch einmal durch und das passt dann.” Schmetterlinge fliegen auch nicht im Regen.

Brenk Sinatra macht übrigens Beats. Der 34-jährige Wiener ist ein Aushängeschild der österreichischen Produzenten-Szene, sein Album Gumbo 2 wurde als erstes Instrumental-Album für den HipHop-Amadeus nominiert. Die Liste der Collabos ist lang, reicht vom Trompeter Miles Bonny über die Formation Betty Ford Boys mit den Producer-Kollegen Dexter und Suff Daddy bis zum Sprung über den großen Teich zu DJ Premier. Zusammen mit Premo kommt dann eh bald das langerwartete Album für West-Coast-MC-Legende MC Eiht. Seine Longplayer Gumbo, Gumbo 2 und Chop Shop mit Fid Mella haben maßgeblich dazu beigetragen, dass Beat-Alben wieder im Salon der Wahrnehmung sind. Brenk sieht den Verdienst auch beim Label Melting Pot Music: „MPM ist sicher dafür verantwortlich, dass Beatmacher wieder im Vordergrund sind. Wir Kellerkinder dürfen jetzt auch an die Sonne. Ein Beat kann auch ein schönes Video und die entsprechende Öffentlichkeit haben und braucht nicht unbedingt Raps dazu.”

Vor dem Schinakl wird Bier getrunken. Dem Ruderverein und den Segelbooten ist das egal. Brenk erzählt von seiner Reise nach Los Angeles, dass sein Vater wohl kein Vegetarier mehr wird und wie man sich mit Kauholz das Rauchen abgewöhnt. Das Offizium, der simple Auftrag verschwimmt im Off-, On-und Irrelevant-Record. Das Räumungsfahrzeug bleibt. Branko Jordanovic ist eine Gratwanderung: zwischen Augenzwinkern und Ernsthaftigkeit, zwischen Zielgerichtetheit und Bestandsaufnahme, zwischen Schmäh und Gnackwatschn, zwischen Konservatorium und der Kaisermühlner Street.

Über zehn Jahre lang hat er im Lager einer internationalen Schuh-Kette gearbeitet: „Ich ging am Abend nach Hause, um mich hinter die Beats zu setzen. Es war ein Kreislauf aus Schuhen, Kartons und ohne Schlaf. Rückwirkend weiß man ja nie wofür was genau gut war,” erzählt Brenk. Dass er als Jugendlicher nach dem Tod von Tupac mit seinen Freunden im Park aus Wut die CDs von Biggie zerstört hat, dürfte keine schwerwiegenden Folgen nach sich gezogen haben. „Wir waren einfach wütend und wussten nicht wohin mit dem Grant. Es hatte fast etwas Sektenhaftes, als wir da im Park auf den Haufen CDs gesprungen sind. Kurze Zeit später dachte ich mir dann: Fuck, die hätte ich eigentlich wirklich noch gerne gehört,” so Brenk. Für den verkaterten Redakteur ist der Vorabend rückwirkend übrigens mittlerweile wurscht, er kontert im Stile von Inter Mailand unter Mourinho und ist nicht mehr verkatert.

Zur selben Zeit wird am Sportplatz der Wiener Viktoria schon nicht mehr gekontert. Das Hobby-Kleinfeldturnier ist zu Ende, in der Kantine gibt es für die Spieler Marlboro und Würschtel. Der Platzsprecher klingt ein bisschen wie Toni Polster, er ist es aber eigentlich nicht. Dafür ist Clemens Bacher eigentlich Cid Rim und die Kantine gefällt ihm. Wenn er nicht kickt, released er auf dem schottischen Label Lucky Me und sorgte erst kürzlich mit einem Remix für Sternchen Sky Ferreira für Aufsehen. Im Sommer rückte er zusammen mit Spezi The Clonious und dem südafrikanischen Rapper Okmalumkoolkat die Städte Wien und Johannesburg ein Stück näher aneinander und hauchte dem Sommer heiligen Sauerstoff ein. Das Schicksal, der Feiertag und moderne Kommunikation führen Cid Rim zur Riviera in der Laberlgasse. Man kennt und schätzt sich. Der ehemals verkaterte Redakteur ist mittlerweile betrunken, das Aufnahmegerät abgeschaltet und die Hose des Fotografen schon fast trocken.

Dass die musikalische Gegenwart Wiens viel zu bieten hat, ist mitunter bekannt. Auf der Terrasse des Schinakl wird sie offensichtlich. Wir haben die Gesprächshoheit längst vor das Räumungsfahrzeug geschmissen, die Sterilität der Interviewsituation in der Donau und im Bier versenkt. Es geht um Musik, Eulen, das Internet und Wien. Dass Brenk eigentlich ein neues Album im Köcher hat, wussten wir bis dahin nicht. Brenk erklärt: „Das war ursprünglich eine Schnapsidee von mir. Ich wollte zusammen mit Fid Mella eine zweite Chop Shop machen, die ausschließlich österreichische Samples enthält. Die Wiener Musik der 70er und 80er Jahre ist unfassbar. Ich habe übrigens gerade das Master bekommen. Wollt ihr es hören?” Ohne zu zögern lassen wir die Riviera hinter uns und tauchen ein paar Häuser weiter in die singende, klingende Unterwelt ein.

„Das Album soll eine Ode an ein längst vergessenes Wien sein,” sagt Brenk im Home-Studio in seiner Wohnung. Und genau das ist es. Chop Shop 2 – Singende, klingende Unterwelt ist eine Hommage an einen Sound, eine Generation und eine Szene, die irgendwie schon fast vergessen scheint. Es ist ein Spielfilm durch die Wiener Rotlicht-Szene der 70er Jahre, spannend, derb und unheimlich humorvoll zugleich – kein Kniefall, aber auch kein ironischer Klamauk. Jeder Skit und jede Nummer zollt der Musikalität und der Originalität Tribut, ohne sie zu verherrlichen oder gar ins Lächerliche zu ziehen. Mella und Brenk greifen dabei in Kisten, denen der Staub über die Jahre schon arg zugesetzt hat. Zu Unrecht: „Wir haben die Monate vor der Entstehung fast ausschließlich auf Flohmärkten verbracht. Das Ganze war eine Reise in die Vergangenheit, die zugleich spannend aber auch ziemlich teuer war. Aber es hat sich gelohnt,” so Brenk.

Schon das Intro lässt die Lichter der Gegenwart erlöschen und man findet sich im Bann einer Zeitreise und einer Milieustudie, die nahbarer nicht sein könnte. So sitzt man neben Georg Danzer an der Bar, jagt mit Ludwig Hirsch Dorfdeppen oder hört Kurt Sowinetz schimpfen. Es wird geflucht, gesoffen, geboxt, geprahlt und geträumt: irgendwo zwischen Ulrich Seidl und Dr. Who.

Dabei vergessen sich Mella und Brenk nie und verleihen den Auszügen des rötlich schimmernden und modrigen Wiens der Vergangenheit mit geschickten Beats und Arrangements eine gegenwärtige Musikalität. Die Mischung aus Tribut und Kontext gelingt bei den 28 Nummern spielend. Die Bezüge reichen von Wiener Lied bis hin zu einer fast ausgeblendeten Linzer Krautrock-Band. Fad wird das nie, zu faszinierend, räudig und lustig ist die Reise.

Wir trinken wieder Bier. Und Hennessy. Der eine Redakteur lacht zu oft. Während Brenk Cid Rim die Samples zeigt, versuchen wir das alles in einen Kontext zu setzen, träumen von Düsenjets und Ruderbooten. Die Riviera und die Unterwelt haben Spuren hinterlassen. „Der Danzer war überhaupt der Ärgste. Ein Wortschatz wie ein Gott, aber gleichzeitig wie ein Halunke mit dem Butterfly sitzen,” hallt es zwischen den Plattencovern hervor. Ja. Am Rückweg aus Kaisermühlen fühlen wir uns nicht so göttlich. Es ist noch nicht einmal 22:00 Uhr und wir haben Angst zu viel zu vergessen. Der eine Redakteur muss noch einen Staubsauger abholen. Manchmal wird aus einem Interview dann doch zu viel.

Chop Chop 2 von Brenk und Fid Mella ist am 1. September auf Hector Macello erschienen. Hier bekommt ihr es.

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