Metalheads sind konservativ. Sobald ihre Lieblingsband einen neuen Song rausbringt, schreien Fans ihr Handy an, weil das nicht mehr klingt wie die ersten Demoaufnahmen, die sie damals in ihrer Pubertät so gern gehört haben. Überspitzt gesagt. Oder auch nicht: Aktuell müssen sich die einstigen Deathcore-Shootingstars Bring Me The Horizon unzählige Vorwürfe darüber anhören, dass sie nicht mehr so einen martialischen Sound fahren wie auf dem Debüt vor 13 (!) Jahren. Als Metalband softer werden und sich dem Pop öffnen? Blasphemischer geht’s nicht.
Am 25. Januar erscheint das neue Album Amo, auf dem Bring Me The Horizon endgültig der Metalcore-Szene den Rücken kehren. Gleichzeitig könnten sie damit zu einer der größten Rockbands unserer Zeit aufsteigen. Früher gewannen sie einen von Myspace gesponsorten Kerrang-Award, dieses Jahr wird es vielleicht ein fucking Grammy, der wichtigste Musikpreis der Welt.
Videos by VICE
Auf dem brachial fett produzierten Amo gibt es nur in den Songs “Wonderful Life” und “Mantra” eine verhaltene Einladung, im Moshpit die Luft zu verprügeln. Der Rest ist Pop-Rock. Manchmal mit so wenig Gitarrenanteil, dass Justin-Bieber-Vergleiche naheliegend sind – was nicht mal beleidigend gemeint ist.
Trotzdem schwingt beim neuen Album selbst in der radiotauglichsten Nummer ein Nervenkitzel mit, als könnte die Band die poppigen Schafspelze jeden Moment fallen lassen. Darunter versteckt sich das Wolfsrudel, das damals das garstige “(I used to make out with) Medusa” geschrieben hat – und noch heute mit der alten Wut live performen kann.
Bring Me The Horizon haben wie kaum eine andere Band ihren Sound verändert, wissen aber noch genau, wo sie herkommen. Um herauszufinden, wie die Band ihren Wandel sieht, haben wir uns mit Sänger Oli Sykes, Gitarrist Lee Malia und Bassist Matt Kean in Berlin getroffen und sie gebeten, ihre eigenen Alben zu bewerten.
Platz 6: Count Your Blessings (2006)
Noisey: Ich habe mir schon gedacht, dass das Debüt auf dem letzten Platz landet.
Matt Kean: Wir wussten damals eben nicht, was wir da machen, und der Producer kam damit nicht gut zurecht.
Oli Sykes: Wir waren bei einem kleinen, aber guten kleinen Label, das zu der Zeit aber finanzielle Probleme hatte. Statt Adam Dutkiewicz von Killswitch Engage bekamen wir als Produzenten eben jemand anderen. Lee war ein guter Gitarrist, aber wir anderen waren keine Musiker. Unser Drummer Matt hat sich selbst beigebracht, wie man spielt. Wir wussten nicht, was ein Metronom ist und kannten Monitore nur von der Bühne.
Trotzdem hat euch das Album in der Szene echt bekannt gemacht.
Oli Sykes: Damals hatte wir keine großen Erwartungen an die Band. Wir wollten Musik machen, zu denen Leute moshen konnten. Wir haben einfach ein paar Songs aufgenommen, ohne lang darüber nachzudenken.
Das Album wurde von Kritikern nicht gut aufgenommen, aber die Kids haben es geliebt. Bis heute bitten uns Leute, Songs davon zu spielen, und sagen, das sei unser bestes Album. Was für uns mindblowing ist. Das ist das Ding: Auch wenn die Musik fragwürdig war, haben die Kids entschieden, ob du gut oder schlecht warst.
Dank des Albums haben wir auf riesigen Festivals in England gespielt und sind mit einer unsere Lieblingsbands, Bury Your Dead, durch Amerika getourt. Das war damals richtig krass für uns und hat dafür gesorgt, dass wir die Sache ernster angingen. Als wir CYB veröffentlichten, wussten wir schon, dass es schlecht klingt. Wir kamen so aus dem Studio: “Das klingt echt nicht geil, oder?” [Die anderen lachen]
Platz 5: There Is a Hell, Believe Me I’ve Seen It. There Is a Heaven, Let’s Keep It a Secret (2010)
Noisey: OK, das ist überraschend.
Lee Malia: Das war eine seltsame Zeit für die Band, weil wir so viel mit unserem zweiten Album Suicide Season getourt sind. Wir waren fertig. Als wir die CD aufnahmen, war es komisch, oder? Alle Songs sind echt lang.
Matt Kean: Suicide Season ging so ab, dass wir nicht wussten, was wir machen sollten. Bei den Aufnahmen zu There Is a Hell… hatten wir einen neuen Gitarristen, der nicht so richtig passte. Das Studio war in einem Industriegebiet in Schweden. In meinen Erinnerungen war es da die ganze Zeit dunkel und regnerisch.
Oli Sykes: Auch lyrisch. Suicide Season war fast schon Party-Metalcore. In vielen Songs ging es ums Saufen und Spaß. Genau das hatten wir damals auch. Bei jeder Tour floss ständig Alkohol, Bands klopften an unsere Tür und fragten, ob wir um die Wette kiffen wollen. Also gingen wir immer bekifft auf die Bühne.
Als Suicide Season durch war, war ich an einem viel dunkleren Ort. Das zeigte sich nicht nur in den düsteren Texten auf There Is a Hell… . Nach der Hälfte der Aufnahmen verlor ich meine Stimme. Weil ich die ganze Zeit Drogen genommen hatte und so. Ich wollte es damals nicht wahrhaben, ließ sogar meinen Rachen untersuchen. Dabei hätte sich meine Stimme erholt, wenn ich einfach mit den Drogen aufgehört hätte.
Es war so schrecklich, wir buchten immer wieder Studiozeit, aber ich konnte nicht singen. Das war irgendwann eine psychische Sache.
Wie hat es dann doch noch geklappt?
Während dieser Zeit mussten wir die Warped Tour spielen. Sobald ich auf der Bühne stand, konnte ich wieder ganz OK singen. Also haben wir ein paar Shows abgesagt und ich bin direkt wieder ins Studio. Ich habe krampfhaft neun Songs in zwei Tagen eingesungen. Weil ich mit den Drogen aufhörte, musste ich mich ständig übergeben. Voll auf Entzug, kotzen und aufnehmen. Unser Tourmanager musste bei mir im Schlafzimmer bleiben [lacht].
Die Band war nicht dabei, also musste ich alleine alle Entscheidungen über Melodien und so treffen. Ohne Feedback. Manches habe ich eingesungen, ohne dass es jemand vorher gehört hatte. Das hat nur teilweise funktioniert. Am Ende wurde es nicht so gut, wie ich erwartet hatte.
Es ist schwer für mich, heute das Album zu hören, obwohl es künstlerisch definitiv besser als Suicide Season ist.
Platz 4: Suicide Season (2008)
Noisey: Alles klar, ich habe mir schon gedacht, das jetzt Suicide Season kommt.
Lee Malia: Was das Songwriting angeht, war es sehr skizzenhaft. Wir haben ein paar Parts zusammengeworfen und gehofft, dass sie wie ein Song klingen.
Oli Sykes: Das war das erste Mal, dass wir mit einem richtigen Produzenten zusammengearbeitet haben. Wir wussten, dass wir anders klingen wollten, aber haben letztendlich trotzdem nur schwedische Metal-Riffs mit Breakdowns kombiniert. Du willst deinen eigenen Sound, aber andererseits willst du nicht, dass Leute mit “Was zur Hölle ist denn das!?” reagieren.
Lee Malia: Und wir dachten, das wäre ein großer Schritt weg von Count Your Blessings.
Oli Sykes: Das war es damals ja auch. Die Leute haben es erst nicht verstanden, von wegen “Slipknot wollen ihre Riffs wieder”. Diese Nu-Metal-Elemente galten damals einfach nicht als cool.
Platz 3: Sempiternal (2013)
Noisey: Bei dem Plattencover muss ich direkt an den Coldplay-Vorfall bei den NME-Awards 2016 denken, als du den Tisch von Coldplay abgeräumt hast. Hast du danach jemals mit Coldplay geredet?
Oli Sykes: Nein.
Es war echt nur Zufall?
Oli Sykes: Ich hatte keine Ahnung, dass das Coldplays Tisch war. Ich würde gern behaupten, ich hätte es gewusst, weil das echt Rock ‘n’ Roll wäre.
Diese Awardshow war außerhalb unserer Komfortzone, aber aus irgendeinem Grund hatten sie uns gefragt, ob wir dort auftreten wollten. Trotzdem gab keiner einen Fick, ob wir da nun spielen oder nicht. Also wollte ich einen großen Eindruck hinterlassen, um Leute auf uns aufmerksam zu machen.
Weil ich ein paar Wochen zuvor getwittert hatte, dass die Cover von Sempiternal und Coldplays Album ähnlich aussehen, dachten alle, wir wären richtig wütend und das wäre meine Rache. Es waren unglaubliche 24 Stunden.
Es wäre eben eine zu perfekte Geschichte.
Oli Sykes: Am nächsten Tag waren wir auf einer Titelseite, im Fernsehen lief auch was darüber. Alle haben über uns geredet. Es ist echt witzig, wie Leute Fakten verdrehen, um etwas interessant zu machen.
Platz 2: That’s The Spirit (2015)
Noisey: War es anstrengend, den poppigeren Sound-Wechsel dieses Albums immer wieder rechtfertigen zu müssen?
Matt Kean: Sempiternal war das Beste, was wir aus diesem Metalcore-Sound hätten machen können. Warum sich noch mal wiederholen oder es sogar schlechter machen? Stattdessen haben wir das getan, was wir immer tun: uns weiterentwickeln. Uns hat That’s The Spirit vollends in den Mainstream gebracht.
Platz 1: Amo (2019)
Gab es im Studio das Mantra “Es gibt kein ‘zu poppig’” oder “Scheiß auf alle, die Metalcore wollen”?
Oli Sykes: Total. Wir würden lügen, wenn wir sagen würden, dass wir daran nicht gedacht hätten. Natürlich muss man sich weiterentwickeln, aber einfach alles aus dem Fenster zu werfen, ist fast schon respektlos gegenüber den Leuten, die dich unterstützen. Sie folgen dir aus einem Grund. Wenn du also alles grundlos änderst, musst du dich fragen: warum eigentlich? Man muss eine Brücke bauen, selbst wenn man nicht wie das letzte Album klingen will.
Die Leute von eurem Label Sony haben euch bei der Pre-Listening-Session als einen ihrer wichtigsten Acts 2019 bezeichnet. Baut das harten Druck auf?
Matt Kean: Wir hatten ja keine Wahl [lacht].
Oli Sykes: Wir haben noch nie so lange an einer Platte gesessen. Seit Beginn ist ein Jahr vergangen. Wir haben so hart daran gearbeitet, haben Zusammenbrüche und Krisen erlebt. Bei That’s The Spirit war der Gedanke, das jeder Song eine Single sein könnte. Nicht im kommerziellen Sinne, sondern wir wollten so gute und verschiedene Songs schreiben wie möglich. Bei Amo haben wir ein paar Songs geschrieben, die man den Radios geben kann, um weiter zu wachsen. Gleichzeitig mussten wir uns bei den anderen Songs um nichts sorgen. Die sind nur für uns, die passen nicht ins Radio.
Das bedeutet aber auch viel Druck für uns. Leute kaufen keine Alben mehr, sie streamen. Wenn sie die Platte nicht mögen, skippen sie. Aber wenn wir ihnen was geben, was sie lieben lernen, wird es ein viel lohnenswerteres Album als zehn Songs, die sie sofort mögen.
Wir wussten, dass unser Label uns unterstützt, weil wir weiterhin gern, poppige, große, mainstreamige Songs schreiben. Wir kommen aber nicht aus dieser Welt, sondern versuchen, immer besser darin zu werden. Es ist erstmal sehr bereichernd, einen richtig poppigen Song zu schreiben. Noch besser ist aber, Songs zu schreiben, die völlig einzigartig klingen.
Beim letzten Album war das bequemer, weil wir wussten, dass die meisten Leute es mögen werden. Diesmal ist es viel herausfordernder für die Leute. Sie werden Zeit benötigen, es zu verstehen. Dann werden sie es lieben. Für mich hat es mehr Tiefe, als jedes Album, was wir je geschrieben haben. Ich bin sehr stolz darauf.
Lee Malia: Es ist super abwechslungsreich. Nicht, dass ich uns mit den Beatles oder Queen vergleichen will, aber auf ihren Alben hörst du zehn verschiedene Genres. Es ist viel spannender, wenn da nicht nur ein Sound zu hören ist.
Oli Sykes: Wir haben immer noch unseren roten Faden: große, intensive Musik. Auf Amo sind nicht nur Rocksongs. Manche klingen wie Dance-Songs, es gibt auch Rap-Elemente. Aber es ist immer noch harte Musik. Egal ob im Techno, House, oder Rap, überall gibt es harte, aggressive Ausrichtungen. Wenn du dafür ein Ohr hast, dann magst du auch unser Album. Wenn du nur ein einziges Genre wie etwa Rock oder Metalcore magst, dann eher nicht.
**