Ein Mann hält ein gelbes Schild mit den Regeln für den Drogenladen hoch, neben ihm lehnt an einer Hauswand ein gelbes Schild mit den verschiedenen Drogenpreisen. Jerry Martin hat am Mittwoch in Vancouver ein Geschäft für illegale Drogen eröffnet.
Foto: Manisha Krishnan
Drogen

In Kanada hat ein Laden aufgemacht, der Heroin, Meth und Kokain verkauft

Jerry Martin wollte den Menschen in Vancouver Zugang zu sauberen Drogen ermöglichen. Jetzt wurde er verhaftet.

Am Mittwoch öffnete in Vancouver der Drugs Store. Aus einem Wohnmobil-Anhänger heraus verkaufte der 51-jährige Jerry Martin für kurze Zeit Heroin, Kokain, Crack, Methamphetamin und MDMA – alles mit FITR-Spektrometer getestet und auf Fentanyl geprüft. Die Downtown Eastside, in der Martin seinen Drogenshop geparkt hatte, gilt als Epizentrum der kanadischen Opioid-Epidemie.

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Die Provinz British Columbia, in der Vancouver liegt, ist für ihre progressiven Drogengesetze bekannt. Seit dem 31. Januar steht dort der Besitz kleiner Mengen Opioide, Kokain, Meth und MDMA nicht mehr unter Strafe. Diese Änderung ist Teil eines Pilotprojekts, das drei Jahre laufen soll. Der Verkauf dieser Drogen bleibt allerdings weiterhin verboten – der Drugs Store ist entsprechend illegal.

Aber das ist auch ein bisschen der Sinn der Sache.


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Der Hintergrund: Jerry Martin begann mit 14 selbst, Drogen zu nehmen. Mit 15 war er alkohol- und kokainabhängig. Die folgenden 15 Jahre habe er in verschiedenen kanadischen Städten auf der Straße gelebt, sagte er in einem Gespräch mit uns.

Eine weitere Motivation für die Eröffnung des Ladens sei auch der Tod seines Stiefbruders Gord Rennie gewesen, sagt Martin. Rennie hatte Benzo-Dope konsumiert, eine gefährliche Kombination aus Fentanyl und potenten Benzodiazepinen. 2022 war Rennie Protagonist in einer VICE-Dokumentation. Wenige Monate nach dem Interview starb er an einer Überdosis.

Martin sagt, er bereue es, seinen Stiefbruder nicht bei sich aufgenommen zu haben, nachdem dieser mal wieder aus dem Gefängnis kam. "Meine Mutter meinte noch zu mir, dass ich ihn einladen soll, und ich tat es nicht. An dem Tag ist er dann gestorben."

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Deshalb wollte Martin den Menschen Zugang zu getesteten Drogen ermöglichen, die frei von schädlichen Streckstoffen wie Fentanyl sind. Das synthetische Opioid ist verantwortlich für die Rekordzahl an Drogentoten, die es momentan in Nordamerika gibt. In Martins Laden gab es nur Heroin.

"Menschen sterben", sagte Martin vor der Eröffnung seines Ladens. "Vor allem jetzt, da sie der ganzen Provinz erlaubt haben, diese Drogen zu nehmen. Aber sie stellen keinen sauberen und sicheren Stoff bereit. Alle bekommen immer noch dasselbe Zeug, von dem alle Überdosen kriegen." 

2016 rief British Columbia wegen der vielen Drogentoten einen öffentlichen Gesundheitsnotstand aus. Seitdem sind über 11.000 Menschen in der westkanadischen Provinz mit fünf Millionen Einwohnern an Überdosen gestorben.

Die Eröffnung

Vor der Eröffnung sagte Martin, dass er maximal 2,5 Gramm von jeder Droge pro Person verkaufen würde. Das ist die Menge, die in der Provinz noch straffrei ist. Kleinstmengen von 0,1 Gramm solle es ebenfalls geben. Preislich orientierte er sich an den ortsüblichen Straßenpreisen. Ein Gramm Kokain kostete in seinem Laden umgerechnet etwa 60 Euro, ein Gramm Meth rund 35 Euro.

Drei verschließbare Tüten auf einem Tisch beschriftet mit "Cocaine", "Meth" und "Heroin"

Um sich rechtlich zumindest ein bisschen abzusichern, wolle er die Ausweise der Kunden auf Volljährigkeit kontrollieren, wie er uns vor Mittwoch sagte. Außerdem lasse er sie eine Erklärung unterschreiben, dass sie die Droge, die sie kaufen, auch schon vorher genommen haben. Gegen potenzielle Überfälle wollte er sich mit einer stichsicheren Weste und einer Plexiglasscheibe schützen und außerdem nur verhältnismäßig geringe Mengen Drogen in seinem Laden lagern.

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Als es dann Mittwochnachmittag soweit war und der Drugs Store öffnete, standen Dutzende Menschen vor dem Laden Schlange. Die Polizei beobachtete das Treiben eine Weile, um Beweise zu sammeln, und griff schließlich ein und verhaftete Martin.

"Wir unterstützen Maßnahmen, die die öffentliche Sicherheit von Menschen verbessern, die Drogen nehmen, wie Harm-Reduction-Angebote und die Dekriminalisierung", schrieb Constable Tania Visintin in einer Pressemitteilung. "Allerdings bleiben wir bei unserer Position, dass der Drogenhandel weiterhin verfolgt wird." 

Die Polizei beschlagnahmte nach eigenen Angaben zwei Fahrzeuge, eine Panzerweste und Geld. Martin ist auf Kaution wieder frei und darf sich als Teil seiner Auflagen nicht mehr in Downtown Eastside aufhalten. Bislang ist allerdings nicht bekannt, was genau ihm rechtlich vorgeworfen wird.

Jemand löffelt ein weißes Pulver von einem großen Löffel auf einer Küchenablage, daneben steht ein Beutel mit der Aufschrift "Cocaine"

Das Ziel: Eine Verfassungsklage

Martin sagte uns vor der Eröffnung seines Ladens, dass er von einer Verhaftung ausgehe. Sein Plan sei es, dann eine Verfassungsklage einzureichen. Die habe sein Anwalt bereits vorbereitet. Ihr Argument: Die herrschenden Gesetze verhindern eine sichere Versorgung mit Drogen und führen indirekt zum Tod von Menschen. Sie verletzten die kanadische Verfassung, die ein Recht auf Leben und Sicherheit garantiert.

Ursprünglich wollte Martin seinen Drugs Store in einem richtigen Ladenlokal aufmachen, aber niemand wollte ihm eins vermieten. Auch finanzielle Unterstützung für das Projekt war schwer zu finden. Er hat eine Vorstrafe wegen Cannabishandels, was sich negativ auf seine Kreditwürdigkeit auswirkt. Hotels und Airbnbs hätten ihn immer wieder rausgeschmissen, nachdem sie in den Nachrichten von seinen Plänen hörten.

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Auch die Beschaffung der Drogen sei schwierig gewesen. Zwei Jahre habe er gebraucht, um eine Heroinquelle zu finden. Die Droge ist in Nordamerika inzwischen weitestgehend von Fentanyl verdrängt worden, weil Letzteres billiger herzustellen und leichter zu schmuggeln ist.

Karen Ward, die die Stadt Vancouver beim Thema Drogenpolitik berät, sagte vor der Eröffnung, der Laden "ist das unvermeidliche Ergebnis der Untätigkeit der Regierung". Es gibt zwar einige kleine medizinische Abgabestellen, die Abhängige mit pharmazeutischem Heroin und Fentanyl versorgen, aber in den Augen von Harm-Reduction-Befürwortern sind es noch viel zu wenige. Außerdem gebe es dort keine Drogen wie Kokain und Methamphetamin. 

Ward ist der Meinung, die Stadt solle Martin eine Lizenz geben, damit er seinen Laden legal betreiben kann. Laut aktuellem Recht droht ihm stattdessen Haft – im schlimmsten Fall lebenslang.

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