Wenn David Henn aus dem Fenster seines Chefbüros schaut, im 38. Stock eines Kölner Büroturms, sieht er, wie weit er es gebracht hat. Ganz unten in einem Nebengebäude hat er 2016 seine Firma gegründet. Fragt man ihn, welche Gefühle der Ausblick in ihm weckt, sagt er: “Ich habe erschreckend wenig Zeit für Gefühle.” Vermutlich nutzt er diese Zeit lieber, um zu überlegen, woher er neues Gras bekommt. Tonnenweise und legal. David Henns Firma importiert Cannabis für deutsche Apotheken.
Die deutsche Cannabis-Branche wuchs in den letzten drei Jahren rasant. Gleichzeitig fällt sie an manchen Stellen gerade auseinander. Sie hat viele Millionäre produziert und noch mehr Schwätzer. Zu welcher Gruppe Henn gehört? Seine Firma sei der größte unabhängige deutsche Importeur von Medizinalcannabis, sagt er. Aber er sagt es erst nach mehrmaligem Nachfragen. Das ist ungewöhnlich für dieses Geschäft der großen Ankündigungen und noch größeren Rückzieher.
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Zu Besuch bei deutschen Cannabis-Millionären
David Henn, 29, Jeans, grauer Pullover über weißem Hemd, Typ Sparkassenbanker im Feierabend, verkörpert in seiner Firma das, was Cannabis-Unternehmer immer dann auszustrahlen versuchen, wenn man sie nicht für Schwätzer halten soll: eine alle Erwartungen enttäuschende Seriosität. Aber zum Glück gibt es ja noch Henns wichtigsten Geschäftspartner.
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Fabian Thylmann kommt Henn beim Treffen Anfang März auf dem Flur der Firmenzentrale entgegen und klatscht mit ihm ein, so als habe dieser gerade einen sehr soliden vierten Platz bei einem Formel-1-Rennen belegt. Ohne Umarmung, das wäre zu viel, aber doch mit genug Schmackes, um zu zeigen, wir sind Kumpels. Dabei kommen sie aus sehr unterschiedlichen Ecken.
Henn sagt, dass er überhaupt in diesem Geschäft sei, habe persönliche Gründe. Als Jugendlicher habe er nie gekifft. Erst seine Großmutter habe ihn zum Cannabis-Fan gemacht. “Sie hatte Rheuma und Arthrose, saß die letzten zehn Jahre ihres Lebens im Rollstuhl. Trotzdem hat sie sich nie beschwert und ihr Schicksal mit Würde ertragen. Eine beeindruckende Frau.” Aber die Opiate, die sie bekam, sagt Henn, haben ihre Leber zersetzt, ihre Nieren angegriffen. Sie habe nicht mehr schlafen können. “Also haben wir nach alternativen Therapieformen gesucht und stießen auf CBD-Nahrungsergänzungsmittel. Damit schlief sie nach vielen Jahren das erste Mal wieder durch.” Sein Ziel sei es, allen Menschen mit dieser Pflanze zu helfen, sagt Henn.
Wenn Fabian Thylmann, 41, auf Reisen erkannt wird, geht es immer um das Eine: “Pornos. Sobald die meinen Namen hören, wollen sie mir über das Pornothema sprechen”, sagt er. “Über Cannabis reden wir dann erst später.” Thylmann gründete 2007 das Unternehmen Manwin und baute daraus ein Porno-Imperium. Pornhub, YouPorn und MyDirtyHobby gehörten dazu. 2013 verkaufte er alles für angeblich 100 Millionen Dollar. Als er 2016 wegen Steuerhinterziehung eine Bewährungsstrafe kassierte, zog er sich aus der Öffentlichkeit zurück. Er wurde Investor und besitzt heute Anteile an elf Unternehmen. Eines davon ist Cannamedical.
Der Großteil des Teams arbeitet einige Etagen tiefer, im 16. Stock des Kölnturms. Zwei Wochen bevor die Corona-Pandemie das Land lahmlegen wird, herrscht noch Normalbetrieb. Etwa 50 Mitarbeiter versorgen 3.000 Apotheken von Sylt bis Bayern mit Cannabis. Rundum freier Ausblick über Köln, minimalistische Designmöbel in Weiß und Chrom, Sitzsäcke im PlayStation-Raum, Zimmerpalmen, kein Hanf.
Legal reich werden mit Cannabis
Zeit für Henn und Thylmann, ihr Geschäft zu erklären. Was muss man tun, um sich auf legale Weise mit Cannabis dieses Luxusbüro zu erarbeiten? Als Erstes muss man sich gegen sehr viel Konkurrenz durchsetzen.
Aktuell besitzen 59 Unternehmen in Deutschland eine Erlaubnis, Cannabis zu importieren. Die meisten importieren aber vor allem vom niederländischen Unternehmen Bedrocan. Die Firma ist am längsten am deutschen Markt und erfüllt alle Standards. Aber es gibt einen Haken: Bedrocan exportiert zu wenig. Das Unternehmen versorgt im Auftrag der niederländischen Behörden vor allem niederländische Patientinnen und Patienten. Nach Deutschland gehen monatlich nur bis zu 200 Kilo. Wenn 40 deutsche Importeure sich diese Menge teilen, blieben jedem nur 5 Kilo, um sie an Apotheken zu verkaufen. Zu wenig, um Kosten für Personal, Lieferung, Mieten und Infrastruktur zu decken. Deshalb setzt Henn auf eigene Zulieferer. Die bringen mehr Profite, aber auch ein paar Probleme.
Überhaupt muss man erstmal jemanden finden, der am besten mehrere hundert Kilo Gras pro Jahr anbauen kann und sich dabei nicht wie ein Amateur anstellt. Denn die Branche ist jung und deshalb voller Amateure.
Das merken Henn und Thylmann manchmal, wenn sie Plantagen von potentiellen Zulieferern besichtigen. “Da steckt dann in der Dachverglasung ein Vogelnest und du fragst dich, wie der Vogel in diese hermetisch abgeriegelte Anlage kommen konnte”, sagt Thylmann. “Oder jemand trocknet Pflanzen auf IKEA-Kleiderbügeln”, sagt Henn. Solche Leute könnten niemals für sie arbeiten.
Hat man schließlich eine Plantage gefunden, die nicht wie Peter Lustigs Unkrautgarten aussieht, muss man sicherstellen, dass sie die hohen EU-Qualitätsstandards erfüllt. Dann beginnt die richtige Arbeit.
“Du drehst die Zulieferer auf links und schulst die Mitarbeiter”, sagt Henn. Ernte, Trocknung, Zuschnitt, Lagerung, Verpackung und so weiter: Für alles gelten EU-Regeln. “Wenn wir mit den Zulieferern fertig sind, nach ein bis eineinhalb Jahren, ist das ein anderer Betrieb.” Überwacht wird das Ganze von der Qualitätssicherung von Cannamedical.
Diese Abteilung könnte nicht weiter von “Mir ist alles egal”-Klischeekiffern entfernt sein. In Aktenschränken reihen sich Protokolle, für jede Ernte ist darin festgehalten, wann die Pflanzen bewässert und wann sie getrimmt wurden. Und was die Tests auf etwa 50 verschiedene Mikropilze, Bakterien, Verunreinigungen, Schwermetalle und Pestizidrückstände ergeben haben. Ein sechsköpfiges Team arbeitet an nichts anderem als der Qualitätssicherung. Denn wenn was schiefläuft, wird es teuer.
Auf einem Whiteboard stehen die letzten Lieferungen. Eine davon ist in Deutschland durch die finale Qualitätsprüfung gefallen. Importeure müssen garantieren, dass das Cannabis unter pharmazeutischen Bedingungen nach EU-Standards produziert wird. Erst mit diesem Nachweis kann man versuchen, die nötigen Importlizenzen zu beantragen. Wer Pech hat, muss nach der Prüfung die Früchte seiner Arbeit in die Tonne treten. Im aktuellen Fall habe er gut 100 Kilo medizinisches Cannabis im Verkaufswert von etwa einer Million Euro an die Müllverbrennungsanlage verloren, sagt Henn. Das ist der größte Nachteil an eigenen Zulieferern: Man trägt das volle Risiko.
Derzeit importiert Cannamedical aus Kanada, den Niederlanden und Portugal. Gerade arbeitet Henn an der Importlizenz für australisches Cannabis, als erstes deutsches Unternehmen, sagt er. Die Sorte mit dem Namen “White Russian” sei schon geerntet, es fehle nur noch die letzte Genehmigung.
Als im September gleich eine halbe Tonne portugiesisches Gras per Charterflug in Düsseldorf eintraf, habe sich der Leiter vom Zoll um 22 Uhr sogar noch mal aufs Motorrad geschwungen, um sich persönlich anzuschauen, wie die Kisten aus dem Bauch der Frachtmaschine rollen.
“Das war die größte Menge an medizinischem Cannabis, die jemals in einer einzelnen Lieferung nach Deutschland gekommen ist”, sagt Henn. Apropos große Mengen: Für Krisen wie die Corona-Pandemie lagere Cannamedical an einem geheimen Ort in Deutschland ständig fast eine Tonne Cannabis. Es koste vier bis fünf Millionen Euro, so viel Gras herzustellen, aber man könne damit sechs bis acht Wochen Lieferengpässe überbrücken, sagt Henn. Was er nicht sagt, aber damit andeutet: Er könnte innerhalb eines Monats mindestens eine halbe Tonne Gras verkaufen.
Cannabis importieren: Am Anfang wirkte es wie ein aussichtsloses Geschäft
Anfang 2017, als Henn nach Geldgebern für sein Start-up suchte, war noch nicht klar, wie lukrativ das Geschäft sein würde. Kein Investor habe sich für ihn interessiert, sagt Henn. Auch Thylmann nicht.
Als Thylmanns Berater vorschlugen, Geld in Cannamedical zu stecken, habe er sie gefragt: “Seid ihr verrückt?” Er war damals als Pornokönig bekannt, als Grasbaron sah sich Thylmann wohl eher nicht. Dann sei ihm klar geworden: Andere Investoren scheuten das Business offenbar aus Imagegründen. Sein Image war sowieso dahin, ein klarer Vorteil.
Also investierte Thylmann eine siebenstellige Summe in Henns Start-up, am 20.4.2017 (420, ha ha), kurz nachdem Cannabis auf Rezept in Deutschland legal geworden war. Die Sparkasse rief lieber nochmal an: Wolle Henn wirklich ans “Office of Medicinal Cannabis” überweisen?
Dann ging alles schnell. Im Mai war die Lizenz da, im Juni das erste Angebot an Apotheken. “Als die Lieferung ankam, machten wir am ersten Tag 60.000 Euro Umsatz, nach zwei Tagen waren wir ausverkauft”, sagt Henn. Die Nachfrage überstieg das Angebot. Medien berichteten und Henns Telefon klingelte.
Plötzlich meldeten sich Investoren, die Henn zuvor noch Absagen erteilt hatten. Mit dem Geld hätte Henn seine Firma aufblasen können, prall, glänzend und teuer wie eine Luftballon-Skulptur von Jeff Koons. Dann verkaufen – oder “exiten” wie Start-up-Menschen sagen –, und im bar bezahlten Ferrari gen Sonnenuntergang brausen. Aber Henn lehnte ab.
Investorengelder zu nehmen heißt, Firmenanteile zu verkaufen und damit Kontrolle abzugeben. Er habe lieber langsam wachsen wollen, sagt Henn. Ohne fantastische Dinge anzukündigen, die sich als Luftnummer herausstellen. So wie im branchenbekannten Märchen von den 50 Tonnen Cannabis.
Geld verdienen mit heißer Luft
Sebastian Diemer, der sich auf Instagram regelmäßig mit schnellen Autos zeigt und in seiner Bio das Wort “Niveauflexibel” schreibt, gründete Ende 2018 auf der Höhe des deutschen Cannabis-Hypes das Start-up Farmako. Im März darauf verkündete er, dass er mit einem nord-mazedonischen Unternehmen einen Exportvertrag über 50 Tonnen Cannabis abgeschlossen habe. Vier Monate später war davon nichts Realität geworden. Die Farmako-Gesellschafter warfen den Geschäftsführer raus, das gesamte Forschungsteam verließ das Unternehmen. Wenig später schluckte ein kanadischer Cannabis-Händler die Firma, für angeblich 15 Millionen Euro. Und der Deal über 50 Tonnen Cannabis? Wertlos. In einem Interview mit Bild musste Diemer zugeben, dass Nord-Mazedonien nie eine Exportgenehmigung erteilt hatte. Am Millionendeal wurde er trotzdem beteiligt.
15 Millionen – das war auch die Zahl, die Cannamedical groß machte. Im Januar 2019 einigten sich Henn und Thylmann mit einem großen Geldgeber. Ein New Yorker Investor steckte 15 Millionen Euro in Cannamedical und bekam 28 Prozent der Anteile. Zwei Jahre früher, als die Firma viel weniger wert war, hätte Henn für diese Summe weit mehr hergeben müssen. Heute halten er und Thylmann 66 Prozent, der Rest gehört kleinen Investoren
Falls du jetzt dein Erspartes zusammenkratzt, um auch in dieses Business einzusteigen und sagenhaft reich zu werden, solltest du noch eines wissen: Die Cannabis-Branche ist in der Krise.
Die größten Cannabis-Unternehmen gehen gerade unter
Das beweisen schon die Aktienkurse von zwei der weltgrößten Cannabis-Unternehmen – beide sind auch in Deutschland aktiv. Beim Börsengang im Juli 2018 verkaufte der kanadische Cannabis-Gigant Tilray eine Aktie für etwa 24 Euro. Drei Monate später war sie fast das Fünfeinhalbfache wert. Danach stürzte sie ab, auf aktuell 6,17 Euro. Noch mieser geht es dem Konkurrenten Aurora. Der CEO wurde Anfang Februar geschasst, 500 Leute rausgeworfen. Die Aktie fiel innerhalb eines Jahres von 8 Euro auf derzeit noch 65 Cent. Der weltweite Markt für legales Cannabis ist groß, aber nicht so groß, dass künstlich aufgepumpte Firmen darin genug Geld verdienen könnten, um ihre Milliardenbewertungen zu rechtfertigen. Gleichzeitig sieht es in Deutschland nicht so aus, als würde die Nachfrage nach legalem Cannabis bald sinken. Eine gute Ausgangslage für David Henn und seinen Geschäftspartner.
Fabian Thylmann sagt, es sei ihm bei seinen Investments vor allem wichtig, Spaß zu haben. Wobei: in diesem Fall lieber nicht zu viel Spaß, lieber keine Grauzonen ausnutzen, eher auf Nummer sicher gehen. “Wenn du hier was kaputt machst, bist du im Knast. Ende. Ganz einfach.”
Update, 21.04.2020, 10:14 Uhr: Ursprünglich stand in diesem Text, Fabian Thylmann habe die größten Pornoseiten der Welt gegründet. Richtig ist aber, dass er mit seiner Firma Manwin viele Pornoseiten gekauft und daraus das größte Pornounternehmen der Welt gebaut hat. Wir haben das im Text entsprechend geändert.
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