Drogen

Chemisch gestrecktes Cannabis: So ahnungslos ist die Bundesregierung

Cannabispflanzen wachsen in einem Growschrank, immer öfter ist Cannabis vom Schwarzmarkt mit gefährlichen synthetischen Cannabinoiden versetzt

Wenn Menschen an einem Joint ziehen, erhoffen sich die meisten eine je nach Sorte belebende oder entspannende Wirkung. Dass man nach dem Konsum am Boden fixiert werden muss, weil man sonst in Panik den Kopf gegen Wände schlagen würde, gehört dagegen nicht zu den erwünschten Effekten. Diese Erfahrung schildert Jonas* in einer Mail an VICE. Sieben Stunden lang habe er mit psychotischen Angstzuständen gekämpft und seine Umgebung nicht mehr wahrgenommen, nachdem er unwissentlich gestrecktes Cannabis konsumiert habe. Kurz davor hatte VICE eine Dokumentation veröffentlicht, in der ein Dealer davon berichtet, wie mit synthetischen Cannabinoiden gestrecktes Cannabis Deutschland überschwemmt.


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Diese Stoffe können bis zu 300 Mal stärker sein als THC. Sie werden auf minderwertiges Cannabis gesprüht und so auf dem Schwarzmarkt an nichtsahnende Konsumierende wie Jonas verkauft. Die Stoffe können zu Panikattacken, Psychosen, Herzrasen, Ohnmacht und sogar dem Tod führen. Auch Wissenschaftler warnen eindringlich davor. 

Die Bundestagsfraktion der Linkspartei wollte jetzt wissen, wie gut die Regierung über das Thema informiert ist und welche Maßnahmen sie dagegen ergreift. Dazu hat Die Linke eine Anfrage im Bundestag gestellt, deren Antworten nicht gerade beruhigen.

Polizei sucht nicht immer nach Streckmitteln

Unter anderem wollte die Linksfraktion wissen, wie genau die Polizei sichergestelltes Cannabis untersucht. Ermittelt sie nur den THC-Gehalt oder schaut sie auch nach Streckmitteln?

Beim THC-Gehalt im Cannabis notierten BKA, LKA und Zoll in den letzten Jahren einen Anstieg: 2015 enthielten Cannabisblüten im Durchschnitt noch 12,6 Prozent THC. 2019 waren es dann 13,7 Prozent. Bei Haschisch war der Anstieg im gleichen Zeitraum größer. Hier wuchs der THC-Gehalt von 12,4 auf 22,6 Prozent. Nach Streckmitteln suchen die Ermittlungsbehörden dagegen nur, wenn es Hinweise darauf gibt. Das gilt auch für synthetische Cannabinoide und andere Neue Psychoaktive Substanzen (NPS). Das Problem daran: Äußerlich kann man NPS nicht erkennen. Das wäre erst im Labor möglich, aber unter diesen Kriterien dürften es die meisten Proben gar nicht bis unters Mikroskop schaffen. Die Behörden haben demnach 2019 bei 7,3 Tonnen sicher gestelltem Cannabis zwar den THC-Gehalt ermittelt, aber nicht immer, wie oft es mit Stoffen gestreckt war, die um ein vielfaches stärker als THC sein können.

Was weiß die Bundesregierung über synthetische Cannabinoide?

In den letzten Jahren haben Ermittlungsbehörden fünf verschiedene NPS in mehreren Cannabisproben festgestellt. Dennoch sind die Informationen eher dürftig, die Polizei und Zoll über auf diese Weise gestrecktes Cannabis zusammengetragen haben. Aber auch was weiterführende Informationen zu diesem Thema angeht, trinkt die Bundesregierung nicht gerade vom Quell der Weisheit. Wie groß das Problem generell ist, kann sie nicht sagen. Stattdessen verweist sie auf den Verein Basis e.V. Dieser ist an Projekten des Bundesgesundheitsministerium beteiligt und fand in einigen Cannabisproben synthetische Cannabinoide. Warnungen dazu findet man auf legal-high-inhaltsstoffe.de. Dort kann man nachlesen, dass 37 Prozent der verdächtigen Proben aus den letzten Monaten synthetische Cannabinoide enthielten. Eine alarmierende Rate, aber offenbar reicht sie nicht aus, um die Bundesregierung zu beunruhigen.

Falls es dazu noch an Daten mangeln sollte, könnte man schnell Abhilfe schaffen. Dafür müsste die Bundesregierung Drug Checking erlauben. Dazu heißt es in der Antwort auf die Anfrage allerdings lediglich, man beschäftige sich damit, die Beratungen würden aber noch andauern.  

Todesfälle durch NPS

Währenddessen starben letztes Jahr neun Menschen durch den Konsum von Synthetischen Cannabinoiden und anderen NPS. Elf weitere starben durch den Konsum von NPS gemischt mit anderen Stoffen. Ob dabei auch gestrecktes Cannabis im Spiel war, erklärt die Bundesregierung nicht. Durch ungestrecktes Cannabis starb dagegen nach wie vor niemand.

Wie das so ist, wenn die Opposition die Regierung befragt, findet diese an der eigenen Drogenpolitik nichts auszusetzen. Um die Verbreitung von NPS und damit gestrecktem Cannabis einzudämmen, reiche es auch in Zukunft aus, sie zu verbieten, schreibt die Bundesregierung in ihrer Antwort. Außerdem informiere man auf der Seite drugcom.de darüber, dass mit synthetischen Cannabinoiden versetztes Cannabisprodukte im Umlauf ist. 

Niema Movassat, drogenpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, kritisiert das. “Die Bundesregierung hat keine Antworten auf das offensichtlich zunehmende Problem, dass Cannabis-Konsumierende unwissentlich synthetische Cannabinoide oder andere neue psychoaktive Stoffe konsumieren, weil diese Cannabisblüten oder Haschisch beigemengt sind”, sagt Movassat. Es sei verheerend, dass die Bundesregierung noch immer glaube, durch Verbote ließe sich Konsum unterbinden. Die aktuelle Situation beweise, dass gerade das Verbot die Konsumrisiken erhöht. “Das Cannabisverbot trägt dazu bei, dass Menschen nicht davor geschützt sind, verunreinigtes, mit Haarspray, Blei etc. gestrecktes oder mit synthetischen Cannabinoiden aufgepepptes Cannabis auf dem Schwarzmarkt angedreht zu bekommen.” Da die Menschen auch trotz der Verbote Cannabis konsumieren, gebe es laut Movassat nur eine wirklich wirksame Antwort auf das Entstehen synthetischer Cannabinoide: die Legalisierung von Cannabis. “Das wäre ein echter Beitrag zum Gesundheitsschutz.”

Neben der Linkspartei hatten sich zuletzt auch FDP und SPD für die Entkriminalisierung von Cannabis ausgesprochen. Auch die Grünen fordern das in ihrem Cannabiskontrollgesetz. CDU, CSU und AfD möchten dagegen, dass Cannabis abseits des medizinischen Gebrauchs weiter illegal bleibt. 

*Name geändert

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