Es hat wohl niemand erwartet, dass die Gala zum Deutschen Computerspielpreis 2019 ein Fest für die Gaming-Kultur wird. Zu den berühmtesten Gästen zählten CSU-Verkehrsminister Andreas Scheuer und CSU-Digitalministerin Dorothee Bär. Niemand dachte, dass die beiden unvergessliche Reden über ihre liebsten Spieletitel des Jahres halten würden, voller geistreicher Bemerkungen über die Zukunft der deutschen Entwicklerszene. All das ist auch tatsächlich nicht passiert, und das ist absolut OK.
Was aber nicht OK ist: Wenn eine Gala über Computerspiele Entwickler wie die letzten Volltrottel darstellt. “Na, liebe Eltern, hättet ihr gedacht, dass die Jungs mit so ‘nem Scheiß mal Geld verdienen?!”, fragt TV-Moderatorin Ina Müller, als das Team von A Juggler‘s Tale auf der Bühne den Nachwuchspreis Prototyp entgegennimmt. Es fällt schwer, in diese Worte eine wohlmeinende Ironie hineinzuhören. Eure Arbeit ist scheiße, dieser Subtext bleibt hängen. Gibt es einen respektloseren Satz, den man beim Verleihen eines Preises von sich geben kann?
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Hinter solchen Aussagen steht nicht etwa der kulturelle Konflikt zwischen der jüngeren Generation Smartphone und der älteren Generation E-Mail. Niemand kann Ina Müller einen Vorwurf machen, wenn sie sagt: “Ich kann nur Pong, Snake und Pac-Man, das sind so meine Spiele.” Aber es gibt einen Unterschied zwischen Uninformiertheit und Beleidigung. Das Problem an Ina Müllers Moderation ist die Herabwürdigung von Menschen, die Spiele spielen, und der Kultur, die sie verbindet.
Wer diese Moderation erträgt, geht als Held von der Bühne
“Ich begrüße Sie, ich begrüße euch ganz herzlich zum diesjährigen deutschen Computerpreis 2019”, sagt Ina Müller zu Beginn des Abends. Computer wurden bei der Gala aber nicht prämiert, sondern Computerspiele. Wahrscheinlich ein Versprecher? Geschenkt! Sicher kein Versprecher war nämlich die Frage, die Müller den beiden Entwicklern von Tower Tag (Bestes Game Design) gestellt hat.
Die Entwickler: eine Schwarze und eine Weiße, zugegeben, etwas blasse Person. Ina Müllers Frage: “Und du sitzt draußen und programmierst, und du sitzt drinnen, würd ich mal sagen, wenn ich euch so anschaue?!”
Es braucht ein paar Sekunden, um die Frage in ihrer ganzen Beklopptheit zu durchdringen. Offensichtlich wollte Müller damit ausdrücken, dass die Schwarze Person ihren Teint dem Sonnenlicht verdanke und deshalb im Freien arbeiten müsse. Während auch den perplexen Entwicklern auf der Bühne langsam dämmert, dass das eine durch und durch rassistische Frage ist, legt Müller nach: “Kann das sein?! Ist das so?!”
Genau, das Spiel hab ich beim Kacken programmiert
Beim hessischen Programmierer Philipp Stollenmayer probierte es Ina Müller mit Fäkalhumor: “Programmierst du deine Spiele auch aufm Klo?” Stollenmayer ist ein erwachsener Mann, der sich mit seiner Firma selbstständig gemacht hat. Sein Game see/saw wurde gerade zum besten Handyspiel gekürt.
“Auf?!”, fragt Stollenmayer entgeistert. “Ob ich die auf’m…?”
“Auf’m Klo!!”, beharrt Müller.
“Nee. Um Gottes Willen.”
“So weit geht’s nich?”
“Nee.”
Ein missglückter Kotwitz ist das eine. Aber Ina Müller beweist in dem Gespräch, dass ihr zum Thema Gaming offenbar buchstäblich nichts anderes einfällt als – Scheiße. Kurz zuvor wollte sie von Verkehrsminister Scheuer wissen, ob er denn sein Handy mit aufs Klo nehme. Während der Minister sich wohl gerade noch überlegte, was Menschen in dieser Situation denn bitte sonst mit ihrem Handy tun sollten, sprang ihm Stollenmayer zur Seite: “Ich glaube, das macht jeder. Sie müssen das nicht beantworten.” Doch Müller ließ nicht locker. “Wo hört’s denn auf? Wenn man quasi das Laptop beim Kacken auf’n Knien hat beim Klo?”
Mindestens seit 1999 die Killerspieldebatte begann, setzen sich Gaming-Begeisterte dafür ein, dass Computerspiele als Kulturgut anerkannt werden. Genauso wie Filme, Bücher und Musik können Games mal Unterhaltung und Popkultur sein, mal Trash, mal anspruchsvolle Kunst. Würde sich eine Gewinnerin des Deutschen Buchpreises die Frage anhören müssen, ob sie ihre Bücher eigentlich beim Kacken schreibe? Ob ihre Eltern gedacht hätten, dass sie mit “dem Scheiß” mal Geld verdient?
Eines muss man Ina Müllers Moderation lassen: Sie lässt die Preisträgerinnen und Preisträger wie Heldinnen und Helden aussehen. Denn nur mit enormer menschlicher Größe lassen sich solche niveaulosen Herabwürdigungen vor laufender Kamera souverän ertragen. “Es ist ja so, dass wir Medientraining bekommen haben, also ich weiß ganz genau, wie ich damit umzugehen hab”, sagt zum Beispiel E-Sportler TimoX vom VfL Wolfsburg, nachdem Müller ihn auf der Bühne interviewt hat. Dafür bekommt TimoX johlenden, zustimmenden Applaus.
Dass der Abend irgendwie eine Katastrophe wird, hatte Ina Müller zu Beginn tatsächlich selbst vorausgesagt. “Ich glaube, die Veranstalter haben sich in diesem Jahr eher gedacht: Weißte was, das ist ein Preis, den gibt’s jetzt zum elften Mal, den kann selbst die Müller nicht mehr kaputtmoderieren.” Und damit hatte sie trotz allem Recht. Denn der Applaus für TimoX und sein Medientraining zeigt: Am Ende ist Gamingkultur größer als respektlose Moderationen.
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