Manchmal überkommt mich eine Vision: Ich, Ende 80, weiße Haare, gehe mit Rollator einkaufen. Ich komme nach Hause in eine leere Wohnung, meine Freundinnen sind verstorben oder auf Besuch bei ihren Enkeln. Wenn ich abends ins Bett gehe, wartet dort niemand, weil ich nie jemanden fand, um mein Leben zu teilen.Unsere Generation tut sich schwer mit Beziehungen. Ein deutscher Autor bezeichnete uns sogar als "Generation Beziehungsunfähig" und landete damit einen Bestseller. Auch die Zahlen geben ihm recht: Über 72 Prozent der jungen Deutschen zwischen 18 und 35 Jahren sind Single. In der Gesamtbevölkerung sind es lediglich 29 Prozent. Als Kind dachte ich immer, mit 28 wäre ich verheiratet, würde ein Haus bauen und hätte das erste Kind – wie meine Mutter mich damals.
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Stattdessen bin ich Anfang 30, Single und habe nicht mal Lust zu daten. Meine Studienfreundinnen schulen gerade ihre Kinder ein, mir läuft langsam die Zeit davon, wenn ich noch welche kriegen will. Aber Tinder spuckt mir nur Restposten aus. Werde ich alleine sterben? Und: Wäre das überhaupt so schrecklich, wie ich es mir gerade ausmale? Ich habe Fragen. Und ich brauche Rat, von jemandem, der schon mehr Leben gelebt hat als ich, jemand aus einer anderen Generation. Da meine Großeltern verstorben sind, suche ich im Bekannten- und Freundeskreis nach einer "Ersatz-Oma". Ich finde sie schließlich in Brandenburg.
Mehr von Broadly: Tschüss, Tinder – Wie man eine feministische Dating-App entwickelt
Ein paar Holzmöbel und ein Fernseher: Die Zimmer im Altenheim in Blankenfelde-Mahlow sind einfach eingerichtet. Aber als ich Ingeborg Klemmt zum Gespräch treffe, fühle ich mich direkt heimisch. In einer Vitrine reiht sich Erinnerungsstücke aus mehreren Jahrzehnten neben Eulen, sehr vielen Eulen. Eulen aus Porzellan. Eulen als Schmuck. Eulen als Kalender. Eulen auf Bildern, die neben Fotos von Ingeborg und ihrer Schwester stehen. Ein Hochzeitsfoto, Fotos von Kindern oder Enkeln sucht man jedoch vergebens. Die 83-Jährige war nie verheiratet. Vielleicht kann ich im Gespräch mit ihr verstehen, was dazu geführt hat, dass sie Single blieb. Sind irgendwann einfach alle möglichen Partner vom Markt und hat sie Lehren für mich, wie ich dem entgehe? Oder hat sie sich gar bewusst gegen eine Ehe entschieden, und wenn ja, warum?
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Ein paar Holzmöbel und ein Fernseher: Die Zimmer im Altenheim in Blankenfelde-Mahlow sind einfach eingerichtet. Aber als ich Ingeborg Klemmt zum Gespräch treffe, fühle ich mich direkt heimisch. In einer Vitrine reiht sich Erinnerungsstücke aus mehreren Jahrzehnten neben Eulen, sehr vielen Eulen. Eulen aus Porzellan. Eulen als Schmuck. Eulen als Kalender. Eulen auf Bildern, die neben Fotos von Ingeborg und ihrer Schwester stehen. Ein Hochzeitsfoto, Fotos von Kindern oder Enkeln sucht man jedoch vergebens. Die 83-Jährige war nie verheiratet. Vielleicht kann ich im Gespräch mit ihr verstehen, was dazu geführt hat, dass sie Single blieb. Sind irgendwann einfach alle möglichen Partner vom Markt und hat sie Lehren für mich, wie ich dem entgehe? Oder hat sie sich gar bewusst gegen eine Ehe entschieden, und wenn ja, warum?
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Ingeborg wurde 1934 als jüngere von zwei Töchtern geboren. Sie besuchte eine Mädchenschule und durfte sogar Abitur machen – eher unüblich zur damaligen Zeit. Für ihre Mutter war es ausgeschlossen, zu arbeiten und die Familie finanziell zu unterstützen, der Vater war arbeitslos. Ingeborg und ihre Schwester mussten sich um ihre Eltern kümmern; es war klar, dass die beiden auch als junge Frauen bei ihnen wohnen würden. Das bedeutete aber auch, dass keine der beiden Schwestern eine eigene Familie gründen würde. "Wir konnten nie frei entscheiden", erzählt Ingeborg, "wir hatten immer die Eltern."
Als diese schließlich beide innerhalb eines Jahres versterben, ist Ingeborg Anfang 30 – mein Alter und eine Phase, in der die meisten jungen Frauen ihrer Generation längst verheiratete Mütter sind. Stattdessen beginnt Ingeborg zu reisen und geht in ihrer Arbeit auf. "Ich habe als Bürohilfe angefangen und als Prokuristin aufgehört", erinnert sie sich nicht ohne Stolz. Als Prokuristin besaß sie Handlungsvollmachten und war Stellvertreterin der Geschäftsführung. Auf einen Mann war sie weder privat noch beruflich angewiesen. "Ich bin mit meiner Firma verheiratet gewesen."Mit der Karriere verheiratet: Das klingt eher nach einem Satz, den ich sagen würde, als nach etwas, das ich von einer über 80-Jährigen erwarten würde. Ich bin überrascht, vielleicht auch voreingenommen, wie selbstbewusst Ingeborg für eine Frau ihrer Generation durchs Leben schritt. "Ich bin ein sehr rigoroser Mensch", wirft sie gleich mehrmals ein. "Ich würde verrückt werden, wenn ein Mann nicht zu Potte kommt. Ich bin dafür, Sachen zu machen. Auch wenn's schief geht. Das ist dann eine Erfahrung." Einfach machen – das hat die Rentnerin ihr Leben lang durchgezogen, beruflich wie privat. Mit ihrer Schwester verschlug es sie mehrmals quer über den Globus. Als ich frage, wo man gut jemanden kennenlernen könnte, antwortet sie sofort: auf Reisen.
Wo lerne ich am besten jemanden kennen?
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"Man ist zum Teil im Alltag, und zum Teil nicht. Das ist immer das Beste, um herauszufinden, wie ein Mensch tickt." Was, wenn man nicht reisen kann? Von Tinder hält Ingeborg wenig – man gebe online zu viel von sich preis, das man dann nicht mehr zurücknehmen könne. Über drei Millionen Deutsche nutzen Angebote im Internet trotzdem mindestens "gelegentlich" zum Daten. Aber auch Zeitungsannoncen, das Tinder ihrer Generation, fand die Rentnerin als junge Frau lächerlich: "Einmal hat da ein Globetrotter 'ne Bekannte gesucht. Der hieß bei uns nicht Globetrotter, sondern Trottel. Wir haben sowas nie ernst genommen." Bleibt wohl doch nur das klassische Kennenlernen. Denn je länger wir sprechen, umso mehr wird mir bewusst: Mit Dating, also dem unverbindlichen Zusammensein, kann Ingeborg so gar nichts anfangen.Sich auszuprobieren, verschiedene Menschen zu daten, die Beziehung zu beenden oder nur Casual Sex zu haben, ist für sie nur schwer vorstellbar. Als ich sie frage, wie man die leidige "Sind wir jetzt zusammen"-Diskussion am besten führt, fällt es ihr schwer, die Frage zu verstehen. Wenn man sich getroffen hat, allein, zu zweit, war man früher meistens ein Paar, erklärt sie mir. "Dieses nur miteinander Schlafen wäre damals nie möglich gewesen", sagt sie. Findet es die Rentnerin schade, dass sie diese Möglichkeit nie hatte? "Jein." Man öffne sich der anderen Person beim Sex dann eben doch, meint Ingeborg, und wo keine Verbindlichkeit ist, fehle Sicherheit. Intimität, so scheint es, ist für die Generation der Rentnerin etwas besonderes. Das letzte bisschen Selbst, das man sich in einem Alltag voller Verpflichtungen bewahrte.
Führen mich Dating und Casual Sex zum Ziel?
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Gleichzeitig ist sie dankbar für moderne Errungenschaften wie die Pille oder Kondome. "Das hätte ich auf jeden Fall benutzt. Bloß gab es das damals nicht", lacht sie. "Wir mussten selber aufpassen." Unverheiratet schwanger zu werden war laut der 83-Jährigen zur damaligen Zeit "unmöglich", entsprechend groß war die Angst davor. "Daher war da immer eine Sperre, wo man sich als Frau dann doch zurückzieht", erklärt sie mir. Ich überlege: Wenn ich mich zurückziehe, dann nur, weil ich keine Lust habe oder die andere Person nicht so nah an mich lassen möchte. Verhütung war da nie Thema – oder eben immer, glücklicherweise. Genau wie für die meisten Deutschen auch: 74 Prozent benutzen laut einer Umfrage immer oder häufig ein Kondom.Muss meine Generation bei der Partnerwahl kompromissbereiter werden? Ingeborg antwortet ohne zu Zögern: "Auf jeden Fall." Ihr eigenes Leben war gezeichnet von finanziellen Sorgen. Wenn sie dann etwas genießen konnte, ausgehen konnte, lebte sie im Augenblick. "Wenn ich manchmal höre, was die jüngere Generation so für Probleme hat: Die verstehe ich gar nicht, wissen Sie?" Klingt ziemlich pragmatisch. Andererseits ist meine Generation die erste Generation seit 1945, der es schlechter geht als ihren Eltern. Befristete Verträge, Nebenjobs, Bafög-Rückzahlungen und überteuerter Wohnraum – rosig sieht anders aus. Vielleicht sind Ingeborgs und meine Generation doch näher aneinander, als ich zuvor angenommen hatte. Nur, dass ich mir keine Gedanken um ungewollte Schwangerschaften machen muss. Ich kann daten, testen, wie das Herz begehrt. Männer, Frauen, nicht-binäre Menschen– theoretisch kann ich lieben, wen ich will.
Sollte ich für eine Beziehung mehr Kompromisse eingehen?
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