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Fotos: Shirin Siebert
LGBTQ

Dragqueens erzählen, warum sie trotz Anfeindungen auf die Bühne gehen

"Ich identifiziere mich weder als Mann noch als Frau. Ich tue, wonach ich mich fühle", sagt Cupcake, 25.

Ihr kurzes Kleid glitzert, die langen blonden Haare fliegen durch die Luft, aus den Boxen dröhnt das Instrumental von Kelly Rowlands und David Guettas "When love takes over" von 2009. Kendoll, eine Dragqueen, steht an diesem Sonntag im Juni in der Berliner Schwulenbar "Tipsy" auf der Bühne. Sie singt live, im Gegensatz zu den meisten ihrer Kolleginnen. "This is fucking hard", erklärt der Moderator nach Kendolls Auftritt und meint damit die Kombination ihres Gesang mit ihrer Choreographie. Kendoll performte im Mini-Dress mit Mega-Heels.

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Eine Dragqueen wie Kendoll zu sein, ist auf vielerlei Ebenen komplex. Die Vorbereitungen dauern Stunden: das Make-up, die Kostüme, die Haare, die Proben. Auf der anderen Seite sind da Vorurteile, Anfeindungen, Homofeindlichkeit in der Familie.

Wir haben Kendoll und drei weitere Dragqueens gefragt, wieso sie Dragqueens geworden sind und mit welchen Vorurteilen sie zu kämpfen haben.

Kendoll, 20: "Ich möchte eine Aktivistin sein"

Kendoll vorher nachher

"Als ich mich mit 16 als schwul geoutet habe, sagte mir meine Mutter, dass sie mich als Drag sehen könnte."

"Schon als kleines Kind liebte ich Glamour. Ich schaute meiner Mutter bewundernd dabei zu, wie sie in ihren High Heels lief. So vielen Kings und Queens hat es geholfen, ihre Identität als Drag zu finden und sich durch diese Kunstform selbst zu akzeptieren.

Meine Familie hat mich immer unterstützt. Immer. Als ich mich mit 16 als schwul geoutet habe, sagte mir meine Mutter, dass sie mich als Drag sehen könnte.

Letztes Jahr wollten meine Uni-Freunde RuPaul’s Drag Race mit mir schauen. Ich war mir nicht sicher, ob ich die Show mögen würde. Aber nachdem ich sie gesehen hatte, gefiel mir die Dragqueen Pearl und damit auf einmal auch das Konzept von Drag. Es hat noch einige Monate gedauert, bis ich mich getraut habe, in einen Laden zu gehen und alles zu kaufen, was ich brauchte.

Als ich dann tatsächlich performte, begannen meine Eltern, sich Sorgen um mich zu machen, dass mir etwas zustoßen könnte, dass mich jemand als Drag auf der Straße angreifen würde. Und sie hatten Recht. Es kann manchmal angsteinflößend sein. Ich wurde schon öfter in öffentlichen Verkehrsmittel angeschrien und beschimpft.

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kendoll beim schminken

"Drag ist eine weibliche Imitation. Genau genommen hat mich Drag dazu gebracht, mich als Mann viel wohler zu fühlen."

Dabei habe ich das Glück, dass ich in Berlin lebe, einer Stadt, in der Schwulsein kein großes Ding ist. Wie gesagt, wenn ich als Drag das Haus verlasse, kommen halt hin und wieder homophobe Kommentare. Aber nachdem ich performt habe, sind die Reaktionen immer positiv. Das gibt mir Kraft und übertüncht das Negative.

Ich glaube nicht, dass Drag dein Gender definiert. Drag ist eine weibliche Imitation. Genau genommen hat mich Drag dazu gebracht, mich als Mann viel wohler zu fühlen. Ich bestimme jetzt, was es für mich bedeutet, ein Mann zu sein. Ich brauche keine heteronormativen Stigmata.

Bisher habe ich auch nur in größeren Städten performt. Ich kann mir vorstellen, dass Drags in kleineren Orten weniger akzeptiert werden. Aber ich denke, dass genau dort mehr Shows stattfinden sollten, um die Leute mit dem Thema warm werden zu lassen.

In Berlin ist die Dragqueen-Szene sehr experimentell. Ich denke, wir sollten alle Formen des Drags akzeptieren, wie zum Beispiel die Dragkings oder die AFAB Performers. Ich will der Popstar der Drags sein und überall auf der Welt singen! Ich will Leuten zeigen, dass sie sie selbst sein können – in jeglicher Form. Ich möchte eine Aktivistin sein und für queere Rechte kämpfen."

Cupcake, 25: "So ist das Leben, ein fortwährender Kampf."

Cupcake vorher nachher

"Ich tue, wonach ich mich fühle"

"Drag kennt keine Regeln. Du kannst tun, was immer du willst. Das fasziniert mich so sehr an meinem Job. Ich habe Schauspiel studiert. Drag gibt mir jedoch mehr Freiheiten und mehr Spielraum. Niemand sagt dir, wie du auszusehen hast oder was du zu tun hast, um erfolgreich zu sein oder auch einfach nur auf der Bühne zu stehen. Ich persönlich identifiziere mich weder als Mann noch als Frau. Ich tue, wonach ich mich fühle – das beinhaltet auch mein Geschlecht und meine Fantasien.

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Meine Freunde haben mich von Anfang an unterstützt und kommen zu jedem Auftritt. Meine Familie hingegen ist komplett dagegen und sieht Drag als etwas Merkwürdiges, das sie nicht versteht. Wie die meisten Leute, bringen sie Drag wahrscheinlich mit transgender durcheinander. Meine Familie lebt im Libanon und ist religiös. Sie sind schon gegen mich, weil ich schwul bin. Manche Dragqueens haben das Glück, Familien zu haben, die sie unterstützen. Das habe ich nicht. Aber so ist das Leben, ein fortwährender Kampf.

Cupcake Schminken

"Meine Familie lebt im Libanon und ist religiös. Sie sind schon gegen mich, weil ich schwul bin"

Was ich den Leuten mit auf den Weg geben möchte, ist, dass Kunst sehr therapeutisch und heilend sein kann. Ich drücke Schicksalsschläge in meinen Performances aus. Letztens habe ich zum Beispiel einen offenen Brief vorgelesen, wie hart es ist, von meiner Familie verstoßen zu werden, obwohl sie so toxisch sind. Ich möchte, dass sich Menschen mit mir identifizieren können und darüber sprechen, wie hart es manchmal sein kann, ein Mensch zu sein."

Ellie Caballé, 18: "Sich selbst auszuleben, ist die einzige Möglichkeit, im Leben glücklich zu werden."

Ellie vorher nachher

"Ich wurde als 'Paradiesvogel' abgestempelt und belächelt"

"Meine Familie war im ersten Moment ein bisschen überrascht. Ich glaube aber, dass meine Eltern mittlerweile meine größten Fans sind. Meine Mutter näht mir Outfits für Auftritte. Wir gehen zusammen Kleidung für mich kaufen. Meine Eltern waren auch dabei, als ich mir meine ersten High Heels gekauft habe. Und meine erste Drag-Foundation und meine Drei-Zentimeter-Wimpern habe ich von meinen Großeltern geschenkt bekommen.

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Als ich noch in Bayern lebte, gab es gemischte Reaktionen auf meinen Drag. Die Gegend, aus der ich komme, ist sehr konservativ. Ich glaube, dass deswegen viele überfordert waren mit dem was ich mache. Ich wurde als 'Paradiesvogel' abgestempelt und belächelt. Die Bezeichnung 'Paradiesvogel' kann ich zwar in gewisser Weise nachvollziehen, aber habe ich oft das Gefühl, dass mich diese Menschen für durchgeknallt halten und ich für sie ein Clown bin. So möchte ich aber nicht gesehen werden.

Ich weiß nicht, wie oft ich schon gefragt wurde, ob ich auch transgender sei. In den Köpfen vieler Menschen ist noch nicht angekommen, dass man sich nicht komplett einem klassischen Geschlecht zuordnen muss. Auch sonst habe ich mir einige interessante Thesen anhören dürfen. Die Kunstfigur, die ich mit Ellie geschaffen habe, wird gerne auf die Fetisch- und Sexschiene geschoben, obwohl ich persönlich sagen muss, dass Drag für mich eine Performance und Verwandlung ist und gar keinen sexuellen Reiz darstellt. Ich könnte mir wenig Unerotischeres vorstellen, als in den schweren Fummeln sexuell aktiv zu werden.

Ellie föhnt

"Es ist meines Erachtens total bescheuert, zwischen 'richtigen' und 'falschen' Männern zu differenzieren"

Nach meinem zweiten Auftritt als Drag habe ich öffentliche Verkehrsmittel genutzt und wurde auf dem Bahnsteig von zwei Typen beschimpft und verfolgt. Dank meiner Wechselschuhe konnte ich wegrennen. Auch in der Schule wurde ich öfter beleidigt. Zum Beispiel, als ich ein Referat über Dragqueens gehalten habe. Danach durfte ich mir von einem Mitschüler anhören, dass sich meine Eltern doch schämen sollten und dass es das peinlichste Thema aller Zeiten gewesen sei.

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Dann wäre da noch das Vorurteil, dass Dragqueens keine Männer seien. Das ist eine der dümmsten Aussagen, mit der ich in der Vergangenheit schon öfter konfrontiert wurde. Zum einen ist es meines Erachtens total bescheuert, zwischen 'richtigen' und 'falschen' Männern zu differenzieren, da das einfach Geschlechterrollen sind, die wir bitte am besten ganz schnell vergessen. Sollte 'Männlichkeit' – diesen Begriff zu benutzen, finde ich schon lächerlich genug – irgendetwas mit Mut und Stärke zu tun haben, finde ich es viel mutiger und stärker, sich so auszuleben, wie es für einen richtig ist, auch wenn das oft mit viel Gegenwind verbunden ist.

Dazu fällt mir ein Zitat aus der Rocky Horror Picture Show ein: 'Don‘t dream it, be it.' Ich glaube, das trifft es ganz gut, da ich mich mein ganzes Leben ob in oder out of drag gegen vorherrschende Geschlechterrollen auflehnen musste. Ich möchte anderen Menschen die Kraft geben, dies zu tun. Ich habe bemerkt, dass es vielleicht nicht unbedingt einfacher wird, wenn man diese Hürden überwunden hat und über seinen eigenen Schatten gesprungen ist – aber sich selbst auszuleben, ist die einzige Möglichkeit, im Leben glücklich zu werden. Das Leben ist so viel lebenswerter, wenn man es schafft, sich von den klassischen Geschlechterrollen und veralteten Weltansichten zu lösen."

Pansy, 33: "Ob ich schon angegriffen wurde? Das ist, als würde man einen Fisch fragen, ob er weiß, wie man schwimmt."

Pansy Parker 1

"Meine Freunde liebten es. Meine Mutter weinte. Mein Vater wollte nicht darüber sprechen"

"Vor einigen Wochen habe ich in Skopje, Mazedonien, eine Show gespielt. Die hatten dort ihren ersten CSD dieses Jahr. Das war eine der besten Shows meiner Karriere. Man fühlte überall eine magische Energie in der Luft. Ich mag es, in kleineren Orten zu performen, dort ist das Verlangen nach etwas Wildem so viel größer.

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Meine Drag-Performances sind ein Werkzeug, um auf bestimmte Themen aufmerksam zu machen. HIV, Abtreibung, Weiße Vorherrschaft, sexuelle Nötigung und Immigration. Es steckt sehr viel Kraft darin, wenn Menschen zusammenkommen, um zu feiern. Und Drag ist die größte aller Feiern.

Mit 21 lebte ich in San Francisco. Als ich meine Drag Mother Juanita More, also meine Mentorin, in der Schwulenbar The Stud auf mich zulaufen sah, wurde mir klar, dass ich auch eine Dragqueen sein möchte. Sie sah aus wie ein Engel, der auf Glitzerwolken läuft.

Pansy Parker 2

"Eine Dragqueen zu sein, gibt mir so viel Kraft und Stärke"

Ich liebe die Illusion, das Spiel, die Möglichkeit, alles und nichts zu sein, was du dir vorstellen kann. Eine Dragqueen zu sein, gibt mir so viel Kraft und Stärke.

Dabei waren die Reaktionen nicht alle positiv. Meine Freunde liebten es. Meine Mutter weinte. Mein Vater wollte nicht darüber sprechen. Und das taten wir auch für eine Weile nicht. Ich erklärte dann irgendwann, dass eine Dragqueen wie ein Schauspieler ist, der auf der Bühne eine Rolle spielt, um seine Geschichte zu erzählen. Das haben meine Eltern dann verstanden. Heute sind sie OK damit.

Eines der größten Stigmata, mit dem ich selbst konfrontiert werde, ist Misogynie. Die ganze Zeit. Immer und überall. Jeder, der sich feminin präsentiert, wird damit direkt konfrontiert. Auch wir Dragqueens. Ob ich schon angegriffen wurde? Das ist, als würde man einen Fisch fragen, ob er weiß, wie man schwimmt. Jede Queen wurde schon auf die eine oder andere Art angegriffen."

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