Guido Schäfer kämpfte sich in den 1990er-Jahren in 177 Zweitligapartien für den FSV Mainz 05 zum Kultkicker hoch. Schon während seiner Zeit als Profi berichtete er für Mainzer Tageszeitungen aus dem Trainingslager „aus dem Innenleben eines Profis”. Nach seiner aktiven Karriere absolvierte der Diplom-Betriebswirt dann ein Volontariat bei der Allgemeinen Zeitung Mainz und arbeitete dort als Redakteur, bis es ihn im Jahr 2000 nach Leipzig verschlug.
Als Reporter für die Leipziger Volkszeitung (LVZ) berichtete er weltexklusiv als erster Journalist über den Einstieg des Brauseriesen Red Bull in der Messestadt. Seit der Vereinsgründung ist er fester RB-Leipzig-Reporter der LVZ und so nah wie sonst kein Journalist an einem der polarisierendsten Klubs Deutschlands. Im Interview mit VICE Sports spricht er über die RB-Begeisterung in Leipzig, die Vorwürfe des Hofberichterstatters und die ewige Traditionsdebatte.
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VICE Sports: Den Hass gegen RB hast du auch immer mitbekommen. Welche Erfahrung ist dir im Gedächtnis geblieben?
Guido Schäfer: Im allerersten Pflichtspiel von RB im Sommer 2009 gegen die U23 von Carl Zeiss Jena gab es keine Absperrung und die Spieler wurden angespuckt und auf das Übelste beschimpft. Nach dem Spiel mussten sie ungeduscht in den Bus sprinten und sofort nach Hause fahren. Das war das Schlimmste, was in all den Jahren passiert ist. Es hat sich mittlerweile etwas gelegt.
Du bist bei alle Spielen dabei und fliegst mit ins Trainingslager. Kannst du überhaupt noch kritisch über den Verein berichten oder bist du zu nah dran?
Wir als LVZ schreiben nicht jede Woche über die Entstehungsgeschichte über RB oder darüber, dass andere Vereine die Möglichkeiten nicht haben. Das Thema ist bei uns kein großes mehr. Wenn es etwas Kritisches zu berichten gibt, dann habe ich das getan. Natürlich wurden zu Anfang Paragraphen geschmeidig umdribbelt, weil vielleicht der ein oder andere Herr beim Sächsischen Fußballverband der Meinung war, dass der Einstieg von Red Bull gut für den ostdeutschen Fußball ist. Aus Leipziger Sicht muss ich sagen: RB ist ein Geschenk Gottes oder eines von Dietrich Mateschitz.
Die Kritik gegen den Verein kommt aus ganz Deutschland. Denken die Leipziger eher wie du?
Ich kann nicht von allen reden, aber der Fußballverein ist schon längst angekommen in Leipzig. Die zweitbesten Zuschauerzahlen in der zweiten Liga sprechen da eine klare Sprache. Trotzdem wird es aber auch immer Leute geben, die RB nie mögen werden—wie etwa der harte Kern von Lok und Chemie. Das ist mir aber egal, mir ist es lieber vor 40.000 Zuschauer gegen St.Pauli tollen Fußball zu sehen, als vor 5.000 eine Niederlage gegen Meuselwitz.
Warum gibt es diese Begeisterung für den Verein?
Die Leute wollen diesen guten Fußball sehen, ohne die Angst vor irgendwelchen Ausschreitungen haben zu müssen. Früher konntest du bei den Ostderbys nicht mit deiner Familie zum Fußball. Zudem musste weder Stadt noch die heimische Wirtschaft Geld in die Hand nehmen. Herr Mateschitz ist gekommen und hat nicht gefragt, was er bekommt, sondern hat viel Gutes für die Stadt Leipzig getan.
Bist du RB-Fan?
Nein, ich bin kein Fan. Ich bin Mainz-05-Fan, weil ich lange Zeit für diesen Verein gespielt habe. Aber es ist ja auch völlig normal, dass man hofft, dass RB Leipzig gewinnt. Aber wenn sie verlieren, bin ich auch nicht deprimiert, sondern schreibe, wie es war. Aber natürlich hoffe ich, dass sie in die Bundesliga aufsteigen.
Du spricht äußerst positiv über den Verein. Kritiker werfen dir vor, dass du ein „Hofberichterstatter” von RB seist. Was hältst du dagegen?
Ich sage, dass ich kein Hofberichterstatter bin. Wenn sie scheisse spielen, dann steht das auch so in der Leipziger Volkszeitung und nicht anders. Aber ich fange nicht jede Woche meinen Artikel damit an, wie schlimm es ist, dass Herr Mateschitz vor einigen Jahren das Raumschiff RB in Leipzig gelandet hat. Hofberichterstattung ist etwas anderes. Die von RB sind auch oft wenig begeistert, wenn sie die LVZ aufschlagen. Da bekomm ich dann auch mal einen Anruf oder eine SMS, wo sich jemand beschwert.
Kannst du die Ängste der RB-Kritiker nicht nochvollziehen?
Diese Traditionsdiskussion ist mitterweile langweilig. Herr Mateschitz hat dazu mal einen guten Satz gesagt: ‘Bayern München ist in 500 Jahren 600 Jahre alt und wir eben erst 500.’ Von dem Status Traditionsverein zu sein, kann man sich nichts kaufen. Ich habe selbst für den Traditionsverein Mainz 05 gespielt. In den grauen Zweitligazeiten hatten wir 5.000 Zuschauer da—erst mit dem Aufstieg in die Bundesliga bekam der Verein ein neues Stadion und das war dann ausverkauft. Man muss einem Verein irgendwann zugestehen, dass er sich auch gründet.
Viele Fans und Vereine beharren auf die 50+1-Regel, die RB Leipzig nur formal erfüllt…
Da ist auch viel Neid und Missgunst dabei. Wenn man genau hinhört, ist bei einem Rummenigge oder so kein negatives Wort über RB Leipzig zu hören. Man hat die Tür ein Stück weit geöffnet, als man Bayer Leverkusen und dem VfL Wolfsburg erlaubt hat Fußball zu spielen. RB Leipzig tut nichts, was irgendwelche Statuten verletzt.
Könnte das Financial Fairplay nicht irgendwann ein Problem für den Verein werden?
Da muss sich der Verein natürlich auch unterwerfen. Sie versuchen momentan intensiv die finanzielle Abhängigkeit von Red Bull zu reduzieren und neue Sponsoren zu finden. RB Leipzig ist auf dem Weg ein ganz normaler Fußballverein zu werden.
Hat der Verein Angst vor der ersten Liga und dem Hass der großen Fangruppen?
Ralf Rangnick hat es ja ähnlich mit Hoffenheim geschafft und sagte mal, dass sich niemand mehr für Dietmar Hopp und das Geld interessiert hatte, als man mit den Bayern in der ersten Vorrunde auf Augenhöhe war und tollen Fußball gespielt hat. Mit gutem Fußball kann man viele Stimmen verstummen lassen. Das ist auch der Plan von RB Leipzig. Über diese Kritik können sich handelnden Personen auch nicht jeden Tag Gedanken machen, die haben da genug zu tun.
„Stellt sie an die Wand”—Wie sich die Kritik an RB Leipzig der Nazi-Rhetorik bedient
Du hast mal gesagt, dass du die „die Kohle für Frauen und Suff ausgegeben und nicht aufs Geld geschaut hast”. Wärst du bei RB gerne Profi gewesen?
Du kriegst morgens erzählt, was du essen sollst und wann du ins Bett gehen musst. Das ist alles sehr reglementiert und professionalisiert, um möglichst schnell viel Erfolg zu haben. Da ist ein riesiger Druck auf dem Kessel. Für mich als Spieler wäre das kein Verein gewesen—andererseits hätte ich dann vielleicht auch mehr erreicht und müsste jetzt kein Journalist sein. Wenn man einen Mann wie Rangnick in jungen Jahren als Trainer hat, kann der einen besser machen.
Was hat der RB Leipzig vielleicht falsch gemacht in seinen ersten Jahren?
Ich glaube, sie haben sehr viel richtig gemacht, um möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten. Aber wenn du dann einen Davie Selke für acht Millionen kaufst, ist es schwierig gegen die Vorwürfe zu argumentieren. Andererseits: Wenn man mit Trainern oder Fachleuten spricht, gibt es nur ganz wenige, die nicht nach Leipzig gehen würden. Das liegt nicht nur am Geld, sondern auch an den Bedingungen.
Etabliert sich bei den Fans so eine Wir-gegen-Alle-Mentalität?
Es gibt da so Sprechchöre, wenn die gegnerischen Fans irgendwas mit ‘Bullenschweine’ singen, dann stimmt der komplette Leipziger Anhang ein: ‘Wir sind Schweine, wir sind Bullenschweine.’ Man nimmt sich da immer ein bisschen selbst auf den Arm. Ich glaube der Hass wird sich aber legen, wenn die Fans mal merken, dass sich RB dem DFB und des Financial Fairplay unterwirft.
Wird RB den FC Bayern irgendwann als deutsche Nummer Eins ablösen?
Dem großen FC Bayern wird RB Leipzig niemals gefährlich werden. Ich nehme ihnen die Pläne mit dem organischen Wachstum ab. Sie wollen Erfolg, aber auch Transferwerte schaffen und weiterhin auf junge entwicklungsfähige Spieler setzen. Die werden nächste Saison keine 50 Millionen für einen Spieler zahlen.
Du kennst das Katz-und-Maus-Spiel von Journalisten und Profis von beiden Seiten, welche Seite gefällt dir besser?
Wir waren damals ja froh, wenn mal ein Journalist angerufen hat oder eine Kamera auf uns gehalten hat. Jetzt wird jedes Interview geglättet und autorisiert. Die Lockerheit ist auf der Strecke geblieben—weswegen ein Jürgen Klopp auch als einer der wenigen so verehrt wurde. Aber die Medien legen auch alles auf die Goldwaage. Ich bin zufrieden, was ich nach all den Jahren zustande gebracht hab. Und wenn jemand sagt, dass der Schäfer ein Hofberichterstatter ist, dann können sie das ja sagen. Wenigstens einer, der gut schreiben kann.
Das Interview führte Benedikt Niessen, folgt ihm bei Twitter: @BeneNie