Die Homöopathie hat längst ihren Platz im deutschen Gesundheitssystem gefunden. Nicht nur übernehmen viele Krankenkassen homöopatische Behandlungen, längst bieten auch zahlreiche Ärzte wie selbstverständlich die angeblich sanfte Alternative in ihren Praxen an—und natürlich müssen sie sich dazu weiterbilden und ihren potentiellen Patienten ihre Behandlungsmethode schmackhaft machen. Motherboard hat sich am Wochenende in Bremen auf dem größten Homöopathiekongress des Jahres angesehen, wie das abläuft.
Die Tagung des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte (DZVhÄ) versammelt eigentlich die „seriösesten” Vertreter ihres Fachs, denn hier tagen Ärzte mit einer soliden wissenschaftlichen Ausbildung und keine Heilpraktiker, die sich ihr Wissen lediglich in Wochenendkursen angeeignet haben.
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Bereits im Vorhinein gab es Streit um die Tagung: Die Bremer Wissenschaftssenatorin Eva Quante-Brandt wollte als offizielle Schirmherrin des alternativmedizinischen Kongresses auftreten, eine Initiative von Homoöpathie-Kritikern forderte sie auf, davon abzusehen—sie lehnte ab, und ihr Gesicht prangt bis heute auf der Website des Kongresses.
Der Homöopathiekongress ist die wichtigste Veranstaltung des DZVhÄ in diesem Jahr. Mit rund 30 Referenten und über 50 einzelnen Programmpunkten will der Zentralverein drei Tage lang unter dem Motto „Vielfalt der Methoden – Homöopathie im Wandel der Zeit” den Beweis antreten, dass die Homöopathie nicht nur den Homöopathen, sondern auch den Patienten nutzt. Für eine Teilnahmegebühr zwischen 40 und 510 Euro werden im Congress Centrum des Bremer Maritim Hotels nicht nur an zwei Tagen Fachvorträge geboten, die Homöopathen laden am dritten Tag auch zu einem kostenlosen Patiententag an.
Die Versprechungen der Vorträge
In Vorträgen und Einzelgesprächen sollen den Teilnehmern die Möglichkeiten der Homöopathie aufgezeigt werden. Ich mische mich am Samstag unter die Gäste—und stelle schnell fest: Die Möglichkeiten der Alternativmedizin sind erstaunlich. So referiert Dr. Helge Seifert, der in seiner Praxis nach eigenen Angaben mittlerweile nur noch homöopathisch behandelt, wie Homöopathie kranken Kindern helfen kann. In einem Vortrag behauptet er, dass die Homöopathie um so abrupter wirke, je akuter der Zustand seiner Patienten sei. Die Behandlungen würden lediglich dann länger dauern, wenn die Beschwerden schon länger bestehen oder wenn es bereits eine sogenannte schulmedizinische Vorbehandlung gebe.
Die Botschaft, die Vorträge wie der des homöopathischen Arztes Seifert den bis zu 50 Zuhörern im Saal vermitteln sollen, ist eindeutig: bei Beschwerden sollte es sofort zum Homöopathen gehen. Von Medizinern, die mit wissenschaftlich anerkannten Methoden arbeiten, sollten sich die Kranken lieber fernhalten. Mit ihren Tropen und Pillen verlängerten sie nur unnötig das Leid und machen dem Homöopathen die Arbeit schwer.
Der Flyer, mit dem Seifert auf dem Kongress seine Praxis bewirbt, spricht eine ähnliche Sprache. Homöopathie, so heißt es da, sei bei allen Krankheiten einsetzbar, die keiner chirurgischen Behandlung bedürfen. „Sorgfältig ausgewählte homöopathische Mittel heilen schnell, sanft, sicher, ohne gravierende Nebenwirkungen und dauerhaft auch schwere akute und chronische Erkrankungen wie Migräne, Neurodermitis, Asthma bronchiale, Colitis, rheumatische Erkrankungen u.v.m., für die sonst nur Linderung, aber keine Heilung möglich ist. Dies gilt auch für akute Krankheiten bakterieller oder viraler Natur.”
Sogar manch ein Politiker hält sich mit seiner Kritik zurück, immerhin sind Homöopathieanhänger potentielle Wähler.
Seifert behauptet damit nicht nur ein Wirkungsvermögen der Homöopathie, welches wissenschaftlich bislang nicht ansatzweise nachgewiesen werden konnte. Er stellt seine (Experten zufolge allen Naturgesetzen widersprechende) Methode auch über die moderne, von der Forschung belegte Medizin. Die „Schulmedizin”, wie Homöopathen die medizinische Wissenschaft verächtlich nennen, würde nur lindern, die Homöopathie aber heilen, betont Seiferts Flyer.
Ein Patient, der wirklich gesund werden will, muss nach dieser Logik die anerkannte Medizin meiden und sich ganz in die Hände der Homöopathie begeben. Seiferts äußerst positive Flyer-Formulierung ist dabei kein unglücklicher Einzelfall. Die selben Sätze finden sich wörtlich auch in einem Flyer des DZVhÄ unter der Überschrift „Leitfaden zur Behandlung mit homöopathischen Heilmitteln”. Wenn Homöopathen ihre eigenen Fähigkeiten übertreiben und der Medizin gar die Fähigkeit, Krankheiten zu heilen absprechen, dann hat das System. Und ist gut fürs Geschäft.
Die Hersteller: Eine Messe der Möglichkeiten
Ein Geschäft, an dem nicht nur homöopathische Ärzte teilhaben wollen, sondern auch die Hersteller der Homöopathika und die Apotheken. Dass Patienten sich selbst mit homöopathischen Medikamenten versorgen, ist ein Trend, der von der Alternativmedizinindustrie gern gesehen und mit Flyern und Büchern befördert wird. Nur wenige Meter von Seiferts Vortrag entfernt haben homöopathische Unternehmen eine kleine Messe aufgebaut und preisen ihre Produkte an.
Der Hersteller Arcana beispielsweise versorgt jeden Interessenten an seinem Stand mit einem Flyer zu homöopathischen Medikamenten „für Notfall und Reise”. Eine leicht verständliche Übersicht, anhand der sich Patienten schnell selbst das richtige Mittel aus dem Arcana-Sortiment heraussuchen können. Und dabei geht es nicht nur um kleine Wehwechen, sondern um ernsthafte gesundheitliche Probleme. Folgt man dem Flyer, ist hingegen alles ganz einfach: Kreislaufprobleme? Veratum album. Harnwegsinfekt? Pulsatilla. Lebensmittelvergiftung, auch vorbeugend? Okoubaka. Gehirnerschütterung? Arnica. Insektenstiche mit Schwellung? Apis mellifica—Honigbiene
Die Firma Arcana empfiehlt für ihre Mittel Preise zwischen 11,51 Euro und 17,05 Euro. Wie teuer ein Medikament ist, hängt davon ab, wie stark es potenziert, also verdünnt wurde. Je weniger Wirkstoff in den Arcana-Tropfen enthalten ist, um so teurer werden sie. Ein gutes Geschäft. An Patienten darf Arcana auf der Messe jedoch nicht verkaufen, denn homöopathische Medikamente sind in Deutschland apothekenpflichtig. Die Fläschchen finden aber auch so ganz leicht den Weg zu den Kunden—sie können ohne Rezept in Onlineapotheken bequem bestellt werden.
„15 von 129 homöopathisch behandelten HIV-Patienten einer Versuchsreihe wurden HIV-negativ”
Die homöopathische Behandlung von Insektenstichen zeigt gut, welcher vorwissenschaftlichen Logik die Homöopathen anhängen. Ihrer Ansicht nach wird Gleiches mit Gleichem geheilt. Wenn nach einem Stich die Haut zu jucken beginnt und schmerzhaft anschwillt, dann ist das beste Gegenmittel eines, welches bei einem gesunden Menschen genau diese Reaktion hervorruft. Also verreiben und verschütteln Homöopathen eine Biene und verdünnen sie so lange, bis kein Molekül des Tieres mehr auffindbar ist. Im schlimmsten Fall kann solch ein Ansatz für Allergiker sogar tödlich enden. Das homöopathische Mittel in solch großen Mengen abgesetzt werden können, wird überhaupt erst möglich, weil homöopathische Medikamente in Deutschland ihre Wirksamkeit nicht nachweisen müssen. Würden an homöopathische Medikamente die selben Ansprüche wie an alle anderen Arzneimittel auch gestellt, das Geschäft mit der Gutgläubigkeit von Ärzten und Patienten wäre schon längst vorbei—mangels legal erhältlicher Globuli.
Sammelstudie entzaubert Homöopathie: Forscher finden keine Belege für Wirksamkeit
Der Kongress in Bremen zeigt, dass die Homöopathen dabei vor keiner Erkrankung halt machen, und sei sie auch noch so schwer oder ausgefallen. Die Referenten berichten von Behandlungserfolgen bei Epilepsie, Depressionen, bipolaren Persönlichkeitsstörungen und Katzen, die immer neben das Katzenklo pinkeln. Ein Einzelfallbericht reiht sich in den Vorträgen an den anderen. Auch das ist typisch für die Homöopathie: statt auf kontrollierte Studien mit wissenschaftlichen Standards setzen Homöopathen auf anekdotische Behandlungsgeschichten. Ob am Ende tatsächlich die Globuli für den Erfolg verantwortlich waren oder nicht doch eine andere, wissenschaftliche Therapie, oder ob der Patient sogar ganz von allein wieder gesund geworden ist, das kann mit derartigen Erzählungen nicht geklärt werden, so sehr die Homöopathen auch versuchen, diesen Anschein zu erwecken. Geschichten davon, welche Behandlungen gescheitert sind, kommen mir auf dem Patienttag in sechs Stunden nicht zu Ohren.
Die Homöopathen, die dort vor bis zu 50 andächtig lauschenden Zuhörern, viele davon ältere Damen, referieren, finden in ihren Patientengeschichten zwar nicht unbedingt gleich beim ersten Versuch das richtige Mittel—am Ende erreichen sie aber stets ihr Behandlungsziel und machen ihre Kunden glücklich. Kritische Fragen über die Grenzen der Homöopathie stellen die Zuhörer ohnehin nicht. Dabei ist Kritik an der Homöopathie durchaus ein Thema bei den Teilnehmern—immer wieder stecken sie die Köpfe zusammen und versichern sich gegenseitig, nicht zu verstehen, warum die Zweifel an der Homöopathie in den Medien immer lauter werden. Auf besonderes Unverständnis stößt dabei die Ärztin und Ex-Homöopathin Natalie Grams.
Sie hat bei der Recherche für ein Buchprojekt erkannt, dass die Homöopathie auf wackeligen Füßen steht und warnt heute vor der gefährlichen Pseudomedizin. Immer wieder fällt in Gesprächen auf dem Kongress auch ihr Name, oft gefolgt von einem abfälligen „Wie kann sie das nur machen?” Gegen Kritik, auch aus den eigenen Reihen, sind Homöopathen auffällig immun.
Gegen die Kritiker mit einem Forschungsreader
Um Kritiker zu überzeugen, dass sie im Unrecht sind, hat die Wissenschaftliche Gesellschaft für Homöopathie (WissHom) pünktlich zum Kongress auch einen Forschungsreader präsentiert. Er soll beweisen, dass Homöopathie wirksam ist. Doch es genügt ein Blick in die Zusammenfassung des 60-seitigen Papiers, um die Widersprüche der Veröffentlichung zu erkennen. Während die zusammenfassende Überschrift auf der WissHom-Homepage verspricht: „Die Studien zeigen: Homöopathie ist wirksam”, muss der Reader tatsächlich eingestehen, dass die vorliegenden Studien ungeeignet sind, diese These zu belegen. So heißt es zu den Studien der Versorgungsforschung, die die medizinische Versorgung einzelner Patienten untersucht: „Eine Kausalbeziehung zwischen Arzneitherapie und Therapieergebnis lässt sich aus methodischen Gründen allerdings aus diesen Studien nicht ableiten.” Auch die randomisierten klinischen Studien liefern nicht das von den Homöopathen erhoffte Ergebnis: „Eine endgültige wissenschaftliche Aussage ist aufgrund der heterogenen Studienlage und der geringen Anzahl qualitativ hochstehender Studien aber derzeit nicht möglich.” Und auch die Grundlagenforschung ist laut dem Reader der WissHom noch nicht in der Lage, die Wirkung der Homöopathie zu erklären. Es gebe zwar erste empirische Hinweise, aber noch keine ausgereifte Theorie. Trotzdem kommt die WissHom zu einem positiven Gesamtergebis für die Homöopathie: „Eine zusammenfassende Betrachtung klinischer Forschungsdaten belegt hinreichend einen therapeutischen Nutzen (effectiveness) der homöopathischen Behandlung.”
Die Ex-Homöopathin Natalie Grams kommt daher gemeinsam mit anderen Homöopathiekritikern zu einem vernichtenden Fazit zu dem angeblich wissenschaftlichen Reader, wie sie auf der Internetseite des Informationsnetzwerkes Homöopathie schreibt: „Die WissHom behauptet zwar den wissenschaftlichen Nachweis der Wirksamkeit von Homöopathie, diese Aussage findet sich aber in der Zusammenfassung ihres Papiers überhaupt nicht wieder.”
„Notfall-Globuli”
Den Höhepunkt der unhaltbaren homöopathischen Heilsversprechen gibt es dabei am Stand des Similimum-Verlags. Die „Didaktische Materia Medica” des Verlags weiß, welche Globuli angeblich bei Herzinfarkten, Nierenkoliken oder Lungenödemen helfen sollen. Ein Buch über „Notfall-Globuli” bei Quetschungen, Schädelbruch oder Kollaps ist derzeit in Arbeit, wie ein Flyer auf dem Kongress ankündigt.
Das Buch „Das kann die Homöopathie” wird mit einem reißerischen Aufsteller beworben. Dieser verspricht Berichte über die homöopathische Heilung unter anderem von ADHS, AIDS, Borreliose, Gehirntumoren und Tuberkulose. Im Flyer zum Buch wird behauptet, dass Homöopathie bei Krebs wirke. Zugleich wird Angst vor der Chemotherapie verbreitet. Diese könne Krebs erzeugen. Ein Blick ins Buch zeigt, dass sich diese steilen Thesen noch steigern lassen. „15 von 129 homöopathisch behandelten HIV-Patienten einer Versuchsreihe wurden HIV-negativ”, ist dort zu lesen. Derartige „Fachliteratur” auf einer Esoterikmesse zu finden ist gefährlich, aber erwartbar. Im Rahmen eines sich selbst als wissenschaftlich verstehenden Ärztekongresses ist es ein deutliches Zeichen dafür, wie wenig sich manche Homöopathie-Anhänger von tödlicher Scharlatanerie abzugrenzen bereit sind: gar nicht.
Wenn alle stricken reißen: Feinstoffliche Physik
Das wird auch im wissenschaftlichen Programm der Konferenz deutlich. Dort trat mit Klaus Volkamer beispielsweise ein Esoteriker auf, der über „feinstoffliche Physik” referierte, um über den Umweg eines wissenschaftlich überhaupt nicht anerkannten Feldes doch noch den angeblichen Beweis zu erbringen, dass Homöopathie wirkt. Und mit Jens Wurster war ein Arzt von der homöopathischen Krebsklinik Santa Croce aus der Schweiz vor Ort. Dort werden Krebserkrankungen „rein homöopathisch” behandelt, „auch in Begleitung zu einer konventionellen Therapie”. Im Klartext: die Klinik bietet an, Krebspatienten ganz ohne wissenschaftlich fundierte Behandlungsmethoden zu „therapieren”—ein Unterfangen, dass für den verzweifelten Patienten tödlich enden kann. Die Klinik Santa Croce glaubt tatsächlich, dass auch eine rein homöopathische Behandlung den Krebs besiegen kann, auf Youtube zeigt sie den Fall einer Patientin als Beweis. Was Verlage wie Similimum veröffentlichen ist keine bloße Theorie: Homöopathen setzen es in die Tat um, mit allen Konsequenzen.
Dabei warnen Experten wie Jutta Hübner von der Deutschen Krebsgesellschaft eindringlich davor, Krebs mit Homöopathie zu behandeln. Es gebe keinen wissenschaftlichen Nachweis, dass sich Krebs mit homöpathischen Mitteln heilen lasse. Nicht einmal eine Besserung der Beschwerden, die über den Placeboeffekt hinausgehe, habe sich bislang nachweisen lassen, so Hübner gegenüber Motherboard. Krebspatienten, die sich allein auf die Homöopathie verlassen, begeben sich in eine potentiell tödliche Gefahr: „Eine unbehandelte Krebserkrankung schreitet fort und es kann sich aus einem heilbaren Zustand ein nicht mehr heilbarer entwickeln.”
Trotzdem läuft das Geschäft mit der Homöopathie weitgehend unbehelligt weiter. Gesetzliche Krankenkassen werben damit, diese unwirksame Behandlungsmethode zu zahlen, weil sie von zahlreichen Versicherten als angeblich sanfte Methode nachgefragt wird. Politiker trauen sich aus Angst um Wählerstimmen nicht, die Homöopathie offen zu kritisieren, oder übernehmen gleich die Schirmherrschaft über unwissenschaftliche Quacksalbertreffen. Immerhin sind Homöopathieanhänger potentielle Wähler, die Druck auf unliebsame Politiker ausüben oder ihnen zu einem Platz im Bundestag verhelfen können. Manch ein Kritiker mit politischen Ambitionen bleibt da lieber stumm, so hört man es sogar im politischen Berlin in Hintergrundgesprächen. Ärzte und Apoheker bieten zudem ebenfalls die überteuerten Zuckerkügelchen an—teils aus ernsthafter Überzeugung, teils zähneknirschend aus wirtschaftlicher Notwendigkeit. Ärztekammern vergeben Fortbildungspunkte für homöopathische Seminare.
Die scheinbare Normalität, mit der Homöopathie mittlerweile in unserem Gesundheitssystem stattfindet, bestärkt den Glauben der Patienten, sie hätten es hier mit einer wirksamen, zumindest aber harmlosen Methode zu tun. Doch das ist nicht der Fall: zu viele Homöopathen erkennen die—äußerst engen—Grenzen ihrer Methode nicht. Damit tritt die Homöopathie den Beweis an, dass sie auch ohne nachweisbare Wirkstoffe die Patienten schädigen kann: indem sie sie in falscher Hoffnung wiegt und sie zu spät oder gar nicht zum so verhassten „Schulmediziner” schickt.