Andrea Ng war 16, als sie ein Selfie bei Facebook hochlud, das sie bei den Vorbereitungen für einen Schulball zeigte. Das Foto könnte unschuldiger nicht sein: Sie und ihre Freundinnen tragen einfach nur voller Vorfreude ihr Make-up auf und posieren vor dem Badezimmerspiegel.
Die junge Frau aus Richmond in der kanadischen Provinz British Columbia hatte sich bei dem Bild damals nichts gedacht und es auch schnell wieder vergessen. Aber drei Jahre später sollte es sie wieder einholen, denn sie hat dann erstmal zwei Jahre damit zugebracht, das Foto irgendwie aus dem Internet entfernen zu lassen.
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Alles begann im Mai 2013, als Andreas Freundin ihr den Link zu einem Facebook-Profil schickte, das mit ihrem Namen und dem besagten Schulball-Selfie ausgestattet war. Es gab jedoch einen Unterschied: Das Bild war so bearbeitet, dass es den Anschein hatte, als wäre Andrea darauf oben ohne zu sehen—das pinke Kleid, das sie im Originalfoto trug, wegretuschiert und fremde Brüste auf ihren Oberkörper kopiert.
Und um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, hatte es sich der Hochstapler noch zum Ziel gesetzt, so vielen von Andreas Freunden und Familienmitgliedern eine Freundschaftsanfrage zu schicken wie nur möglich.
„Immer wenn das Foto erneut aufgetaucht ist, war ich so wütend, dass ich nicht schlafen konnte. Ich hatte ja auch keine Ahnung, was ich gegen diesen Spuk unternehmen sollte”, erzählt mir Andrea. „Ich bin jeden Morgen aufgewacht und hatte Angst, dass es wieder passieren könnte.”
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Inzwischen ist Andrea 21 und studiert Public Relations. Ihren unbekannten Cyberstalker ist sie allerdings immer noch nicht wirklich losgeworden: Mit Hilfe von mehreren unechten Accounts hat er das Foto jetzt schon in vielen sozialen Netzwerken verbreitet.
Immerhin löschte Facebook den unechten Account, nachdem Andrea ihn 2013 gemeldet hatte. Diesen Februar tauchte das bearbeitete Foto jedoch wieder auf—dieses Mal auf Tumblr. Und dort ging es viral und wurde Hunderte Male gerebloggt. Als Tumblr dann schließlich die Ursprungsseite entfernte, dachte Andrea, dass die ganze Tortur jetzt ein für alle Mal vorbei wäre.
Im April bekam sie dann allerdings einen Anruf: Ihr Freund teilte ihr mit, dass das Oben-ohne-Foto jetzt auf Twitter aufgetaucht war. Ihr Stalker hatte einen Twitter-Account mit ihrem Namen erstellt und folgte damit ihren Kollegen und den Unternehmen, bei denen sie sich für ein Praktikum beworben hatte.
Andrea verfiel sofort wieder in Panik und versuchte nochmals, die Polizei einzuschalten—jedoch ohne Erfolg. Sie meint, dass ein Beamter gesagt hat, dass die Polizei nicht weiter ermitteln könnte, zum Teil auch weil die junge Frau durch die ganze Situation scheinbar nicht selbstmordgefährdet war.
„Ich war richtig sauer und sprachlos”, erzählt mir Andrea. Sie musste auch sofort an Amanda Todd denken, die 15-jährige Kanadierin, die im Jahr 2012 Suizid beging, nachdem ein Cyberbully damit gedroht hatte, ein Oben-ohne-Foto von ihr ins Internet zu stellen. Andrea fragte sich, warum man ihren Fall nicht ernst nahm.
Kanadas neues Anti-Cyberbullying-Gesetz (Bill C-13) trat im März in Kraft und macht das Teilen von „intimen Bildern” ohne die Zustimmung der fotografierten Person zu einer Straftat. Es ist jedoch unklar, wie man dieses Gesetz auf solche Fälle wie den von Andrea anwendet, da es sich da ja um bearbeitete und unechte Bilder handelt.
Jetzt hat sich Andrea dazu entschlossen, die Sache selbst in die Hand zu nehmen und ihre PR-Fähigkeiten einzusetzen. Anfang dieses Monats schrieb sie einen Blog-Eintrag, in dem sie alle Zusammenhänge und ihre Sicht der Dinge darlegt. „Manchmal ist es einfach nicht ersichtlich, warum manche Menschen so viel Zeit haben und dein Leben mit Cyber-Mobbing kaputt machen wollen”, schreibt sie.
Der Blog-Eintrag (der inzwischen schon über 16.000 Mal aufgerufen wurde) enthält auch das echte Foto direkt neben der bearbeiteten Version—die nackten Brüste hat sie dabei unkenntlich gemacht, um nicht wegen Kinderpornografie verhaftet werden zu können ( und da ist wirklich Vorsicht geboten). Sie zitiert Cyberbullying-Statistiken und gibt Auskunft über ihre Gespräche mit der Polizei und den Social-Media-Unternehmen.
„Jetzt kann diese Person das Bild nicht weiter verbreiten, denn ich habe allen gezeigt, wie es wirklich ist. Man würde also bloß dumm dastehen”, erklärt mir Andrea. „Ich musste mich einfach selbst zu Wort melden. Nur so kann mir dieser Mensch nicht weiter schaden.”
Und damit liegt sie richtig. Laut Andrea hat ihr Cyberstalker endlich damit aufgehört, das Foto im Internet zu verbreiten. „Ich habe die Kontrolle über mein Leben zurückerlangt und diese Person ist nicht mehr länger in der Lage, meine Gefühle zu verletzen.” Sie meint zwar auch, dass sie immer noch gerne wissen würde, wer der Täter ist, hat von der Polizei aber noch keine weitere Rückmeldung erhalten.
Also habe ich mich selbst mit der Polizei von Richmond in Verbindung gesetzt, um über Andreas Fall zu reden. Ich wurde an Corporal Dennis Hwang weitergeleitet, der für diese Art der Kriminalität zuständig ist. Leider wollte er mir aus Datenschutzgründen keine Auskunft zu dem Fall geben. Er fragte mich allerdings, ob mein „siebter Sinn” Alarm schlagen würde, wenn man mit solchen Geschichten auf mich zukommt. Auf meine Gegenfrage, ob es bei der kanadischen Polizei normal wäre, Cyber-Mobbing-Opfer nicht ernst zu nehmen, so lange keine Selbstmordgefahr besteht, bekam ich ebenfalls keine Antwort.
In einer E-Mail meinte Hwang, dass die Polizisten „alle Cyberbullying-Fälle sehr ernst nehmen. Dabei handelt es sich um ein nationales Anliegen. Jeder Fall ist eigenständig und wird von den Ermittlern auch so aufgefasst.”
Seit der Veröffentlichung ihres Blog-Posts hat Andrea schon von vielen anderen Frauen Nachrichten bekommen, die ebenfalls Opfer eines Cyberstalkers geworden sind. Und obwohl ihr von der Polizei nicht geholfen wurde, weist Andrea diese Frauen an, die Behörden einzuschalten. „Wenn immer mehr Fälle bei den Polizisten eingehen, sehen die vielleicht endlich ein, wie schwerwiegend und weit verbreitet dieses Problem eigentlich ist—und dann sind sie zum Handeln gezwungen”, erklärt mir Andrea.
„Wenn die Frauen in der Zwischenzeit Hilfe benötigen, dann können sie sich jederzeit bei mir melden. Ich bin immer für sie da.”