Popkultur

Dagi Bee rappt jetzt – und hat einen Disstrack gegen sich selbst geschrieben

Direkt zu Beginn möchte ich eine Lanze für Dagi Bee brechen: Ich glaube nicht, dass es so einfach ist, eine der bekanntesten Influencerinnen Deutschlands zu sein, wie es im ersten Moment erscheinen mag. Sicherlich gibt es körperlich und psychisch anstrengendere Jobs, als sich das Gesicht zu konturieren oder am weißen Traumstrand unter 500 Selfies das Beste für den #iwokeuplikethis-Post auszusuchen. Andererseits müsst ihr immer gut aussehen, immer gut gelaunt sein, und durchgehend die Illusion aufrechterhalten, dass ihr das beste Leben aller Zeiten führt, auch wenn ihr mit Brechdurchfall auf der Toilette hängt.

Und selbst wenn die Fans zufriedengestellt sind, sind da immer noch die Hater in euren Kommentarspalten. Die euch sagen, dass ihr dumm seid, dass ihr ohne Filter scheiße ausseht, dass jeder das könnte, was ihr macht (auch wenn man sich dann sicherlich die Frage stellen kann, warum es nicht jeder macht) – ab eine Million Fans auf Instagram ist man für viele eben kein Mensch mehr, sondern ein übermenschlich schöner Sandsack. So gesehen ist es also eine ziemlich lustige Idee von Dagi Bee, alle Hater-Kommentare zu sammeln und in einen Disstrack gegen sich selbst zu verwandeln. Es gibt nur ein Problem: Dagi Bee wollte ihn selbst rappen.

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“Diss” heißt der Track, den Dagi Bee am Sonntag veröffentlichte. Nach einem halben Tag hat das Video 1,6 Millionen Aufrufe und ist die Nummer eins der Trending-Seite auf YouTube. Eine ernsthafte Rap-Karriere scheint die Influencerin nicht anzustreben, vielmehr hat sie die “Roast Yourself Challenge” besonders kreativ ausgelegt. “Das folgende Video basiert auf Hater-Aussagen Dritter und ironischen Selbstbeleidigungen. Wer das nicht versteht, kann sich gerne verpissen”, heißt es ziemlich krawallig zu Beginn des Videos. Dann setzt der Beat ein, Dagi knipst ihr Tausend-Watt-Lächeln an und roastet sich so sehr selbst, wie man sich eben roasten kann, wenn man sehr junge Fans hat und bei allem, was man tut, optimal vermarktbar rüberkommen muss.

Sie würde “aus Scheiße Geld machen”, rappt sie strahlend in die Kamera und schunkelt sich videogen zum frühen Höhepunkt des Songs, der Zeile “Ungeschminkt krieg’ ich große Probleme. Gesicht wie ein Turnschuh, doch Photoshop regelt’s”. Realitätsfremd, oberflächlich, peinlich – Dagi gibt in ihren zwei Parts einen ziemlich guten Überblick darüber, was ihr und anderen Beauty-Vloggerinnen regelmäßig vorgeworfen wird. YouTube-Kollege Julien Bam darf dann auch nochmal was Böses über Dagi sagen und hat trotz besserem Flow den textlich deutlich schlechteren Part abgekriegt (“Du bist nur Dagi Bee und nicht Dagobert Duck”). Anschließend ist “Diss” nach rund drei Minuten auch schon vorbei. Über 200.000 Menschen gefällt das.

Ob das unbeholfen gerappte, optisch instagramtauglich an Bruno Mars’ und Cardi Bs “Finesse” angelehnte Video die Hater aufrütteln wird? Oder Dagi zumindest in eine Rolle bringt, in der das ewig skeptische Internet-Feuilleton sich zwar nach wie vor über Product Placement aufregt, dazu aber in einem Nebensatz nachschieben kann “Zumindest weiß sie selbst, dass das alles auch ein bisschen albern ist”? Wahrscheinlich eher nicht. Dafür lässt sich eine ganz andere, mutmaßlich ungewollte Schlussfolgerung aus “Diss” ziehen: Rapperinnen und YouTube-Stars haben mehr gemeinsam, als Lionts “Doppelkinn” oder “Bist du real” von KC Rebell vermuten ließen.

So wie bei YouTubern oder Influencern im Allgemeinen immer wieder betont wird, dass sie eigentlich gar nichts können und somit jeder – wenn er oder sie es denn nur wollen würde – ebenfalls Hunderttausende im Jahr mit Abnehm-Tees und Bifis in der Badewanne machen könnte, so sind auch Rapper die vielbelächelten Stiefkinder ihrer Branche. Und das, obwohl sie allein über Instagram mehr Leute erreichen als Helene Fischer. Und die ist immerhin die deutsche Beyoncé.

Rhythmisch sprechen, so die Schlussfolgerung vieler, kann schließlich irgendwie jeder. Deswegen ist Rap meistens das Mittel der Wahl, wenn sich jemand “lustig” als Musikschaffender inszeniert. Und deswegen kriegen Rapfans regelmäßig das Kotzen, wenn jemand kommt und glaubt, er könne sich eine Kunstform aneignen, indem er eine Mütze falschrum aufsetzt, vermeintlich coole Bewegungen mit seinen Händen macht und die eine Schwarze Person aus seinem Freundeskreis im Hintergrund tanzen lässt. Oder Basketballspielen – beides passiert in Dagi Bees “Diss”-Video.

Deswegen eine Bitte an Dagi und alle anderen Influencer da draußen: Bleibt kreativ, bleibt selbstironisch und thematisiert den Hass, mit dem ihr konfrontiert werdet, damit die Kommentarspalten-Cowboys verstehen, dass auch ihr echte Menschen mit echten Gefühlen seid. Egal, wie porenfrei eure Haut vor der Kamera aussieht.

Aber bitte, bittebittebitte rappt nicht mehr. Deutschrapfans mussten in der letzten Zeit schon genug ertragen und haben das einfach nicht verdient. Versucht’s doch mal mit Blockflöte. Oder Jazz.

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