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Das BKA hat die größte deutsche Darknet-Seite kassiert

Freitagnachmittag, Viertel nach vier: Im Berliner Vice-Büro an der Spree klingelt das Telefon. Der Anrufer ruft mit unterdrückter Nummer an und buchstabiert die 22-stellige URL einer Onion-Website. Das könnte etwas sein, was Motherboard interessiert, sagt er noch. Dann legt er auf.

Hinter der URL steckt tatsächlich die aktuell wichtigste deutschsprachige Seite, wenn es um illegale Online-Angebote im Darknet geht: “Deutschland im Deep Web”. Einer breiten Öffentlichkeit wurde das Forum mit dem unspektakulären Design und den drastischen Angeboten durch den Amoklauf von München bekannt. Denn hier versuchte der Schütze David S. über ein Jahr lang, an seine Lieblingswaffe, eine Glock 17, zu kommen. Am Ende war er bereit, mehrere tausend Euro zu zahlen.

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Doch wer die Deepweb-Seite seit Freitag über den Tor-Browser ansurft, entdeckt Überraschendes: Auf der Domain prangt ein BKA-Banner und der Satz “Die Plattform und der kriminelle Inhalt wurden beschlagnahmt.” Mehr ist vom aktuell größten deutschsprachigen Darknet-Forum nicht mehr übrig – und auch die im Clearnet gespiegelten Versionen der Seite sind offline.

Dieses Bild sehen Besucher von Deutschland im Deep Web seit Freitag, dem 9. Juni 2017 auf der Seite.

Offline sind also Bereiche wie der sogenannte „Spackentreff”, in dem mit Waffen gehandelt wurde, die Unterseite zum Verkauf von mit Kreditkartendaten oder illegalen Ausweisen, genauso die Drogensektionen. Hier gaben Nutzer Tipps zur Herstellung jeglicher Substanzen und boten alles von Marihuana bis Heroin an.

Allerdings fanden sich auf “Deutschland im Deep Web” längst nicht nur illegale Inhalte, sondern auch bisweilen eigentümliche oder verstörende Unterforen mit ellenlange Debatten über Themen von Suizid bis Politik. Darunter waren auch Diskussionsstränge, in denen User von Attentaten auf Politiker fantasierten oder Verschwörungstheorien verbreiteten, in denen Deutschland nicht als souveräner Staat gesehen wird. Damit unterschied sich “Deutschland im Deep Web” auch von reinen Schwarzmärkten oder anderen Foren, in denen mit illegalen Gütern gehandelt wird.

Was besonders ist am Fall Deutschland im Deep Web

Und noch etwas könnte am Fall “Deutschland im Deep Web” besonders sein: Hinter dem Forum soll nicht, wie häufig in der Vergangenheit zu beobachten, ein Team stecken, sondern nur ein einzelner Betreiber. Das zumindest glaubt die Frankfurter Staatsanwaltschaft, die zusammen mit dem BKA für die Ermittlungen verantwortlich war. Betreiber der Seite soll ein 30-Jähriger sein, der in der Nacht von Donnerstag auf Freitag in seiner Wohnung in Karlsruhe festgenommen wurde.

Vorausgegangen wären der Festnahme monatelange Ermittlungen, wie der Pressesprecher der Frankfurter Staatsanwaltschaft Georg Ungefuk gegenüber Motherboard schildert. Dabei kamen auch verdeckte Ermittler zum Einsatz. Der Vorwurf gegen den 30-jährigen Verdächtigen lautet auf Beihilfe zum unerlaubten Handel mit Waffen und Drogen.


Auch bei Motherboard: Waffen aus dem Onlineshop


Ob der Festgenommene auch selbst gehandelt hat oder lediglich für den Betrieb der Seite verantwortlich ist, ist laut Ungefuk bisher noch nicht abschließend geklärt. Allerdings ist die Staatsanwaltschaft überzeugt, dass schon der Beihilfe-Vorwurf für eine Verurteilung reichen wird, und dass er sich auch beweisen lässt. “Der Betreiber hat die illegalen Waffen- und Drogengeschäfte aktiv unterstützt, da er gezielt einzelne Sektionen aufgebaut hat,” erklärt Ungefuk dazu. So prangte zum Beispiel in der Untersektion zum Handel mit Kreditkartendaten der explizite Hinweis “Fraud und Betrug erwünscht”.

Der Anfang vom Ende der Underground Economy?

Im Prozess gegen den Verdächtigen könnte diese Argumentation zu einem wichtigen Knackpunkt werden. Sollte sie Schule machen, könnte es für Betreiber von Darknet-Seiten und Schwarzmarkt-Foren sehr viel schwieriger werden, sich von den illegalen Geschäften zu distanzieren, die über ihre Seiten abgewickelt werden.

Nach der Abschaltung des Schwarzmarkt-Forums Crimenetwork.biz im März dieses Jahres ist die aktuelle Razzia ein weiterer großer Erfolg für deutsche Ermittler gegen die sogenannte “Underground Economy” – also Online-Schwarzmärkte, auf denen von Drogen über Waffen bis Kreditkartendaten mit allen illegalen Gütern, die sich zu Geld machen lassen, gehandelt wird.

Laut den Ermittlern waren auf Deutschland im Deep Web zuletzt über 20.000 Mitglieder registriert. Ob es nun auch Razzien gegen einzelne User der Seite geben könnte, ist noch nicht bekannt. Ebenso weiß man nichts darüber, wie es den Ermittlern letztlich gelang, den oder die Server von “Deutschland im Deep Web” zu finden und die Inhalte durch das BKA-Banner auszutauschen. Rückfragen dazu wollte Ungefuk aus ermittlungstaktischen Gründen nicht beantworten.