Wer in Berlin absteigt, hat die Wahl, ob er sich in Friedrichshain von Kneipeninhaberinnen, in Mitte von Start-up-Unternehmern oder in Charlottenburg von pelzbehangenen Millionärinnen anpöbeln lässt. Doch es gibt Hoffnung für alle Reisenden, die die Hauptstadt abseits aller RTL2-Klischees vom drogenverseuchten Kottbusser Tor kennenlernen wollen. Das Gästehaus der Polizei ist das vielleicht sicherste Bed and Breakfast der Stadt.
Auf dem Gelände der Berliner Polizei können Touristen und Touristinnen inmitten von Fichten und Uniformierten im Gästehaus in Berlin-Reinickendorf nächtigen. Die einstige Kaserne ist seit 1997 in Privatbesitz. Das Gelände drum herum werde allerdings weiter von der Polizei und der Feuerwehr genutzt, schreiben die Besitzer auf Booking.com. Das Hotel hat einige Haken. Und das liegt nicht nur daran, dass auf dem Gelände Polizisten und Polizistinnen rumlaufen – und das Haus in Reinickendorf steht.
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Eine “einzigartige Unterkunft”, “ein Interieur mit historischem Berliner Design”, ein paar “wunderschöne Bäume” hinter den vergilbten Spitzenvorhängen. So preisen die Besitzer das Haus an. Gäste können sich nächteweise in die “Deluxe-Zimmer” im “beliebten” Stadtteil Reinickendorf (das ist übrigens eine Lüge) einmieten. Sie bekommen maximal mitteldeutsches Urlaubsflair. Das günstigste Doppelzimmer kostet 63 Euro pro Nacht, das teuerste 81 Euro. Das Frühstück in der Vereinsküche gibt es dazu. Den unangenehmen Moment, in dem andere Gäste an der Tür des Gemeinschaftsbads klopfen, wenn ihr mit Durchfall auf dem Klo sitzt, auch.
Doch es ist längst nicht alles schlecht im Gästehaus der Polizei: Die Kopfkissen auf den Feldbetten wurden kunstvoll drapiert, die zartrosafarbene Muster-Tapete im Schlafzimmer bietet sich als Hintergrund an für Vintage-Selfies und die blassgelben Fransen-Lampenschirme waren vor einem halben Jahrhundert sicherlich sehr trendy.
Das Interieur des Gästehauses dürfte damit tatsächlich so historisch sein wie der Begriff “Interieur” selbst. Auch im Gemeinschaftszimmer stehen zwischen einer aprikosenfarbenen Sofagruppe ein Holzfass mit Polizei-Aufschrift in 30er-Jahre-Optik und eine Tierfigur, die eine Redaktions-Kollegin als Hunde-Lama-Hybrid erkannt haben will. Über dem Kamin hängt ein schielender Hirschkopf (Taxidermie-Skills on point), darunter Plastikblumen-Dekor. Das jüngste Element des Raumes dürfte ein etwa 50-jähriger Statist sein, der sich für das Foto an die Tasten des Holzklaviers krallt, als habe er Angst, für immer an diesem trostlosen Ort gefangen zu sein.
“Man braucht einen Passierschein und unser Gepäck wurde durchsucht.”
Es gibt sicherlich entspanntere Urlaubsorte als ein Gästehaus im direkten Umfeld von Polizisten und Polizistinnen. Und das zeigt sich offenbar schon bei der Anreise: Bevor Gäste ihre Rollkoffer in die Einzelschlafzimmer im Jugendherberge-Stil schieben dürfen, müssen sie noch zahlreiche Kontrollen durchgehen. Schließlich nutzt die Polizei das Gelände auch weiterhin. “Man braucht einen Passierschein und unser Gepäck wurde durchsucht”, schreibt Andreas aus Österreich in seiner Bewertung bei Booking. “Ich musste erklären, warum ich OBs dabei hatte.” Auch andere Gäste beschreiben das Wachpersonal als “unfreundlich”, “frustriert” und mit einer latenten Vorliebe für Machtspielchen.
Mit einem Durchschnitt von 6,7 Punkten in den Bewertungen scheint das Erlebnis-Hotel der Polizei verbesserungswürdig, aber längst nicht so unbeliebt wie das letzte Album von Julia Engelmann. Bei unzufriedenen Gästen sitzt der Hass dafür aber offenbar besonders tief. So tief, dass jemand ans Ende seiner Bewertung seine volle Handynummer angehängt hat, damit er “die ewig lange Liste” an Beschwerden in der angemessenen Dramatik bei Interesse mündlich vortragen kann.
Das Gästehaus der Berliner Polizei mag ängstliche Hauptstadt-Reisende vielleicht vor den Urindämpfen am Alexanderplatz fernhalten. Am Ende hat die Unterkunft aber eher den Komfort einer besonders geschmacklos eingerichteten Ausnüchterungszelle. Und dort will im Urlaub wahrscheinlich niemand landen.
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