Das neue Album von Pyrit Control ist intensiver und bewusstseinserweiternder als dein letzter LSD-Trip. Das sind mehr als nur Lieder, denn Pyrit baut dir aus Klängen eine Welt, die du so noch nicht kennst. Eifrig hat er Töne gesammelt, elektronisch verändert und mit Synthesizer und Kesselpauke (ein Perkussionsinstrument) verstärkt. Begleitet wird das Ganze von einer androgynen, sich immer verändernden Stimme, die mal tief mal hoch, mal bestimmend, mal weich singt. Heute feiert Control Stream-Premiere bei uns.
Wir haben Pyrit vor seinem ersten Konzert im Südpol in Luzern getroffen und mit ihm über das neue Album gesprochen.
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Noisey: Control fühlt sich an, als würdest du einen in einer Welt zwischen Matrix, Blade Runner und einer neuen Folge Black Mirror gefangen halten. Reizüberflutung, Kontrollverlust, verzerrte Wahrnehmung. Führst du einen extra an diesen Ort oder was war deine Idee hinter diesem Album?
Pyrit: Ich hatte anfangs keine Idee, was ich genau machen wollte und habe lange daran gearbeitet, mit meiner Musik irgendwie einen Ort zu schaffen, einen Raum zu finden, der mir gefällt. Ich versuchte, eine Art Architektur aus Klängen zu bauen, die ich nicht so kenne. Ich habe wirklich mit meinem Tontechniker Geräusche gesucht und aufgenommen: verschiedene Snares, die Metro in Paris, Rolltreppen, Treppengeländer oder Türen. Dann habe ich das im Studio so sehr zerstört, dass du nichts wiedererkennst. Ich hatte von allen Songs etwa 100 Versionen, aber die Idee war von Anfang an, wirklich lange daran zu arbeiten.
Daraus ist ein vierseitiges Vinyl-Album entstanden.
Ja, das hat sich erst mit der Zeit ergeben und ich habe auch die Songs so angepasst, dass sie auf die verschiedenen Seiten passen. Ich mag es, wenn das Album so funktioniert. Wenn es dir eine Geschichte erzählt. Ich glaube ich kann etwas mit dem Album aussagen, dass ich selber gar nicht in Worte fassen kann. “Control 1” zu “Control 2” bilden einen Bogen, aber das hat sich angefühlt, als gäbe es da einen Kreislauf, dem du nicht entkommen kannst. Einen Loop aus Hoffnungslosigkeit. Dann habe ich “Styx” (den letzten Song) nochmals aufgegriffen. Der Song hilft dabei, diesem Zyklus zu entrinnen. Vielleicht stirbst du am Schluss, aber irgendwie bist du befreit. Die Welt schliesst sich wieder und irgendwie geht es weiter.
Also nicht hängen bleiben, heisst das.
Irgendwie schon hängen bleiben, aber manchmal kann das ja auch angenehm sein. Wir haben den letzten Track so gepresst, dass die Platte endlos mit einem Basston weiterdreht. Da sind keine Ambitionen mehr, kein Ende, irgendwie Leerlauf, als würdest du nicht mehr funktionieren. Ich hoffe, dass ein paar Leute das verhängen und sich dann irgendwann fragen, was da immernoch so rauscht.
Manchmal wird das Album ziemlich extrem, wie wenn die Drogen zum falschen Zeitpunkt einsetzen (Hier unser Guide, wie es nicht passiert) und alles ein bisschen zu viel wird. Wie gehst du mit Reizüberflutung um?
Es gibt Momente, in denen ich extrem viele Reize brauche. Dann will ich, dass soviel passiert wie möglich. So viele Gefühle wie möglich, so viele Informationen wie möglich. Vielleicht hat das mit dem Destruktiven zu tun. Der Neugier oder der Lust auf die Extreme, auf das ganz weit gehen. Oder als Frage formuliert: Was ist zu laut? Was sind zu viele Rhythmen? Was sind zu viele Klänge? Ich hab dann auch gemerkt: OK, jetzt wirds voll zu viel und wollte das Album nochmals umgestalten und weicher machen, aber irgendwie trotzdem nicht. Ich glaube, ich kann ziemlich gut umgehen mit Reizüberflutung.
Dann spürst du dich halt wieder.
Ja, ich habe Lust, mich zu spüren, zu begreifen wo ich bin. Alles, was ein bisschen überfordert, ist super. Du musst dich dann sammeln, positionieren, irgendetwas mit deiner Situation anfangen, einen Umgang finden mit dir selbst.
In deinen Texten kippst du teilweise zwischen Fühlen und Verdrängen hin und her: Du singst “I wanna be honest” aber dann auch wieder “I don’t want to cry”. Verändert sich das immer?
Ich hatte grundsätzlich Lust, dass meine Musik nicht nur schön und zugänglich ist, sondern auch anstrengend oder überfordernd sein darf. Es sind dann nicht einfach nur Songs, sondern vielmehr eine Stimmung. Mir geht es irgendwie auch um etwas anderes, als einfach nur Lieder zu schreiben. Auch, dass sich auf dem Album die Stimme verändert, war mir wichtig – mal androgyn, mal tiefer, mal höher, mal bestimmender, mal weicher. Du bist immer alle verschiedenen Varianten von dir gleichzeitig und du veränderst dich die ganze Zeit. Ich hoffe, dass ich mich jede Sekunde ständig verändere. Ich kann auch immernoch nicht erklären, wie meine Musik klingt. Sie ist mehr eine Welt, eine Form von Konfrontation, ein Spiegel vielleicht.
Definitiv, als würdest du Themen streifen, die faszinieren und gleichzeitig Angst machen. Vor der Konfrontation kannst du aber auch flüchten. Suchtmittel eignen sich da ziemlich gut, oder nicht?
Suchtmittel eignen sich zum flüchten, aber auch um kreativ in etwas einzutauchen und um sich zu überfordern, zu spüren. Du kannst auch herkömmliche Dinge wie Schlafmangel als Drogeninspiration benutzen, oder eben Musik kann auch so wirken.
Also kannst du vor den eigenen Problemen nicht wegrennen, oder wegfliegen?
Nein, das geht leider nicht. Manchmal kann es auch helfen, sich irgendwie aus den Dingen rauszunehmen und nicht die ganze Zeit zu versuchen, etwas zu verändern. “Take me out” ist zwar wieder der Wunsch, wegrennen zu können. Aber der Song hat so eine komplexe Struktur wie eine Maschine, die dich festhält. Du hast gar keine Chance zu entkommen. Und manchmal kannst du auch akzeptieren, dass diese Welt, diese Maschine, die Software oder dein Gehirn, oder wo auch immer du drin steckst, auch Regeln hat. Dann kannst du dich damit abfinden und irgendwann kippt’s wieder von der Akzeptanz in den Widerstand.
Das heisst, entweder Vertrauen oder Kontrolle?
Menschen würde ich ganz klar vertrauen. Aber das ist eine Entscheidung, die ich getroffen habe. Kontrolle hat mehr mit mir selber zu tun. Wie gehe ich mit Sachen um, wie sehr versuche ich etwas zu verändern? Es ist eine grosse Frage, ob du Kontrolle abgeben kannst oder ob du sie überhaupt gewinnen kannst. Oder ob es so etwas wie Kontrolle überhaupt gibt. Der Welt vertraue ich nicht. Ich glaube, die Welt ist absurd. Das macht alles überhaupt keinen Sinn.
Also die Menschenmassen?
Nein, nicht einmal die Massen. Die Leute können nichts dafür. Wir wurden alle irgendwie auf diesen Planeten geschissen und müssen uns jetzt damit beschäftigen. Ich habe kein Vertrauen, dass schlussendlich irgendetwas Sinn macht, irgendetwas wichtig ist. Aber ich vertraue darauf, dass die Leute aus einem guten Antrieb leben und irgendwie schöne Sachen geschehen. Ich will Leute nicht kontrollieren oder Kontrolle über sie haben. Die sollen einfach machen, was sie wollen, ich will überhaupt nicht dreinreden. Ich schaue gerne zu.
Wir schauen Pyrit auch gerne zu. Als ehemaliger Lichttechniker weiss er, was er tut und hat mit seinem Kollegen ein Konzept ausgearbeitet, dass im richtigen Moment die Instrumente begleitet und so den Effekt der Musik verstärkt. Unbedingt hingehen:
Pyrit live
4. April im Bogen F, Zürich
6. April im Bad Bonn, Düdingen
7. April Plattentaufe im Palace, St.Gallen