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Der Artenschwund in den Ozeanen sollte uns Sorgen bereiten

Du kennst dieses Szenario bestimmt (es sei denn, du bist Vegetarier): Du sitzt an deinem Schreibtisch und plötzlich überkommt dich der Hunger. Die schnellste Wahl ist Sushi, das du mit einer Hand essen kannst, während du mit der anderen Hand weiter auf deiner Tastatur tippst. Du machst dich auf zum nächstgelegenen japanischen Take-away oder Supermarkt und holst dir einer dieser Plastikboxen mit dem Fisch deiner Wahl. Und wenn du zurück zu deinem Schreibtisch kommst und dein Mittagessen verputzt, zeigen sich keinerlei Konsequenzen deiner Essenswahl.

Wäre da 2006 nicht dieser Artikel über die Fischapokalypse gewesen—das bedeutet, es wird keine einzige California Roll mehr auf diesem Planeten geben—, die für das Jahr 2048 vorhergesagt wurde. In der Zwischenzeit haben der fortschreitende Klimawandel, die Zerstörung der Lebensräume und die Überfischung weiterhin zum Schwund der Meereslebewesen—von mikroskopischem Plankton bis hin zu gigantischen Blauwalen—beigetragen. Dieser gekühlte, weiß der Geier wie alte braunrote Würfel Fisch, den du dir grad reinstopfst, ist wahrscheinlich ein atlantischer Blauflossen-Thunfisch, eine Fischart, deren Bestand rasant gesunken ist, seit Sushi den Westen erobert hat. Wenn du gerade in Japan sitzt, dann handelt es sich eher um einen pazifischen Blauflossen-Thunfisch, den die Thunfischköche sehr schätzen und dessen Bestand um ganze 96 Prozent kleiner geworden ist. Seine Seltenheit macht ihn teuer. Kürzlich ging ein 222 kg schweres Exemplar bei einer Fischauktion in Tokio für 155,4 Millionen Yen (umgerechnet 1,15 Millionen Euro) über den Ladentisch—ein neuer Weltrekord für einen einzigen Fisch.

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Obwohl sich viele von uns dieser Problematik um die gefährdeten Fischarten bewusst sind, könnte die Eskalation schon viel unmittelbarer bevorstehen, als erwartet, wenn die derzeitigen kommerziellen Fischfangpraktiken nicht eingeschränkt werden. Ein Mann, der all die schmutzigen Details kennt, ist Boris Worm, der Leiter des Worm Lab of Marine Conservation Biology an der Dalhousie University in Nova Scotia, Kanada. Seit Mitte der 90er ist er Meeresbiologe und 2006 läutete er die Alarmglocken mit seinem Artikel—genauer gesagt mit einem wissenschaftlichen Paper, das im Science-Magazin veröffentlicht wurde—, in dem er die tatsächliche Ausrottung jeder einzelnen Fischart unserer Ozeane auf das Jahr 2048 prognostizierte, wodurch das kommerzielle Fischen zwangsläufig ein Ende nehmen wird. Seit dieser Prognose sind sieben Jahre vergangen. Ich fragte bei ihm nach, ob er immer noch an das unabwendbare Schicksal der Fische glaubt.

MUNCHIES: Erklären Sie uns doch kurz das Problem des Fischraubbaus in den Ozeanen.

Worm: Historisch gesehen ist bis heute das Hauptproblem die Überfischung der Meereslebewesen, die oft mit der Zerstörung der Lebensräume einhergeht—wie Korallenriffe oder Sumpfgebiete. Wenn wir in die Zukunft blicken, machen sich viele Meeresbiologen Sorgen über die Auswirkungen des Klimawandels und die Übersäuerung der Meere als Folge des ansteigenden Kohlendioxids, das sich im Meerwasser zur Säure umwandelt. Die Verschmutzung durch Abwasser, landwirtschaftlichen Abfluss, Plastik und giftige Chemikalien sind ebenfalls besorgniserregend.

Wann hat das Problem des katastrophalen Raubbaus begonnen? Hat es sich im Laufe der Zeit beschleunigt?

Sowohl an Land wie auch in den Meeren hat sich der Artenschwund seit der industriellen Revolution vor 200 Jahren beschleunigt. Die wachsende menschliche Bevölkerung und die vorhandenen Kapazitäten zum Fischen, Jagen und zur Umwandlung natürlicher Lebensräume hat eine wichtige Rolle in der Minimierung der Arten gespielt. Heute wird die Aussterberate—an Land und im Wasser—mindestens 100 Mal höher eingeschätzt, als noch bevor die Menschheit ihre Finger im Spiel hatte.

Wie sind Sie darauf gekommen, die Fischapokalypse genau auf das Jahr 2048 zu datieren?

Wir sahen uns die Veränderungen im Hinblick auf den Fischfang und auf die Artenvielfalt seit 1950 an. Dabei haben wir beobachtet, dass jedes Jahr neue Arten dazukommen, von denen nur mehr ein Zehntel des ursprünglichen, historischen Fangs verzeichnet werden konnte. Wir sahen uns diesen Trend genauer an und fragten uns: Wenn sich dieser Trend genau gleich fortsetzt wie bisher, wann würde der Zeitpunkt kommen, an dem alle Fischarten ausgestorben sind? Und die Antwort lautete 2048.

Das ist entsetzlich. Basierend auf Ihrer Arbeit seit der Veröffentlichung dieses Artikels, glauben Sie immer noch daran, dass die Fischapokalypse 2048 eintreten wird?

Der Kollaps 2048 ist keine Vorhersage, sondern eine Hochrechnung eines aktuellen Trends, oder ein Szenario. Die nächste Frage lautete: Wie wahrscheinlich ist dieses Szenario? Um diese Frage beantworten zu können, mussten wir uns die Ursache für die Ausrottung der Arten ansehen, die in der derzeitigen Ausbeutungsrate liegt—wie viel aus den Ozeanen jährlich gefischt wird in Relation zu dem, was noch übrig ist. In manchen Teilen der Welt, besonders in den USA und in Europa, ist die Rate leicht zurückgegangen. Das bedeutet, dass in diesen zwei Regionen ein totaler Kollaps eher unwahrscheinlich ist. Wir beobachten in diesen Regionen sogar Anzeigen für eine Erholung. Die meisten Sorgen machen uns jetzt ärmere Länder und die Hochsee, wo der Fischereidruck weitgehend unkontrolliert bleibt. Es gibt sogar Bedenken, dass die Erhaltungsmaßnahmen in den reichen Ländern dazu geführt haben, dass sich das Fischen noch mehr auf die Regionen konzentriert, in denen die Kapazität zur Überwachung, zum Management und zur Umsetzung von Einschränkungen fehlen; Gegenden, in denen die Einheimischen oft sehr abhängig von den Ressourcen der Fischerei sind.

Man kann sich kaum vorstellen, auf den Fischmarkt zu gehen und die normalen Fischarten wie Kabeljau oder Butt nicht mehr überall zu bekommen. Welche Arten werden wir in der nahen Zukunft von unserem Speiseplan streichen müssen?

Das ist schwer vorherzusagen, weil es sehr davon abhängig ist, wir ernst wir unsere Aufgabe nehmen werden, die Arten zu retten und dezimierte Bestände wieder zu vervielfachen. Bei Kabeljau, beispielsweise, sah es lange so aus, als würde er verschwinden, aber heute gibt es im Norden Norwegens einen Überfluss, der unsere Nachfrage derzeit bedient. Ich glaube, Haie werden bald als Lebensmittel verschwinden, weil so viele Arten vom Aussterben bedroht sind und wir uns dafür einsetzen werden, sie zu retten—wie wir es bei Walen getan haben. Rifffische wie Zackenbarsch oder Schnapper sind auch sehr rar geworden, weil Korallenriffe unter den Auswirkungen des Fischens, der Verschmutzung und des Klimawandels leiden.

Glaubst du, wir haben noch genug Zeit, diese Problem zu beheben?

Ja, die Möglichkeit, viele Arten zu retten, besteht immer noch. Einige sind bereits ausgestorben und zahlreiche sind vom Aussterben bedroht. Gute erste Schritte in Richtung Erhaltung kann man in vielen Ländern beobachten, aber das hängt sehr von der Unterstützung der normalen Menschen ab. Wir müssen den Fischereidruck in allen Ländern verringern und die Erholung und den Wiederaufbau der erschöpften Fischarten zur obersten Priorität erklären. Wir müssen uns außerdem unbedingt mit dem Problem des unabsichtlichen Beifangs auseinandersetzen, dem jährlich mehrere Millionen Wildtierarten zum Opfer fallen. Wir müssen mehr geschützte Gegenden errichten, wo die marine Tierwelt ungestört leben und sich fortpflanzen kann: Derzeit sind 97 Prozent aller Ozeane für Fischer zugänglich. Als Konsumenten sollten wir Organisationen zur Erhaltung der Ozeane unterstützen und überlegtere Entscheidungen treffen, wenn wir Meeresfrüchte und Fisch im Supermarkt kaufen. Wir sollten die Fischer unterstützen, die sich wirklich darum bemühen, den Fischbestand zu erhalten. Auf seafoodwatch.com gibt es einen tollen Guide, der dich bei deiner Wahl unterstützen kann.

Vielen Dank für Ihre Zeit.

Foto: Sarah Worthy | Flickr | CC BY 2.0