Als Hetero ist das Leben einfach. Den ganzen Tag kann man sein, wie man ist, ohne die eigene Sexualität rechtfertigen zu müssen, ohne beleidigt oder angegriffen zu werden. Heterosein ist wie täglich in den Urlaub fahren und dafür nicht mal etwas tun müssen. So stelle ich mir das zumindest als schwuler Mann vor.
Meine Realität und die Realitäten vieler queerer Personen sieht anders aus. Im vergangenen Jahr wurden 1.005 Fälle von Hasskriminalität gegen queere Menschen in Deutschland gemeldet. Sie wurden wegen ihrer sexuellen Orientierung oder sexuellen Identität angegriffen. In Berlin erreichten die Fallzahlen bereits im August das Niveau des gesamten Vorjahres. In meiner Heimat Münster starb vergangenes Jahr beim CSD eine trans Person nach einem körperlichen Angriff.
Videos by VICE
Gewalt gegenüber queeren Menschen kann sich auf viele Arten äußern – ob körperlich, durch Beleidigungen oder subtil in Alltagsgesprächen. Ich stelle euch hier das Best-of der Alltags-Homofeindlichkeit vor, die ich selbst erlebe. Und die ich nicht erleben müsste, wäre ich hetero.
Eine Faust ins Gesicht
Es war eigentlich ein schöner Abend. Ich bin 19, gerade nach Berlin gezogen und sitze mit Kommilitonen in der Tram. Ich erzähle von einem Date, das schiefgegangen ist. Ich wollte meiner Heimatstadt Münster entkommen und in die große Stadt fliehen. Endlich ich sein – woohoo! Aber denkste.
Auch bei VICE: Was kostet eine Geschlechtsangleichung?
Als wir aus der Tram aussteigen, dreht sich eine glatzköpfige, Springerstiefel tragende, männliche Alice-Weidel-Barbie zu mir um, schlägt mir kommentarlos mit der Faust ins Gesicht und steigt ebenfalls aus. Auf dem Bahnsteig läuft er mir weiter nach. Ich flüchte in ein Taxi.
Wie scheiße es mir geht, wird mir erst am nächsten Morgen bewusst. Meine Kommilitonen machen sich Sorgen und fühlen sich schuldig, ich tue aber so, als sei alles OK. Der Schlag geschah so schnell, dass keiner reagieren konnte. Äußerlich habe ich keine Verletzungen davongetragen, in mir drin tut sich aber etwas. Ich war aus dem Dorf in die große Stadt gezogen, um genau solchen Angriffen zu entkommen – und nun waren sie wieder da. Für mich zerbrach in dem Moment kurz meine Realität, mein Traum von einer unbeschwerten Zukunft. Dies war aber auch einer der Momente, die mich dazu brachten, über queere Themen zu schreiben, zum Boxen zu gehen, meine Wut nicht länger zu unterdrücken und, wenn es sein muss, zurückzuschlagen.
SCHWWUUUUUUCHTEL
Berlin-Neukölln, ein verschneiter Dezemberabend 2021. Ich gehe Händchen haltend mit meinem Freund durch die Straßen. Eine Gruppe Männer geht an uns vorbei, alle drehen sich um und rufen auf einmal: “SCHWWUUUUUUCHTEL.”
Einige Monate später. Ich hole meinen Freund am Hauptbahnhof in Münster ab. Wir küssen uns zur Begrüßung, ich nehme seine Hand und möchte in Richtung Auto laufen. “Scheiß Schwuchteln”, zischt ein Mann. Ich drehe mich um, gehe ganz nah an ihn ran und sage: “Was war das gerade?” Er nuschelt eine halbherzige Entschuldigung.
Die Beleidigung ist als schwuler Mann mein ständiger Begleiter. Schon in der Schule wurde ich beleidigt (hier nachzulesen) – und das zieht sich bis heute in mein Erwachsenenleben. Heteros wachsen mit dieser Belastung nicht auf. Sie werden nicht beleidigt, weil sie lieben, wie sie lieben. Sie müssen sich keine Gedanken machen, ob es sicher ist, die Hand des Partners oder der Partnerin zu halten. Ich glaube, viele Heteros können sich gar nicht vorstellen, wie es ist, immer wieder die Message zu bekommen: “Du bist nicht OK, wie du bist. Du darfst so nicht sein, so nicht lieben.”
Immer ist es die Homosexualität
Eine Hausparty in Berlin-Prenzlauer Berg, irgendwann 2014 oder 2015. Ich unterhalte mich mit einem Hetero-Paar in der Küche. Das Gespräch verläuft nett, wenn auch belanglos. Die Frau macht mir Komplimente für meine Gesichtshaut. Sie sehe so glatt aus. “Hast du eigentlich Bartwuchs?”, fragt sie und schaut zu ihrem Freund, der einen leichten Bart trägt. “Ja”, sage ich, “aber ich rasiere mich.” Sie fragt zurück: “Rasierst du dich täglich?” Ich antworte: “So ziemlich, ja.” Sie schaut mich verdutzt an und überlegt. Ich spüre schon, dass gleich etwas Dummes kommt. Dann fragt sie: “Rasierst du dich täglich, weil du schwul bist?”
Dieser Moment hat sich so sehr in meine Erinnerung eingebrannt, weil er stellvertretend für andere Erlebnisse steht. Meine Sexualität ist ein Teil von mir, aber nicht alles. Dennoch kommt es immer wieder vor, dass ich nur darauf reduziert werde und Menschen mein Verhalten mit meiner Sexualität erklären wollen. Ich gehe fünfmal die Woche zum Sport, weil ich schwul bin. Ich zahle gern 60 Euro beim Frisör, weil ich schwul bin. Bei Heteros passiert das nicht. Ich hätte mal fragen sollen: Bist du so dumm, weil du hetero bist?
Bei der Arbeit
Ich habe mal für eine Tageszeitung in Berlin gearbeitet. In einem Artikel ging es um psychische Erkrankungen. Der Protagonist des Artikels war ein schwuler Mann. Das stand jedoch nirgends in besagtem Text. Nur an einer Stelle sagte er sinngemäß: “… wenn ich mit der Tram zu meinem Freund fahre.” Mit keinem Wort wird eine Beziehung erwähnt. Er könnte auch von einem Kumpel sprechen.
Von der Chefredaktion erhielt der Text Lob. Bis auf einen Chef. Er rief mich an und sagte mir: “Der einzige Protagonist in deinem Text darf nicht schwul sein.” Warum er das nicht sein dürfe, fragte ich und woran er festmache, dass der Protagonist schwul sei. An die wörtliche Begründung kann ich mich nicht erinnern, aber es war etwas wie: Na, weil der darf halt nicht schwul sein, unsere Zielgruppe ist hetero und weiblich. Ah ja.
Derselbe Chefredakteur rief mich ein anderes Mal an und sagte mir, ich solle nicht über ein queeres Thema schreiben, damit ich nicht der Schwule in der Redaktion sei. Warum ihn das störte oder was sein Problem war, weiß ich nicht. Ich war so überrumpelt, dass ich nicht nachfragte. In derselben Zeitung war vor meinem Jobantritt ein großer Artikel über mein erstes Buch erschienen, das Coming-out-Geschichten sammelt. Der Zug war also abgefahren. Ich bin der Schwule. Ob er die Hetero-Kollegen auch anruft und ihnen sagt, sie sollen nicht so viel über Heteros schreiben?
Der Klassiker
Die Augen verziehen sich, im Oberstübchen rattert es. Schweiß sammelt sich auf der Stirn und dann platzt sie raus, die Königin der Alltagshomofeindlichkeiten, die jeden schwulen Mann wie eine verhasste Freundin mit sabberigen Küsschen begrüßt: “Ähm, wer ist denn bei euch die Frau und wer der Mann?”
Puh. Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Diese Frage ist so dumm, an ihr ist einfach alles falsch. Ich möchte zum letzten Mal erklären, warum: Wenn ich mit einer Frau zusammen sein wollen würde, überhaupt auf Frauen stehen würde, dann wäre ich mit einer Frau zusammen. Das tue ich aber nicht. Ich bin schwul. Ich schlafe mit Männern. Ich bin mit einem Mann zusammen. Es gibt keine Frau. Da wird es voraussichtlich auch nie eine Frau geben. Die Antwort auf “Wer ist der Mann und wer ist die Frau” lautet also: Es gibt keine Frau, wir sind zwei Männer. Nix Frau. Nur Männer. Comprende?
Ich kann nachvollziehen, dass Menschen ihre heteronormativen Beziehungsrollen auf die Welt projizieren, um sie zu verstehen. Wäre ja auch einfach: ein Typ fickt und der andere wird gefickt – aber come on! Man kann sich ja auch abwechseln. Und nun?
Zu dem Thema habe ich den Artikel “Hetero-Männer, lasst euch von hinten nehmen” geschrieben. Eine Pflichtlektüre für jeden Hetero-Mann, die seinen Penis größer und seine Ausdauer beim Sex mit der Freundin besser macht – hoch und heilig versprochen.
Fast so gut ist der Kommentar: “Ist ja egal, ob homo oder hetero.” Das habe ich erst kürzlich wieder bei einem Event erlebt. Ich unterhielt mich mit einem Hetero-Mann über Beziehungen. Bei jedem zweiten Satz ergänzte er: “Ist ja egal, ob homo oder hetero.” Wenn das so egal wäre, warum musst du es ständig erwähnen? Würde man das bei einer Hetero-Person auch sagen? Ich glaube nicht. Wäre aber lustig.
Erklär’s mir, als wäre ich komplett bescheuert
Als im September vergangenen Jahres mein zweites Buch erschien, konnte ich mir schon denken, was danach in den Amazon-Rezensionen los sein würde. Der Titel Erklär’s mir, als wäre ich 5: Gender, Diversity, LGBTQIA* erhitzt seit Erscheinen das Gemüt von so manchem Dummbatz.
In den Rezensionen heißt es unter anderem: “Wozu sollte ich einem 5-jährigen, nicht vorbelasteten Kind so etwas vorlesen beziehungsweise verdeutlichen? Verwirrung stiften?” Die Person hat schon den Titel nicht verstanden – vielleicht müsste man es ihr erklären, als wäre sie zwei? Mein Favorit allerdings, der mich jedes Mal zum Lachen bringt, geht so: “Dieses Buch ist einfach nur schrecklich. Da wird so getan, als gäbe es Heterosexualität gar nicht, es ist fast nicht Thema im Buch.” Richtig, geht ja auch um queere Themen. HÄH?!
So lustig ich diese Kommentare finde, so traurig sind sie. Sie zeigen, wie viel Unverständnis und Widerstand gegenüber queeren Themen weiterhin in Teilen unserer Gesellschaft besteht.
In der Promophase zum Buch wurde ich öfter gefragt, wer denn die Zielgruppe sei. Meist sagte ich scherzhaft so was wie “dumme Erwachsene”. Damit meine ich die Menschen, die zum Beispiel in München lauthals aufschreien, weil Drag Queens Kindern vorlesen. Die aber sprechende Meerjungfrauen und Bagger mit Augen OK finden. Das ist so absurd. Sollte ich jemals ein Kind haben, kommt es hoffentlich nicht mit solchen Menschen in Kontakt. Vor ihnen müssen Kinder geschützt werden. Dummheit soll ja bekanntlich ansteckend sein.
Egal, ob queer, lesbisch, trans, schwul, bi, inter- oder asexuell – wir alle kennen diese Szenen so oder so ähnlich. Wir leben in einer Welt, in der Hetero die Norm ist und in der wir uns immer und immer wieder erklären müssen. Das Erklären ist so wichtig, weil es die Welt für queere Menschen leichter und queerfreundlicher macht. Auch für Heteros macht es die Welt besser: Und wenn es nur für weniger Irritation und eine “Gewöhnung” sorgt.
Hetero-Politiker geben ganz selbstverständlich auf ihren Websites an, mit einer Frau verheiratet und Vater von drei Kindern zu sein. Hissen queere Menschen einmal im Jahr eine Regenbogenfahne, wird direkt mit den Augen gerollt, nach dem Motto: Ihr habt doch schon alles, was soll das denn noch? Dabei ist genau dieses Augenrollen das Problem. Queerness muss so normal werden, dass weder eine der oben genannten Situationen entsteht, noch überhaupt darüber nachgedacht wird. Erst wenn ich in dieser Welt als schwuler Mann so selbstverständlich behandelt werde, wie Heteros behandelt werden, bin ich gleichberechtigt.
Also Mädels, rafft die Röcke. Es ist wie bei Andy in Der Teufel trägt Prada: Rumheulen bringt nichts. Wir müssen anpacken. Noch mehr Flagge zeigen, noch mehr aufklären, noch mehr Hetero-Kinder sexuell verwirren und queer machen! YASSS!
Folge Sebastian auf Instagram und VICE auf TikTok, Facebook, Instagram und YouTube.