Alle Augen richteten sich auf London, als kürzlich bekannt wurde, dass das US-Justizministerium die Anklage gegen Julian Assange zu einer “Priorität” erklärte. Denn dort steckt der Wikileaks-Gründer seit 2012 in der ecuadorianischen Botschaft im Exil fest. Doch auch in Island stieß die Nachricht auf großes Interesse – denn hier lebt seit fünf Jahren ein Mann, der zwar nur eine Nebenrolle in der WikiLeaks-Story spielt, doch nun wegen eines kleinen Fehlers ebenfalls um seine Freiheit fürchten muss.
Für Jason Katz begann alles vor sechs Jahren, als ein Zeuge während einer Gerichtsverhandlung zur Whistleblowerin Chelsea Manning aussagte, dass jemand namens Jason Katz WikiLeaks dabei geholfen habe, das Passwort einer sensiblen Datei zu knacken. Diese Datei enthielt angeblich ein Video, das von Manning geleakt wurde (von dieser Anschuldigung wurde sie später jedoch freigesprochen). Katz hat sich zu dieser Angelegenheit bisher nie öffentlich geäußert. Abgesehen von seinem Namen blieb seine Rolle in dieser Geschichte lange Zeit im Dunkeln.
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Katz erzählt Motherboard, dass er nur einen einzigen, erfolglosen Versuch unternahm, das Passwort zu knacken. Außerdem hat WikiLeaks das umstrittene Video aus der Datei tatsächlich nie veröffentlicht. Trotzdem kostete Katz diese Aktion seinen Job und nachdem das FBI seinen Arbeitsplatz, seine Wohnung und das Elternhaus seiner Freundin durchsucht hatten, wurde er von den Beamten zu einer Gerichtsverhandlung zu Assange und WikiLeaks vorgeladen. Katz weigerte sich jedoch, ohne Zusicherung von Immunität auszusagen. 2012 zog er schließlich nach Island, wo er gemeinsam mit anderen früheren WikiLeaks-Unterstützern die isländische Piratenpartei gründete. Im Interview erzählt uns der heute 36-Jährige, dass er seitdem ein “geradliniges” Leben führt.
Doch seit Chelsea Manning vergangene Woche aus dem Gefängnis entlassen wurde, nachdem Obama ihre Haftzeit drastisch verkürzte, macht sich Katz Sorgen. Denn wenn die neue US-Regierung Assange nun anklagt, könnte sie es auch auf ihn abgesehen haben – egal wie klein und unbedeutend seine Rolle im Manning-Leak eigentlich war.
“Es sprach den alten Hacker-Ethos an. Das klassische David gegen Goliath-Szenario.”
Katz spricht nicht gern mit seinen neuen Freunden in Island über den Vorfall mit den US-Behörden. “Als das FBI gegen mich ermittelte, knöpften sie sich meine ganze Umgebung vor – alle meine Freunde, meine Familie, sie zerstörten einfach alles”, erklärt Katz Motherboard. “Dadurch bin ich sehr vorsichtig geworden, irgendjemanden von der Sache zu erzählen.”
Während des Telefoninterviews, das er selbst initiierte, kamen ihm mehrmals Zweifel, ob dies der richtige Zeitpunkt sei, an die Öffentlichkeit zu treten. “Ich bin blöd”, sagt er. “Das könnt ihr auch gerne schreiben. Ich möchte nichts sagen, das neue Anklagepunkte gegen mich liefert oder mich noch mehr in Schwierigkeiten bringt.” Trotz dieser Vorbehalte wollte Katz mit Motherboard sprechen, um seine Rolle im Manning-Fall ein für alle mal klar zu stellen.
“Ich bereue nicht, was ich getan habe, denn es hat mich auf einen sehr interessanten Weg geführt”, sagt er. “Und ich würde es wieder so machen. Deswegen bin ich hierher gezogen, und wenn ich das nicht getan hätte, wären die Piraten nicht entstanden.”
Wie alles begann
2009 war Katz Systemadministrator in der Physik-Abteilung des Brookhaven National Laboratory, ein Forschungszentrum des Energieministeriums, in dem ein Teilchenbeschleuniger steht und das mit dem Large Hadron Collider in der Schweiz zusammenarbeitet. Katz war gerade im Büro, als jemand in einem WikiLeaks-Chatroom schrieb, dass er beim Öffnen einer passwortgeschützten Datei Hilfe brauchte. Das war noch Monate bevor die ersten Manning-Leaks veröffentlicht wurden. Die meisten Menschen hatten zu diesem Zeitpunkt noch nie von WikiLeaks gehört. Zwar war die Whistleblower-Plattform bereits seit drei Jahren aktiv und hatte einige Leaks von anderen Quellen veröffentlicht – diese hatten in den USA jedoch nur wenig Aufmerksamkeit erhalten.
Katz sagt, dass er sich von der Plattform angezogen fühlte, da er die Ansichten des WikiLeaks-Gründers Julian Assanges über Regierungsgeheimnisse und Transparenz teilte – die Vorstellung, WikiLeaks zu unterstützen, fand er daher aufregend. “Es sprach den alten Hacker-Ethos an”, erinnert er sich, “das klassische David gegen Goliath-Szenario.”
Wer ihn genau an diesem Tag im Chat um Hilfe bat, weiß Katz nicht. Im Gruppenchat verwendeten alle Pseudonyme. Katz sagt, dass er nicht sicher ist, ob er jemals direkt mit Assange kommunizierte.
Katz entschied sich jedenfalls, die Datei herunterzuladen – es handelte sich um eine .zip-Datei namens “b.zip”. Er lud sich außerdem ein Programm zum Knacken von Passwörtern herunter, konnte die Datei damit jedoch nicht öffnen. “Weiter kam ich nicht”, erklärt Katz gegenüber Motherboard.
Vier Monate später veröffentlichte WikiLeaks das inzwischen berühmte “Collateral Murder”-Video, das erste große Datenleak von Chelsea Manning (damals noch als Bradley Manning bekannt), die WikiLeaks schlagartig ins Rampenlicht katapultierte. Das Video zeigte einen US-amerikanischen Luftangriff in Bagdad vom 12. Juli 2007, in dem zwei Kinder verwundet und mehrere Menschen getötet wurden, darunter der Vater der Kinder und zwei Reuters-Mitarbeiter. Zwar war dies nicht das Video, das Katz versucht hatte zu öffnen, doch das wusste er zu diesem Zeitpunkt nicht.
Die Datei, die Katz öffnen wollte, enthielt laut der späteren Aussage von Special Agent David Shaver andere streng geheime Militäraufnahmen. Das Video hinter dem Passwort zeigte einen US-Luftangriff vom Mai 2009, bei dem in der Nähe des afghanischen Garani ungefähr 100 Zivilisten um Lebens kamen – Einheimischen zufolge handelte es sich bei der Mehrzahl der Todesopfer um Kinder. Tatsächlich wurde dieses Video niemals von WikiLeaks veröffentlicht, angeblich, weil sie das Passwort einfach nicht knacken konnten.
Katz sagt, dass er keine Ahnung hatte, was b.zip enthielt, als er sie herunterlud. “Ich habe überhaupt nicht verstanden, mit welchen Daten wir es zu tun hatten”, sagt Katz, “bis all die anderen [Manning-] Leaks ans Licht kamen und WikiLeaks in den Schlagzeilen landete.”
Unsere Frage, ob er die verschlüsselte WikiLeaks-Datei auf seinen privaten Laptop oder seinen Arbeitsrechner heruntergeladen hat, wollte Katz nicht beantworten. Den Aussagen bei der Manning-Verhandlung zufolge, fanden die Ermittler die Datei und das Passwort-Tool jedoch auf Katz’ Arbeitsrechner.
Wenige Monate nach dem Download wurde Katz wegen “unangemessener Computeraktivitäten” gefeuert. Dabei wusste sein Arbeitgeber zu diesem Zeitpunkt noch nichts von Katz’ Verbindung zu WikiLeaks – Katz wurde aus einem viel profaneren Grund gefeuert, wie er erzählt:
Über die Weihnachtsfeiertage 2009, wenige Wochen nachdem Katz die b.zip-Datei heruntergeladen hatte, hatte ein Arbeitskollege einen Nervenzusammenbruch und setzte sein Zimmer auf dem Brookhaven-Campus in Brand. Als die Sicherheitsleute den Mann befragten, erwähnte der Kollege scheinbar Katz’ Namen, mit dem er an diesem Abend noch telefoniert hatte.
Als Katz nach Weihnachten wieder im Büro war, beschlagnahmten die Sicherheitsleute seinen Arbeitsrechner sowie seinen privaten Laptop, über den er auch im WikiLeaks-Chatroom kommuniziert hatte. Katz weigerte sich, das Passwort für seinen Laptop herauszugeben oder ein Dokument zu unterschreiben, dass er das Gerät freiwillig abgegeben hatte. Seinen Laptop bekam er schließlich zurück, wurde aber im März 2010 endgültig rausgeschmissen. Möglicherweise, weil die Ermittler das Passwort-Tool auf seinem Laptop gefunden hatten. Katz vermutet, dass er gefeuert wurde, weil er sich weigerte, in den Ermittlungen zu kooperieren.
Kurz nach Katz’ Entlassung, am 5. April 2010, veröffentlichte WikiLeaks “Collateral Murder”. Manning wurde im folgenden Monat verhaftet, nachdem sie dem Hacker Adrian Lamo gegenüber zugegeben hatte, Hunderttausende Dokumente an WikiLeaks weitergegeben zu haben und Lamo sie an die Behörden verriet.
Katz gerät ins Visier des FBI
Im Juli 2010 erfuhr Lamo, dass Katz versucht hatte, die Garani-Videodatei zu knacken und gab diese Informationen an die Ermittler im Manning-Fall weiter. Diese untersuchten Festplattenkopien von Katz’ alten Arbeitsrechner und fanden Beweise, dass Katz die b.zip-Datei sowie ein Passwort-Tool heruntergeladen hatte. Ob er dabei Erfolg gehabt hatte, die Datei zu öffnen, konnten die Ermittler allerdings nicht feststellen.
Viele Monate lang ahnte Katz nicht, dass er im Visier der Ermittlungen stand. Er hatte eine neue Stelle als Systemadministrator bei dem Hedgefund-Unternehmen Tower Research Capital in New York angetreten. Die Ereignisse in Brookhaven gehörten für ihn der Vergangenheit an. Sein neuer Job war gut bezahlt, langweilte ihn aber bald. Daher schaute sich Katz nach neuen Angeboten um und entdeckte eine Stelle bei einem isländischen Startup namens Videntifier. Nachdem er sich im Februar mit den Gründern in Island getroffen hatte, entschloss er, die Stelle anzutreten. “Ich hatte schon länger überlegt, außerhalb der USA zu leben”, erklärt Katz. “Und manchmal bin ich sehr impulsiv.”
Katz kehrte nach New York zurück und reichte seine Kündigung bei Tower Research Capital mit der Absicht ein, noch ein paar Monate in der Firma zu bleiben, bevor er nach Island ziehen würde. Zwei Wochen, nachdem er gekündigt hatte, stand jedoch das FBI vor seiner Bürotür. “Ich vermute, dass sie beobachtet haben, wie ich zwischen Island und den USA hin und her fliege und das hat sie beunruhigt”, meint Katz.
Gut möglich, dass Katz bereits seit Juli 2010 unter Beobachtung stand, nachdem Lamo seinen Namen an die Ermittler verraten hatte. Assange und WikiLeaks hatten Island 2010 als Basis benutzt, um die Manning-Leaks vorzubereiten – daher konnte Katz’ Reise nach Island dem FBI durchaus verdächtig erscheinen. Drei Monate vor Katz’ Island-Trip hatte der Generalstaatsanwalt Eric Holder erstmals öffentlich über das Ermittlungsverfahren gegen Assange und WikiLeaks gesprochen. Im folgenden Monat beschlagnahmte das FBI den Server von Andrew Strutt.
Strutt, der in der Hacker-Community als r0d3nt bekannt ist, war der Mitbetreiber und Administrator von pinky.ratman.org, einem Linux-Shell-Server, der von über 300 Sicherheitsforschern und Technik-Enthusiasten genutzt wurde. Strutt gelang jahrelang der heikle Spagat zwischen der Hacker-Community und der Regierung. Er hostete sowohl das IRC-Network für die Hackergruppe 2600, bearbeitete Aufträge für das Militär und die Regierung und war Mitglied des InfraGard-Programms des FBI, das die Zusammenarbeit zwischen den Behörden und dem privaten Sektor fördert. Gegenüber Motherboard erklärte Strutt, dass er sich zwar gewehrt habe, am Ende aber doch seinen Server an die Beamten übergeben musste. In einem Statement sagte Stutt später, dass die Beamten Infos über “die Aktivitäten eines bestimmten Users suchten, dessen Identität mir nicht bekannt ist.”
Die FBI-Durchsuchung
31. März 2011: Katz startet in einen ganz normalen Arbeitstag. Er fährt seinen Laptop hoch, als er drei Fremde bemerkt, die auf ihn zukommen. Sofort merkt er, dass etwas nicht stimmt und steht auf, um sich etwas zu trinken zu holen. Plötzlich springt einer der Männer auf ihn zu und ruft: “FBI! Sie sind nicht verhaftet!”, während ein zweiter Mann nach seinem Laptop greift. Es war derselbe Laptop, den die Sicherheitsleute von Brookhaven ihm ein Jahr zuvor schon einmal abgenommen hatten. “Das ist ein Beweis dafür, wie blöd ich bin”, erklärte Katz Motherboard. “Da schleppe ich immer noch den gleichen Laptop mit mir rum, weil ich den Arbeitscomputer nicht für IRC und so weiter nutzen möchte.”
Die Agenten sagen Katz, dass sie nicht wirklich an ihm interessiert seien, sondern nach jemand anderem suchen. Er erinnert sich, dass die Agenten ihm ein Dokument mit den Namen von Assange, Manning und Jacob Appelbaum vorlegen. Wenn er ihnen helfen würde, sagen die Agenten, würden sie die Staatsanwaltschaft wissen lassen, dass er kooperiert habe.
“Ich habe nur sehr wenige Leute in meine Aktivitäten einbezogen. Damit niemand bei einer Befragung festgenagelt werden kann.”
“Ich sagte, ‘das ist großartig, geben Sie mir das einfach schriftlich, damit ich es an meinen Anwalt geben kann und wir melden uns zurück’”, erzählt Katz. Zufälligerweise hatte Katz noch die Visitenkarte des Aktivisten Rainey Reitman in der Tasche, den er zuvor bei einer Hackerkonferenz kennengelernt hatte. Er rief Reitman an und dieser konnte ihm einen guten Verteidiger vermitteln.
Während des einstündigen Gesprächs mit dem FBI wurden sowohl Katz’ Wohnung in Brooklyn als auch das Elternhaus seiner Freundin auf Long Island durchsucht, sagt Katz. Angeblich spiegelte das FBI den Laptop seines Mitbewohners und analysierte die Computer im Haus seiner Freundin. Katz’ Freundin hat außerdem gesehen, wie ein Agent etwas aus Katz’ Auto holte; Katz meint, dass es sich dabei um einen GPS-Tracker gehandelt haben könnte.
Als Katz nach der Durchsuchung an seinen Arbeitsplatz zurückkehrte, wurde er entlassen. In den nächsten Wochen befragte das FBI alle Menschen, die Katz nahe stehen, darunter seinen Vater und seinen jüngeren Bruder. Auch seine Freundin wurde vor Gericht vorgeladen. Katz meint, dass sie jedoch nichts von seinen Verbindungen zu WikiLeaks wusste.
“Ich habe nur sehr wenige Leute in meine Aktivitäten einbezogen”, erklärt er. “Damit niemand bei einer Befragung festgenagelt werden kann.”
Nachdem er selbst die Aussage vor Gericht verweigert hatte, beschloss Katz, seinen geplanten Umzug nach Island in die Tat umzusetzen. Lamo interpretierte es so, dass Katz nach Island flüchtete, um der US-amerikanischen Strafverfolgung zu entgehen.
Da Katz für seinen Visa-Antrag für Island auch den FBI-Background-Check bestehen musste, schickte er dem FBI brav seine Fingerabdrücke. Nach ein paar Monaten erhielt er sein Visa und zog im Februar 2012 nach Island um. Er hat das FBI nie gebeten, ihm seinen Laptop zurückzugeben, weil er keine weitere Aufmerksamkeit auf den Fall lenken wollte.
Acht Monate nach seinem Umzug gründete Katz gemeinsam mit der Politikerin Birgitta Jónsdóttir und weiteren WikiLeaks-Unterstützern und Aktivisten die isländische Piratenpartei Píratar. “Die ganze FBI-Geschichte hat mich dazu gebracht, mich noch stärker als Aktivist zu engagieren”, erklärt Katz, “Es gab kein Zurück mehr.”
Dieser Artikel ist zuerst auf Englisch erschienen. Eine ungekürzte Version findet ihr hier .