Der Hinterhof ist eine Zweitfamilie

Vor einem Jahr erlebte Basel einen Schock: Das Vergleichsportal Skyscanner, eine Art Comparis ohne Kassensturz-Backup, stellt Basel auf den dritten Platz unter den europäischen Club-Städten. Amsterdam wurde zur Nummer 1 ernannt, Barcelona bekam den zweiten Platz und danach folgte Basel. Vor Berlin. Das hat alle gleichermassen geschockt wie gefreut, denn der Durchschnitts-Student in Basel würde wohl Zürich in diesem einen, einzigen Aspekt Basel vorziehen.

Gefühlt gibt es nämlich nichts: Die Basler Clubs liegen verteilt an allen Ecken und Enden der Stadt. Das NT-Areal ist schon eine Weile Vergangenheit. Die Kuppel ist für Kinder; das Sud wunderschön, aber zu oft halbleer. Oft landet man an irgendeinem zwielichtigen Ort zwischen Flatterschafft und Podium. Und am besten—weil am engsten—ist es eh im Hirschi, aber das geht wohl nur linken Hippies wie mir so. Jedenfalls gibt es zwei Leuchttürme, zwei offizielle Leuchttürme, zwei Orte, an denen internationale Namen auflegen, der Hinterhof und der Nordstern.

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Einen weiteren Schock erlebte Basel auch dieses Jahr: Vom Clubsterben war die Rede, von einem Bass-Verbot. Dieser Schock mag teilweise mediengemacht sein, aber trotzdem bleibt es so, dass die beiden grossen Namen, Hinterhof und Nordstern schliessen müssen—ersterer auf März 2016, zweiterer auf Dezember 2015. Wir haben Angst, dass es ruhig wird in Basel, vor allem in den Monaten, in denen man nicht am Rheinufer sitzen kann.

Der Streit geht um vibrierende Bässe und Ruhe in Wohnquartieren und sowas, aber die Folgen könnten eine totenstarre Stadt für’s Publikum und eine ihrer Daseinsberechtigung beraubte Stadt für die Clubmacher sein. Denn das Club-Business, ist ein Business, aber keins wie die Versicherungsbranche.

Knapp noch nicht in der Agglo, am Dreispitz, erhebt sich der Hinterhof mit seiner Dachterrasse über den Gleisfelder. Und zumindest für „50 bis 60 Stunden pro Woche“ ist er die Heimat von Lukas Rytz. Einem der Leute, die Basel lebendig halten können, wenn die Stadt sie halten kann.


Foto von Benjamin von Wyl

Noisey: Du warst der erste Praktikant hier. Ist das so eine Tellerwäscher-Story?
Lukas:
Genau, ich hab mein Praktikum im Oktober 2011 begonnen und eigentlich gedacht, dass der Hinterhof in spätestens einem Jahr wieder schliesst. Jetzt haben wir 2015. Ich war eigentlich der erste, der von aussen dazugekommen ist. Also, ich hatte niemanden gekannt oder so und sonst war das ja ein Freundeskreis, der den Hinterhof aufgebaut hatte.

Und bei dir war es die Freude an elektronischer Musik, die dich zum Hinterhof gebracht hat?
Naja, ich bin ja in einem Dorf bei Langenthal aufgewachsen und ich war schon in meiner Jugend—häufig alleine, manchmal mit meiner Freundin—nach Bern, Basel oder Zürich in Clubs gepilgert. In diesem Sinne: Ja, diese Musik hat mich, neben ganz vielen anderen Genres, schon sehr fasziniert, natürlich auch die ganze Kultur drumherum, die Clubs und die Mythen. Was steckt alles dahinter, einen Club zu betreiben, viele Leute sehen gar nicht, was da für eine Arbeit drin steckt. Das ist nicht einfach Schlüssel umdrehen, Schalter drücken und dann läuft alles …

Und wie sah dann das Praktikum aus?
Erst mal viel Backoffice, Verträge unterzeichnen und zurückschicken, Reisen und Hotels für die Künstler buchen, viel Papierkram, Restaurant reservieren. Dann kam auch die Abendverantwortung oder das Night Management dazu. Ich hatte aber während des Praktikums die Möglichkeit, überall mal reinzuschauen, in die Technik, hab ein, zwei Abende an der Bar gearbeitet—dort habe ich schnell gemerkt, dass das nix für mich ist. Und dann wurde der Mietvertrag verlängert. Irgendwann war ich festangestellt.


Etwas ausgelassener als auf der Dachterrasse; Foto von Michael Hochreutener, zur Verfügung gestellt vom Hinterhof

Und heute? Mir wurde was gesagt wie „Du machst das Booking praktisch alleine.“ Hast du sowas wie einen offiziellen Titel?
Ich mach mittlerweile viel. Oder das meiste, krieg aber immer noch viel Unterstützung von Philippe Hersberger, der das am Anfang ganz alleine geschmissen hat. Wir sehen das Ganze auch nicht so eng im Sinne von „Du machst ganz klar nur das, ich nur das …“. Hey, Laurent, was steht schon wieder in meiner Mail-Signatur?

Laurent: Events und Booking. Darf ich dazusitzen?

Ja eh… Und mittlerweile haben wir auch viel gelernt. Also, wir haben jetzt die Bookings bis Dezember, was den Stress etwas reduziert.

Aber es bleibt ein stressiges Leben.
Es ist ein stressiges Business, bei dem es teilweise auch um viel Geld geht mittlerweile. Man lernt auch sehr schnell zu improvisieren und mit Stress umzugehen und entwickelt vielleicht auch sowas wie ein Bauchgefühl, was funktionieren kann in Basel.

Trotzdem bist du wohl mehr als genug Stunden pro Woche hier.
Ja, aber teilweise liegt das auch an der Dachterrasse. Da bleibe ich halt auch nach Feierabend noch. Früher schon so … Ja, sagen wir mal, 50 bis 60 Stunden pro Woche. Aber grade im Moment ist das dank viel Vorarbeit nicht mehr die Regel. Dazu kommen zwei- bis dreimal im Monat Künstlerbetreuung. Man hat aber schon immer mal wieder diese 24-Stunden Schichten, die an die Substanz gehen, aber einem auch sehr viel geben emotional, wenn alles funktioniert.


Foto von Benjamin von Wyl

Das schweisst sicher auch zusammen. Du bist ohne Connection hierhin gekommen, aber schon geblieben, weil sich eine Connection entwickelt hat, oder?
Es ist natürlich in dem Sinn auch eine Zweitfamilie. Man arbeitet auf das gleiche Ziel hin und bringt dieselbe Leidenschaft auch mit. Ein einschneidender Moment, der unseren Zusammenhalt noch stärkte, war, als wir unsere Soundanlage umbauten.

Also, es ging um die Optimierung der Raumakustik—die beste Anlage bringt einem nichts wenn der Raum scheisse klingt—der Einbau und die Einmessung der neuen Subwoofer … Da haben wir eigentlich 2 Wochen von morgens um 10 bis nachts um 2 gebaut und geschraubt. Und halt alles mit reduzierten Mitteln, also voll Do-It-Yourself, vieles so gut wie’s halt geht. Wenn man dann zwei Wochen später wieder im Club steht und hört, wie sich der Sound verändert hat. Das ist ein Vorher-Nachher-Effekt, der zusammenschweisst.

Aber auch für Büroarbeit hast du viel mehr Resultate als wenn du bei einer Versicherung arbeitest …
Oder eine Uniarbeit schreibst! Für mich persönlich waren halt auch immer Momente toll, wenn ich Künstler, die mir wichtig sind, buchen konnte. Moodymann aus Detroit—da waren wir ewig dran bis es geklappt hat und dann war er halt auch ein supercooler Typ. Man merkt, dass man auf derselben Wellenlänge ist. Natürlich spricht man immer über Musik, aber es ist auch schön, wenn man neben Musik Themen hat, über die man sich unterhalten kann.

Du wirkst erfüllt von deiner Arbeit.
Zu einem sehr, sehr grossen Teil: Ja. Natürlich ist es immer wieder ein Kompromiss, da der Hinterhof schon eher eine grössere Kiste ist. Dann musst du halt manchmal auch einen Safe-Shot buchen. Aber ich hab auch schon Luftsprünge gemacht. Jeff Mills war so jemand, eine Techno-Legende. Ich war ein halbes Jahr dran, tausend Emails, ich brauchte den Bescheid. Dann ruft mich der Agent vom Schiff in Costa Rica an und sagt mir, dass es klappt. Das hat mich dann voll geflasht.


Foto von Benjamin von Wyl

Die Clubkultur ist in illegalen Fabrikhallen entstanden. Stresst dich der Kommerz, das Business am Business manchmal?
Es gibt Booking-Agenturen, bei denen du extrem schnell merkst, dass es Ihnen vor allem ums Business geht. Da kommst du nicht weiter, wenn du versuchst, ihnen deine in erster Linie musikalisches Interesse für einen Künstler zu schildern und nett zu fragen, ob man die hohe Gage nicht vielleicht doch noch etwas reduzieren kann, damit wir uns den leisten können. Damit geht man halt um. Logisch denkst du dir manchmal, es wäre toll, wenn alles noch ein bisschen jungfräulicher, aus einer Leidenschaft heraus wäre. Es gibt auch Agenturen, mit denen wir dieselbe Vision teilen. Denn am Ende sitzen wir alle im selben Boot: Ohne Clubs und Festivals gibt’s für die Künstler keine Gigs und ohne Künstler niemanden, den man buchen kann. Dann bräucht’s auch Agenturen nicht. Aber es ist nicht mehr wie Anfang der 90er: Es ist ein Global Business.

Ist es frustrierend, dass es ein Global Business ist, das vom offiziellen Basel nicht wirklich ernst genommen wird?
Hey … Frustrierend? Ich frag mich manchmal schon, ob diese Leute einfach nicht sehen, was wir bieten oder ob sie einfach per se eine Abneigung gegen alles Laute haben. Es ist schon schade, dass es ihnen einfach egal ist, aber andererseits merken mittlerweile auch Leute, dass Clubs für Basel wichtig sind, dass sie ein Wirtschaftszweig sind. Schliesslich kommen Leute von Zürich, Bern, auch vom Wallis hierher. Das sieht man jedes Mal, wenn man nachschaut, wo die Vorverkaufstickets gebucht worden sind. Trotzdem gibt es frustrierende Momente: Als einmal eine Band ihr Equipment ausgeladen hat, meinten Kontrolleure von den Basler Verkehrsbetrieben, unseren netten Nachbarn: „Ah, macheder hüt widr es Konzärtli!“ und es stand einfach ein Nightliner vornedran mit allem möglichen Material. Die, die sich interessieren, die verstehen und schätzen es auch. Die anderen können dir relativ egal sein. So lange sie uns nicht anschwärzen …

Und das passiert nicht?
Nein, mit den Nachbarn haben wir eigentlich keine Probleme. Auch mit der Anlaufstelle für Süchtige nicht. Das geht gut aneinander vorbei. Wir bitten halt auch um Beschwerden, falls etwas nicht in Ordnung war.


Foto von Martin Hermann

Ihr habt es eigentlich gut.
Eben und das ist auch wirklich irgendwie das Tolle. Wir sind etwas ab vom Schuss und die Leute müssen halt mal auf’s Velo oder ins Tram steigen, aber dafür haben wir den Frieden.

Und wenn es im März vorbei ist, wollt ihr als Team weitermachen?
Wir sind auf der Suche nach einer neuen Location, wissen aber noch nichts Konkretes. Es wäre, das ist zumindest meine Meinung, extrem schade, wenn man jetzt zusammen fünf, sechs Jahre was aufgebaut und Erfahrungen gesammelt hat—von Null an!—und jetzt einfach aufhört. Es wäre wirklich traurig, wenn wir plötzlich alle zur UBS arbeiten gingen. Also nicht, dass sie uns da nehmen würden. Jedenfalls haben wir uns gesagt, dass wir uns nicht stressen wollen. Bei mir ist der Bachelorabschluss sicher noch ein Thema, dann will ich mal zwei, drei Monate reisen gehen. Danach würden wir aber schon wieder zusammen was aufbauen wollen.

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