Der Mythos des immer harten Nippels

Denkt man an Szenen in Hollywood-Filmen oder beispielsweise auch Musik-Videos, in denen Brüste zu sehen sind, sind die Brustwarzen der Darstellerinnen meist durch die Bank völlig hart und abstehend. (Hier steht bewusst nicht „nackte Brüste”, da sich dieses Phänomen nicht nur darauf beschränkt, sondern auch Brüste, die sich durch ein Oberteil abzeichnen, gemeint sind.) Egal, ob die Frauen, deren Brüste im Bild sind, gerade Sex haben, sich umziehen oder einfach nur auf der Couch sitzen—ihre Nippel sind hart wie Stein. Jennifer Lopez hatte zu „Jenny From the Block”-Zeiten sogar einen Angestellten, der dafür zuständig war, ihr in die Brustwarzen zu zwicken, um sie hart werden zu lassen.

Ihr werdet es schon geahnt haben: Mit der Realität hat das, wie so vieles, was uns die Popkultur vorhält, nicht viel zu tun.

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In der Regel sind weibliche Brustwarzen den Großteil eines normalen Tages weich. Lediglich bei Kälte und Gänsehaut werden sie hart, manche Frauen bekommen auch harte Nippel, wenn sie sexuell erregt sind. Brustwarzen sind nämlich eine erogene Zone, die bei Stimulation stehen können, aber nicht müssen, denn Brustwarzen können unterschiedlich empfindlich sein: Bei manchen Frauen sind sie extrem sensibel, bei manchen weniger und bleiben zum Beispiel auch bei Erregung weich. Evolutionsbiologisch betrachtet richten sich Brustwarzen vor allem aus einem Grund auf: damit sie für Säuglinge beim Stillen leichter auffindbar sind.

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Trotzdem war es schon in den Hochzeiten von Dr. Sommer eine wahre Dauerbrenner-Frage unter jungen Frauen, ob es normal sei, dass ihre Nippel weich sind—oder unter Umständen sogar nach innen zeigen. Und auch heute noch fragen sich viele, ob mit ihrem Körper etwas nicht stimmt. Klickt man sich durch verschiedenste Frauenforen, findet man immer wieder verzweifelte Einträge von Frauen, die andere Userinnen um Rat bitten. Sie denken, etwas sei falsch mit ihnen, weil ihre Brustwarzen höchstens bei Kälte und Erregung stehen, eine Userin denkt sogar, sie sei „behindert”, weil ihre Brustwarzen fast immer weich sind. Eine andere Userin schreibt: „Ich fühle mich immer wieder unwohl, weil sich bei mir die Brustwarzen nicht so aufstellen und hart werden, wie das im Fernsehen und Bildern immer gezeigt wird, wenn eine Frau erregt ist.”

Die Darstellung von Brustwarzen reiht sich ganz einfach neben diversen Phänomenen ein, die unter das Schlagwort ‚Pornographisierung der Gesellschaft’ fallen.

Die öffentliche Diskussion dreht sich zwar des Öfteren um Brustwarzen, jedoch meist in einem anderen Kontext: In vielerlei Hinsicht gelten entblößte oder auch bloß durchscheinende, sich abzeichnende Brustwarzen mittlerweile fast als Statement. Doch müssen sie nicht erst hart werden, um eines zu sein. Seit Ewigkeiten steht Facebook in der Kritik, weil Bilder von entblößten, ausschließlich weiblichen Brustwarzen gegen die Gemeinschaftsstandards verstoßen, hetzerische Postings beispielsweise nicht. Frauen, die ohne BH und in Shirts vor die Tür gehen, unter denen sich die Brustwarzen klar abzeichnen, müssen damit rechnen, wahlweise angestarrt oder von anderen Frauen als ‚mutig’ bezeichnet zu werden—für etwas, das ganz und gar kein mutiger Akt, sondern einfach nur natürlich ist. Dass die Darstellung von Brustwarzen im popkulturellen Kontext jedoch ein weiteres unrealistisches Ideal vermittelt, an dem viele Frauen ihren Körper messen, blieb bisher quasi unerwähnt.

Nun gibt es zweifelsohne genug unrealistische Ideale, an denen sich insbesondere junge Frauen messen lassen und harte Brustwarzen spielen diesbezüglich eine eher untergeordnete Rolle. Trotzdem stellt sich die Frage, warum genau harte Nippel zum Naturzustand der popkulturell in Erscheinung tretenden Frau geworden sind.

Vielleicht finden Produzenten und Fotografen harte Nippel einfach schöner und ansprechender als weiche? Vielleicht sind harte Nippel einfach nur ein Blickfang und sollen die Aufmerksamkeit auf ein bestimmtes Bild lenken? Sind sie ein zusätzliches Element, das unterstreichen soll, dass die gezeigte Frau als „sexy” wahrgenommen werden soll?

Fest steht in jedem Fall, dass harte Nippel ganz klar als erotischer Reiz konnotiert sind. Genau so wie Brüste generell. Die weibliche Brust ist ein sekundäres Geschlechtsmerkmal, das für viele die Attraktivität einer Person mitbestimmt. Die Brustwarzen können sowohl bei Männern als auch Frauen erogene Zonen sein, nicht selten spielen die Brustwarzen vor allem beim Vorspiel eine große Rolle, manche Männer lecken und saugen gern daran. Kurz und vereinfacht gesagt: Harte Nippel bei Frauen sind ein Symbol für Geilheit. Harte Nippel bei Frauen sind das, woran man mit unter Umständen freiem Auge erkennen kann, dass sie erregt sind. Darum sind sie vermutlich ein leicht wahrnehmbarer Reiz, auf den viele Menschen reagieren.

In einer Folge von Sex and the City geht es genau darum. Samantha kauft sich künstliche Nippel und zieht damit einen Mann an, der auf Babysprache steht. Auch Miranda gibt beim gemeinsamen Mädelsabend den Plastiknippeln eine Chance und zieht damit die Blicke der Männer in der Bar auf sich. Auf Amazon kann man solche Dinger für rund 14 Euro kaufen, damit man „steife Nippel für Fotoshootings” bekommt.

Andrea Braidt, die Vizerektorin für Kunst & Forschung an der Akademie der bildenden Künste in Wien beschäftigt sich im Rahmen eines ihrer Forschungsschwerpunkte mit Genderkonstruktionen im Film und ist seit 2012 Vorsitzende der Österreichischen Gesellschaft für Geschlechterforschung. Sie sieht die Darstellung von harten Brustwarzen als Norm schlichtweg als ein Symptom der „Pornographisierung der Gesellschaft” an, wie sie gegenüber Broadly erzählt: „Ich glaube, die Darstellung von Brustwarzen, die Sie ansprechen, reiht sich ganz einfach neben diversen Phänomenen ein, die unter dieses Schlagwort fallen. Sexuelle Erregung wird gemainstreamt und das findet dann in allen Formen der kulturellen Präsentation Eingang.”

Den Einfluss solcher Bilder auf insbesondere junge Frauen schätzt sie aber langfristig gesehen als eher gering ein. „Ich glaube nicht daran, dass Medienkonsum den großen Schaden hervorruft, der ihm manchmal unterstellt wird. Man sollte viel mehr Vertrauen in die Kompetenz junger Menschen haben, die Medienangebote in einer zeitgemäßen Weise zu nutzen gelernt haben. Denken Sie einmal an Studien, die sich mit Gewalt in Videospielen beschäftigen. Da gibt’s wahrscheinlich genau so viele, die einen Einfluss bestätigen, wie solche, die einen Einfluss widerlegen. Genauso verhält sich das bei diesem Phänomen auch.”

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Dass im ersten Moment eine Verunsicherung bezüglich des eigenen Körpers auftritt, schließt das aber natürlich nicht aus. Vergleichen lässt sich das mit dem verzerrten Bild zu Sexualität, das in Pornos dargestellt wird und Jugendlichen vermittelt, wie Geschlechtsverkehr auszusehen hat—auch, wenn die Bilder mit der Normalität absolut nichts zu tun haben. „Natürlich ist das so, dass, wenn sich Jugendliche Repräsentationen von Sexualität beispielsweise in Form von Pornos anschauen, damit auch Desinformation einhergeht. Das sind einfach fiktionale Repräsentationen und keine Aufklärungsfilme.”

Wenn du damit auf die Welt gekommen bist, es nicht weh tut und dein Frauenarzt noch nicht geäußert hat, das ‚mal im Auge behalten’ zu müssen, ist es wahrscheinlich normal.

Dass harte Brustwarzen bei der Darstellung von Frauen fast normal sind, ist—wie Braidt sagt—kaum verwunderlich, wenn man sich ansieht, wie Frauen in Filmen und auf Bildern immer noch dargestellt werden: Makellos, glattgebügelt, sexy. Jedoch scheint in der Diskussion darüber bisher übersehen worden zu sein, dass auch vermeintliche Kleinigkeiten wie die Brustwarzen von Schauspielerinnen und Models bei manchen Frauen unrealistische Erwartungen an sich selbst hervorrufen können.

Zusammengefasst lässt sich, wie bei so vielen Dingen den eigenen Körper betreffend, sagen: Wenn du damit auf die Welt gekommen bist, es nicht weh tut und dein Frauenarzt noch nicht geäußert hat, das „mal im Auge behalten” zu müssen, ist es wahrscheinlich normal. „In Spielfilmen werden 40-Jährige Figuren auch von 25-jährigen Schauspielerinnen gespielt”, sagt Andrea Braidt abschließend. „Hollywood-Filme sind einfach oft super sexistisch.”