Popkultur

Der neue Marvel-Film will woke sein um jeden Preis

Benedict Cumberbatch als Doctor Strange in Doctor Strange in the Multiverse of Madness. Der Film soll

Doctor Strange springt über Trümmer, die scheinbar zufällig im Weltall schweben. Er bekämpft einen gigantischen brennenden Monsterblechhaufen sowohl, um ein Mädchen zu schützen, als auch, um dieses bläulich schimmernde Buch zu fassen zu kriegen. Es ist laut, es ist bunt, es ist wild und es ist wahnsinnig vorhersehbar, denn es ist der neue Marvel-Film Doctor Strange in the Multiverse of Madness. Und er bringt eine politisch Botschaft mit, die sich vermutlich für woke hält.


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Der titelgebende Doctor Stephen Strange, gespielt von Benedict Cumberbatch, war im ersten Teil noch ein arroganter Chirurg, der sich nach einem Unfall umorientieren musste und schließlich zum Master of the Mystic Arts wurde. Also dem Zauberer Doctor Strange. In diesem zweiten Film muss er in verschiedenen Paralleluniversen versuchen – Achtung, kleiner Spoiler –, besagtes Mädchen namens America Chavez, gespielt von Xochitl Gomez, vor der Scarlet Witch zu beschützen. America Chavez besitzt nämlich die Gabe, von einem Paralleluniversum in ein anderes zu springen.   

Diese Superkraft will die böse Scarlet Witch ihr nehmen und sie damit umbringen. Scarlet Witch war in früheren Filmen und Serien einmal die gute Wanda Maximoff, gespielt von Elizabeth Olsen. Jetzt will sie aber die Unzulänglichkeiten ihrer eigenen Realität korrigieren. Sie will ein anderes Universum übernehmen und dort das Leben führen, das sie in ihrem Universum nicht haben kann. Auch wenn sie dafür andere töten muss. Denn sie möchte wieder mit ihren beiden Söhnen zusammen sein. Das ist natürlich ein sehr menschliches Motiv, und bietet dann auch reichlich Möglichkeiten für einen späten Sinneswandel der Antagonistin.

Die Scarlet Witch verfolgt Doctor Strange und America und versucht zunehmend brutal und rücksichtslos, ein neues Leben als Mutter ihrer Söhne aufzubauen. Durch ihre mächtige Hexenmagie hat sie in andere Parallelwelten hineinschauen können und herausgefunden, dass ihre Söhne in jeder zu leben scheinen, außer in ihrer, die wir vielleicht “Realität” nennen könnten, wenn wir nicht wüssten, dass das alles trashige Superhelden-Filme sind.

Doctor Strange lernt in den Universen verschiedene Versionen seiner selbst kennen und sieht auch sonst Figuren und Dinge, zu denen Marvel demnächst eigene Filme und Serien veröffentlichen könnte. So spielt etwa Patrick Stewart in dem Film mit, der in der ersten X-Men-Trilogie den Charles Xavier verkörperte, was wahrscheinlich eher kein Zufall ist, so viel soll gesagt sein. 

In weiten Teilen macht der Film großen Spaß, weil er an verschiedenen Stellen versucht, anders zu sein als frühere Marvel-Filme. Der Regisseur Sam Raimi ist ein erfahrener Horror-Spezialist, der nicht nur seine früheren Filme immer wieder zitiert, sondern auch andere Klassiker des Genres. Obwohl sein neuer Film also nur selten wirklich gruselig wird, gibt es doch immer wieder Jump Scares und eine Ästhetik, die man etwa aus dem Tanz der Teufel-Franchise kennt. Seien es Körper, die Dinge tun, zu denen sie nicht geschaffen scheinen, wackelige Zooms in Gesichter oder auch Effekte, die nur teilweise auf Computerbildern und eher auf Make-Up oder Prothesen basieren.

Dabei ist Doctor Strange in the Multiverse of Madness auch vergleichsweise gewalthaltig. Hier werden Augen ausgestochen und Köpfe zerquetscht, Menschen geteilt und aufgespießt und Genicke gebrochen. Wir sehen lebende Tote und Geisterdämonen und ein paar Golem-artige Wesen, die an H.P. Lovecrafts Cthulhu erinnern. Kurz: Sam Raimi nimmt zahlreiche Motive seiner anderen Werke auf. Und das ist kreativ, abwechslungsreich und überraschend. Zumindest für Marvel-Verhältnisse.

Denn abgesehen von diesen punktuellen Eindrücken bleibt am Ende auch nur eine sehr, sehr, sehr oberflächliche Geschichte übrig, in der Charaktere entweder gar nicht erst aufgebaut werden oder sich nicht wirklich entwickeln können. Dafür gibt es Action und Horror und Easter Eggs und einige Dinge, die Fans wirklich freuen werden. Und auch bei den Dingen, über die man sich im ersten Augenblick freut, wünscht man sich im zweiten, dass man ihnen mehr Raum gegeben hätte. Dass sie mehr gewesen wären als Zitate. Der Stil des Films ist gewagter, der Inhalt ist genauso flach wie eh und je. 

Wir sind nun außerdem an dem Punkt des Marvel-Universums angelangt, an dem wir als Publikum Geschichten nicht mehr verstehen, wenn wir die vorherigen nicht kennen. Marvel ist jetzt also ein Fortsetzungsroman. Wer eine Ausgabe verpasst, wird nicht mehr wissen, worum es geht. Und im besten Fall, also für Disney, den Mutterkonzern, ein Abo des Streaming-Services abschließen, um alte Sachen nachholen zu können. Dieser Film kann nicht mehr für sich alleine stehen. Man muss mindestens Doctor Strange, WandaVision und Avengers: Endgame kennen, um die Motivation der Figuren nur ansatzweise verstehen zu können. Besser natürlich, man kennt sie alle.

Dafür bringt der Film eine fast schon amüsante, weil reichlich plumpe politische Botschaft mit. Dem Einen oder der Anderen mag es bereits aufgefallen sein: Das Mädchen, das Doctor Strange da beschützen muss, heißt America Chavez. Es ist südamerikanischer Abstammung – zumindest wird das impliziert, eigentlich ist sie natürlich außerirdischer Abstammung –, Tochter von zwei Frauen, trägt einen Regenbogen, den Spruch “Amor es amor”, was Spanisch ist und “Liebe ist Liebe” bedeutet und, zusätzlich, einen dicken weißen Stern auf der blauen Jeansjacke. 

Wenn sie sehr große Angst hat, öffnet sich ein glitzerndes Portal in Sternenform und zieht sie in eines der unzähligen Paralleluniversen. Eine Superpower, die sie nicht kontrollieren kann, (Spoiler!) bis Doctor Strange sie anbrüllt: “America, trust yourself! Trust your power!”

Nun muss man kein Freund der Überinterpretation sein, um zu erkennen, was die Macher hier versuchen: America Chavez trägt die Macht in sich, die Welt, oder besser das Universum zu retten und am allerbesten: alle Universen. Wenn sie nur lernt, ihre Angst zu beherrschen und ihre Kraft zu kanalisieren. Die Hoffnung aller Geschöpfe ruht auf America.

Dabei repräsentiert America Chavez nicht irgendein Amerika. Sie steht für die modernen, linken, weltoffenen und von Migranten geprägten Vereinigten Staaten von Amerika. Für die weiblicheren USA auch. Für die gutmenschlichen USA. War Captain America noch der alte weiße Mann, der seine Werte im Zweiten Weltkrieg verinnerlicht hatte, ist America Chavez nun die neue Vertreterin der Vereinigten Staaten. Die Alexandria Ocasio-Cortez des Marvel-Universums.

Dass sie als Mädchen von ihren Eltern getrennt wurde, später in einen Käfig gesperrt wird und immer, wenn sie zu große Angst hat, gezwungen wird, aus dem Universum zu fliegen, in dem sie sich gerade mit Problemen rumschlagen muss, ist natürlich auch nichts anderes als ein Kommentar auf den Isolationismus der USA und ihrer Unfähigkeit, einheitlich an einem Projekt zu arbeiten, um sich selbst aus dem Sumpf zu ziehen und damit die gesamte Welt. 

Doctor Strange in the Multiverse of Madness behauptet: Die Zukunft der USA ist links. Und sie ist die einer Großmacht. Wenn die USA bereit sind, ihre Angst zu überwinden. Wovor? Das bleibt offen. Das ist schon sehr plump alles, so wie die gesamte Story des Films. Wer Freude an Horror-Filmen hat, wird den Film trotzdem lieben. Und wenn es nur ist, um zu sehen, wie Bruce Campbell, der Ash aus den Evil Dead-Filmen, einmal wieder mit seinen Gliedmaßen ringen muss.

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