Eigentlich will Scream uns ja verarschen. Und das schon seit dem ersten Teil, 1996, als die berühmten “Regeln” des Horror-Genres definiert wurden: Sag nie, ich komme gleich wieder; hab keinen Sex; nimm keine Drogen, solche Sachen. Im neuen Teil, Scream 5, den die Macher selbstironisch Scream genannt haben, wollen sie uns nun nicht mehr nur verarschen, sondern auch den Mittelfinger zeigen. Im Prinzip ist der Film eine fast zwei Stunden lange Publikumsbeschimpfung.
Die Story, ganz kurz und spoilerfrei, so weit es möglich ist, weil es bei den Scream-Filmen stets weitgehend darum geht, zu erraten, wer der Mörder sein könnte. Oder die Mörder. Eine Art brutale Detektiv-Geschichte mit Jump Scares.
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Tara (Jenna Ortega), eine Highschool-Schülerin, wird nachts in ihrem Haus von einem maskierten Killer angegriffen, weswegen ihre große Schwester Sam (Melissa Barrera) zusammen mit ihrem liebevollen und fürsorglichen Boyfriend zurück nach Woodsboro kommt, den Ort, in dem schon 1996 gemordet wurde.
Hier sterben bald weitere Menschen und der Freundeskreis um Tara, die junge Frau, die anfangs angegriffen wurde und nur knapp überlebt hat, muss sich überlegen, nach welchen Film-Regeln die Mordserie dieses Mal funktioniert. In Scream 2 waren das Sequels, in Scream 3 waren es Abschlüsse von Trilogien und in Scream 4 waren es Remakes. Die Kenntnis über diese Regeln hatte stets einen Einfluss auf das Ende der Handlung.
Bei der Klärung der Frage hilft der ehemalige Sheriff Dewey Riley (David Arquette), den wir aus den ersten vier Teilen kennen. Er lebt jetzt in einem Wohnwagen und ist wohl die einzig interessante Figur des Films. Bald kommt auch dessen Ex zurück nach Woodsboro, Gale Weathers (Courtney Cox), die das Buch über die erste Mordserie geschrieben hat. Und schließlich, klar, kommt auch Sidney Prescott (Neve Campbell) zurück, die Protagonistin der ersten Teile.
Aus dieser Formation heraus zeigt sich bald, was der Gag des Films wird: Er zitiert den aktuellen Hype der “Requels”, eine Mischung aus den Begriffen Sequel und Reboot: Eine Filmreihe soll mit neuen Charakteren weitergeführt werden, wofür aber Charaktere der früheren Filme zurückkehren müssen, um die Fans der ersten Stunden zu motivieren, sich das anzugucken.
Sidney, Dewey und Gale bleiben so auch Nebenfiguren, ohne aber für die Handlung unbedeutend zu werden. Als Sidney den Anruf erhält, in dem sie davon erfährt, dass in Woodsboro wieder gemordet wird, und gefragt wird, ob sie zum Schutz eine Waffe hat, antwortet sie: “I’m Sidney fucking Prescott. Of course I have a gun.” Das sagt kein normaler Mensch, das sagt nur eine Filmfigur mit dem Zweck, dass das Publikum sich freut, dass Sidney fucking Prescott zurückkommen wird.
Diese Requel-Idee ist gleichzeitig der erste Mittelfinger, den der Film uns entgegenstreckt. Er fragt: Warum gucken wir nur noch aufgewärmte Fortsetzungen, warum ist es immer die gleiche emotionale Suppe, die diese Filme uns vorsetzen und warum löffeln wir sie immer und immer wieder auf, als hätten wir seit Jahren nichts mehr gefühlt?
Wenn nach etwa der Hälfte von Scream 5 einer der “Legacy Characters” stirbt, wie die Figuren aus den vorherigen Filmen genannt werden, dann ist das wie in Star Wars: Das Erwachen der Macht, als ein dortiger Legacy-Character stirbt. Wenn Sidney zurück nach Woodsboro kommt, dann ist das wie als Jeff Goldblum in Jurassic World 2 vor Gericht aussagt. Oder wie wenn Luke Skywalker am Ende von Das Erwachen der Macht auf einem Steinhaufen zu sehen ist oder wie wenn Jamie Lee Curtis in Halloween von 2018 Michael Myers anzündet.
So fragt der Film also erstens, warum die Filmindustrie so unkreativ geworden ist und zweitens, warum wir das so geil finden. Und um uns zu zeigen, dass wir dumme Schafe sind, die immer noch Bock auf die Suppe haben, ist der Film gleichzeitig genau das. Ein Spiel mit unseren nostalgischen Gefühlen. Das ist schon ganz schön schlau gemacht.
Denn das kann der Film großartig. Die Story ist eher belanglos und reichlich vorhersehbar. Beim fünften Mal kennt man die Signale, auf die man achten muss, um einigermaßen präzise vorherzusagen, wer die Mörder hinter der Ghostface-Maske sein müssen. Klug ist also eher, dass wir stets davon überrascht werden, wie genau der Film weiß, was wir alles wissen.
In einer Szene soll ein junger Mann sterben. Wir wissen, dass der Killer ihn beobachtet, dass er jeden Moment zuschlagen könnte. Doch der Film gibt uns nicht den Schock, vor dem wir uns fürchten, stattdessen macht er sich über unsere ängstliche Erwartung lustig, indem er immer und immer wieder Situationen kreiert, die nach Genre-Konventionen einen Jump Scare folgen lassen. Immer wieder erwarten wir hinter einer Tür den Killer, immer wieder ist da niemand. Es dauert einige Male, bis wir das merken und über uns selbst lachen müssen. So viel Angst. Scream 5 schafft es durch derlei Einfälle immer wieder, richtig lustig zu sein, ohne dass er seinen Humor in Albernheiten ersticken müsste. Scream 5 funktioniert als Komödie in weiten Teilen besser als so manche Komödie. Dann macht er richtig Spaß.
Zugleich kündigt der Film schon in der Eröffnungssequenz an, dass wir hier keine kluge Gesellschaftskritik erwarten können, keine tiefgreifende Charakterstudie. Dass er nicht auf der Inhaltsebene glänzen will, sondern auf der Meta-Ebene. In dieser Sequenz macht der Killer, den Konventionen der Scream-Reihe entsprechend, mit dem ersten Opfer Smalltalk über Horror-Filme, bevor er es überfällt.
Tara, das Opfer düpiert den Killer dabei, als sie sagt, dass sie nicht auf billige Slasher stehe, sondern auf “elevated horror”, also schlaue Filme, die ausgefeilte Charaktere zeigen und kluge Gesellschaftskritik üben. Der Killer ist davon kein Fan, er spricht lieber über die “Stab”-Filme, also die Filmreihe in der Scream-Filmreihe, die die Geschehnisse aus den Scream-Filmen als eine Art True-Crime-Horror nacherzählen. Im Prinzip sind die “Stab”-Filme also die Scream-Filme innerhalb der Scream-Welt. Das ist wieder meta. Es gibt innerhalb der Scream-Welt sogar eine “Stab”-Serie auf Netflix – so wie es dort im echten Leben auch eine Scream-Serie gibt.
Scream 5 bleibt eben das, ein Film voller Logiklöcher, erwartbarer Figuren und Wendungen. Und Gesellschaftskritik kann man zwar überall reininterpretieren, aber wirkliche Anhaltspunkte gibt der Film dafür kaum. Er bleibt auf der Plot-Ebene ein oberflächlicher Slasher, ein Film wie “Stab” eben, was übersetzt (er)stechen heißt.
Und nun kommt der zweite Mittelfinger. Denn während wir im Real Life gerade Scream 5 gucken, gibt es innerhalb des Films bereits acht “Stab”-Filme. Und der letzte hat nicht nur Fans. Die Hardcore-Fans der ganzen “Stab”-Reihe nämlich beschweren sich, dass der Film zu sehr von der Prämisse der vorherigen Filme abgewichen sei. Der Film hat innerhalb der Handlung einen regelrechten Shitstorm erzeugt. Und – das wird bald klar – der Hass auf den Film dient auch als Motivation für die Morde, zumindest teilweise.
Der Mittelfinger in Scream 5 richtet sich also an die Hardcore-Fans von Filmreihen. An die Fans, die Innovationen verhindern, weil sie nicht wollen, dass die Filme, die sie lieben, verwässert werden durch deren Fortsetzungen. Sie weigern sich, anzuerkennen, dass Filme Kunstwerke sind, die davon leben, dass sie überraschen, mit Erfahrungen brechen und Sehgewohnheiten unterlaufen.
Und Scream 5 trifft hier durchaus einen Nerv. Star Wars: Die letzten Jedi etwa ist ein Beispiel dafür: Die einen mögen den Film, weil er Star Wars einmal anders dachte, neue Konzepte einführte, Erzählmuster reformierte. Gerade nach dem Teil davor, Das Erwachen der Macht, der im Prinzip ein Remake von Eine neue Hoffnung, also des ersten Star Wars war, galt das vielen als willkommene und notwendige Abwechslung für die Reihe. Nur die Hardcore-Fans sträubten sich: Das sei nicht mehr ihr Star Wars und der Film Abfall. Und auch Scream 4, also der Vorgänger dieses Films, ist keiner, der besonders wohlwollend aufgenommen wurde.
Wenn Scream 5 also die Shitstorm-Kultur innerhalb der Fan-Gemeinden erfolgreicher Filmreihen anprangert, dann meint der Film damit auch sich selbst und somit, letztlich, das Publikum. Auch wenn dieser Film der erste seit dem dritten Teil ist, der inhaltlich wirklich etwas wagt. Zum Beispiel den Tod eines Legacy-Charakters. Oder die Degradierung der Protagonistinnen und Protagonisten der vorigen Teile zu Nebenfiguren. Oder die Einführung von Wahnvorstellungen als erzählerischem Mittel.
Und zuletzt ist dieser Teil eben der erste, der nicht nur sich selbst und seine Vorgänger thematisiert, sondern uns, das Publikum, einbindet. Scream war immer das Spiel damit, uns einen spannenden Thriller zu zeigen und gleichzeitig das Seherlebnis selbst in den Mittelpunkt zu stellen, inklusive falscher Fährten, dem Brechen von Klischees oder dem unerwarteten Nicht-Brechen von Klischees. Scream wusste, wie wir Horror-Filme schauen und hat sich darüber lustig gemacht. Jetzt blickt der Film uns direkt an und, nun ja, findet uns halt eher doof. Und das macht wirklich Spaß.
Eigentlich hat Robert Angst vor Horrorfilmen. Deshalb hängt er nachts im Bett lieber bei Twitter und Instagram rum. Folgt VICE auf Facebook, Instagram, YouTube und Snapchat.