Diskussionen zu sexueller Belästigung, sexualisierter Gewalt und Sexismus sind vielschichtig, kompliziert – und vor allem voller Missverständnisse. Es ist keine “nette Geste”, wenn sich Menschen ungefragt an anderen vergreifen, sagen Aktivistinnen, Frauenrechtler oder ganz allgemein Personen mit einem realistischen Gefühl für soziale Dynamiken. Und denken sich dabei wahrscheinlich, dass es traurig genug ist, so etwas überhaupt sagen zu müssen.
“Wie sollen wir denn jetzt noch flirten?!”, schreien hingegen Tausende Männer hilflos in ihre muffelig riechenden Kissen. Denn wer wechselt schon noch die Bettwäsche, wenn man keinen Sex mehr haben darf, ohne direkt als Triebtäter zu gelten? Aktionen wie #MeToo, in denen Menschen Situationen teilen, in denen sich andere ihnen gegenüber sexuell übergriffig verhalten haben, sind wichtig. Trotzdem inspirieren sie auch 2017 noch genug Menschen dazu, die tatsächlichen Probleme innerhalb unserer Gesellschaft zu ignorieren und sich dafür auf Nebenschauplätzen diskursiv mal so richtig auszutoben. Wenn “alles” direkt als übergriffig verstanden wird, was “darf” man denn dann noch?
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Weil wir mittlerweile mehr als genug Beweise dafür miterleben mussten, dass verunsicherte, wütende Männer tickende Zeitbomben sind, haben wir euch ein paar Flirtstrategien zusammengestellt, mit denen ihr auf der sicheren Seite sein dürftet. Und nur um das klarzustellen: Die Negativ-Beispiele am Ende eines jeden Punktes haben wir uns nicht ausgedacht.
Der erste Schritt
In Filmen sieht immer alles so einfach aus: Zwei schöne Menschen rennen mit Kaffee in der Hand ineinander, greifen beim Lebensmitteldiscounter nach derselben Gurke oder geraten beim ausgedehnten Frühstück in weich ausgeleuchteten Restaurants ganz zufällig ins Gespräch. Und nach 90 Minuten sind sie sich sicher, den Rest ihres Lebens miteinander verbringen zu wollen. Die Realität ist wie so oft eine andere. Und sie ist hart. Menschen, die einem morgens ihren Kaffee aufs Oberteil kippen, will niemand näher kennenlernen. Personen, die einen intensiv dabei beobachten, wie man Gurken befühlt, sind gruselig. Und gibt es tatsächlich junge berufstätige Menschen, die FRÜHSTÜCKEN gehen?!
Trotzdem nehmen sich viele von euch ein Herz und versuchen, die große Liebe (oder zumindest den nächsten Sexualpartner) abseits von Tinder oder dem erweiterten Freundeskreis kennenzulernen. Das ist sehr mutig, schließlich weiß man nicht, wie wildfremde Personen auf einen reagieren und ob sie überhaupt Lust auf ein Gespräch haben. Wenn man möchte, lässt sich aber eben doch recht schnell herausfinden, wie man Kontakt zu anderen aufbaut, ohne sie direkt zu verschrecken.
Die grundlegendste Überlegung sollte dabei sein:
- Sieht diese Person aus, als hätte sie gerade weder Zeit noch Lust auf ein Gespräch?
- Befindet sie sich vielleicht gerade nachts auf dem Heimweg und könnte es eher gruselig finden, wenn ihr minutenlang hinter ihr herlauft?
- Trägt sie Kopfhörer und möchte gerade offensichtlich ihre Umwelt ausblenden?
- War sie einkaufen und jongliert gerade mehrere Taschen, möchte also nichts lieber, als einfach nur zu Hause anzukommen und den ganzen Scheiß endlich irgendwo abzustellen?
Solltet ihr auf alle Fragen mit “Nein” geantwortet haben, besteht die Möglichkeit, dass sie auf eure Ansprache nicht komplett ablehnend reagiert. Nun ist es wichtig, sich selbst zu fragen: Warum spreche ich genau diese Frau an? Ja, vielleicht ist sie sehr attraktiv, aber was hat sie noch, was euch interessiert? Worauf könntet ihr Bezug nehmen? Und dann: Setzt sie nicht unter Druck, nehmt ihr die Entscheidung nicht ab. Gebt ihr lieber eure Nummer, als sie immer wieder nach ihrer zu fragen. Wenn sie sich meldet, hat sie wahrscheinlich Interesse. Wenn nicht, habt ihr euch zumindest niemandem aufgedrängt.
Falsch: Im Schritttempo neben einer Frau herfahren, ihr ein harsches “Ey!” zurufen und anschließend den eigenen Penis durch die halb aufgeknöpfte Hose präsentieren.
Besser: Aus einem Mindestabstand heraus eine Frage stellen, die nicht nur rein sexuelles Interesse signalisiert und der Beginn eines längeren, angeregten Gesprächs sein könnte. Zum Beispiel: “Ist das Buch gut? Ich hatte das kürzlich auch schon in der Hand.” Oder: “Dein Hund sieht aus wie der aus diesem einen Meme. Kennst du das?”
Erfolgreich Komplimente machen
Ganz grundlegend hört jeder doch eigentlich recht gerne etwas Positives über sich selbst. Sei es nun, dass die PowerPoint-Präsentation, mit der man bis zum Rande des Nervenzusammenbruchs gekämpft hat, schlussendlich doch sehr gut angekommen ist. Oder einen die neue Kopfbedeckung doch nicht aussehen lässt wie einen Mad Men-Cosplayer.
Gegen die richtigen Worte zur richtigen Zeit ist also absolut gar nichts zu sagen. Nur: Oft sind es eben nicht die richtigen Worte. Wenn ihr euch nicht ganz sicher seid, stellt euch einfach folgende Fragen:
- Würde es sich komisch anfühlen, einem männlichen Kollegen oder Bekannten ein ähnliches Kompliment zu machen?
- Enthält das Kompliment eine Formulierung wie “für eine Frau” oder “anders als andere Frauen”?
- Überschreitet ihr mit dem, was ihr sagt, eine Grenze – beispielsweise indem ihr das Gespräch auf eine explizit sexuelle Ebene zieht, die ihr mit dieser Person einfach noch nicht habt?
Dann denkt euch was anderes aus. Zumindest dann, wenn ihr eurem Gegenüber wirklich eine Freude machen wollt.
Schlecht: “Du hast echt ein krasses Porno-Face. Dir würde ich gerne mal richtig ins Gesicht spritzen!”, gefolgt von einem abwartenden Blick, das einem Kind ähnelt, das glaubt, noch nicht alle Weihnachtsgeschenke gekriegt zu haben.
Besser: “Du bist echt schlagfertig. Ich hatte fast ein bisschen Angst, dich anzusprechen.”
Richtig kommunizieren
Manche Dinge sollten so selbstverständlich sein, dass man sie eigentlich gar nicht mehr erwähnen muss. Wir tun es trotzdem, denn offensichtlich sind sie bei vielen noch nicht angekommen: Hört Leuten zu, wenn sie euch etwas mitteilen wollen. Nicht nur dem Kollegen, den man ein bisschen um seine Verhandlungsfähigkeiten beneidet, oder dem Kumpel, der da eine ganz heiße Theorie zum Ende der letzten Sherlock-Staffel hat. Auch Frauen haben Dinge zu erzählen, die relevant sind – auch oder gerade weil sie sich zu großen Teilen nicht mit euren eigenen Lebenserfahrungen decken dürften. Das heißt nicht, dass es einen großen, unüberbrückbaren Graben zwischen Männern und Frauen gibt. Das heißt: Vielleicht gibt es tatsächlich Themen, zu denen eure Meinung nicht die qualifizierteste am Tisch ist.
Umso wichtiger ist es, aufgeschlossen zu sein und auch einfach mal die Klappe zu halten. Es macht euch nicht weltmännisch, Frauen souverän über den Mund zu fahren. Ihnen zu erklären, was sie eigentlich meinen oder warum sie auch mit den persönlichsten Empfindungen (“Menstruationsbeschwerden? Verliert erst einmal im Krieg ein Bein! Haha!”) falsch liegen. Ein gutes Gespräch kommt auch ohne Mario-Barth-eske Witze aus. Wenn ihr euch das nicht vorstellen könnt, habt ihr wahrscheinlich noch ganz andere Probleme als fehlgeleitetes Flirten.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Körpersprache – gerade wenn ihr glaubt, dass der Abend an einem Punkt angekommen ist, an dem man sich ein bisschen näherkommen könnte. Auch hier ist es eigentlich relativ einfach: Versucht euer Date, den Abstand zwischen euch aufrecht zu erhalten oder vielleicht sogar zu vergrößern, ist das keine Aufforderung, ihr noch mehr auf die Pelle zu rücken. Wenn eine Frau beispielsweise von euch wegtanzt, ist das kein Breakdance-Move, sondern der Versuch, euren kreisenden Hüften zu entkommen. Seid nicht die Person, der man erst dann entkommt, wenn man sich auf der Damentoilette einsperrt.
Falsch: Einer weinenden Bekannten erst den Arm um die Schulter legen, sich dann unauffällig zur Brust vorarbeiten und anschließend komplett empört feststellen: “Wie? Ich dachte, das wolltest du?”
Besser: Eure eigene Unsicherheit thematisieren, klar kommunizieren, wenn ihr etwas nicht wusstet und euch nicht zu schade sein, auch einmal ganz einfache Fragen zu stellen. “Was willst du?”, zum Beispiel.
Befriedigende Intimität für alle
Auf die Frage, wie man eine Frau denn überzeugen könne, mit einem zu schlafen, wenn der Abend bisher harmonisch und gut lief, antwortete ein selbsternannter Pick-up-Artist bei einem Vortrag in Berlin mal augenzwinkernd: “Vergewaltige sie.” Das schien für die anwesenden Männer ein ganz großer Spaß zu sein, legte aber auch nahe: Für Spaß beim Sex ist die Zustimmung der Frau nicht zwingend notwendig.
Auch aus weniger offen frauenfeindlichen Kreisen hört man öfter das Argument, dass sexuelle Überzeugungsarbeit zwingend zur Verführung dazugehört. Das Problem: Wenn man die Wünsche seines Gegenübers immer für ein Spiel hält, wenn ein “Nein” immer erst einmal ein “Vielleicht” ist – wie soll man dann wissen, wann ein “Hör auf” oder “Nein” wirklich auch so gemeint ist? Deswegen sollte die erste Regel für jeden sexuellen Kontakt sein: Glaubt einer Frau, wenn sie euch sagt, dass sie etwas nicht möchte. Wenn sie es eigentlich doch wollte, wird sie sicherlich von selbst darauf zurückkommen.
Man kann natürlich auch alles im Vorfeld besprechen und ganz genau abklären, was wann wie passieren darf. Wenn wir mal ehrlich zueinander sind, machen das aber wahrscheinlich die wenigsten von uns. Durchführbarer und somit realistischer ist wahrscheinlich das hier: Immer wieder innehalten und nachhorchen, ob das, was man gerade macht, OK ist, statt auf Autopilot zu schalten. Darauf achten, wie die Partnerin reagiert – nicht nur verbal, sondern auch körperlich. Und allem voran nicht immer alles selbst machen wollen. Frauen haben genauso einen Sexualtrieb und eine eigene sexuelle Agenda, ihr müsst nicht in jeder Situation den ersten Schritt machen.
Für wen ein kokettierendes “Nein” zwingend zur Erotik dazugehört, der kann sich nach Absprache mit seiner Partnerin auch ein Beispiel am BDSM nehmen. Da werden Safewords eingesetzt, um Grenzüberschreitungen kontrollierbar und abfragbar zu machen. Statt “Nein” sucht man sich dann eben einen Begriff, den man sonst nie in einem sexuellen Kontext sagen würde, um eine Handlung sofort zu beenden. Zum Beispiel “Kartoffelsalat”. Oder “Culcha Candela”.
Falsch: Von null auf hundert mit Dirty Talk um die Ecke kommen und der Frau plötzlich seinen Penis gegen die Wange schlagen – während die nicht weiß, ob sie jetzt Angst haben oder in hysterisches Gelächter ausbrechen soll.
Besser: Einfach mal nur 80 Prozent des Weges gehen und der Partnerin damit signalisieren, was man möchte. Ob sie die letzten 20 Prozent selbst geht oder doch lieber eine andere Abzweigung nimmt, kann sie dann selbst entscheiden.