Der Wrestler.

Im Dezember 1999 lag Tom Gerhardt unter einem Mercedes auf dem Parkplatz des MCI Center in Washington D.C. und schraubte am Auspuff. Zwei Monate später bekam er dafür in Oberhausen von einem 1,93 Meter großen Wrestler auf die Schnauze. Bis der plötzlich selbst von seinem ehemaligen Bodyguard und anderen Schlägertypen verhauen wurde. Was wiederum den Vater unseres Wrestlers dazu motivierte, ebenfalls in den Ring zu steigen. Weil auch der vermöbelt wurde, wechselte Tom Gerhardt die Seiten, und sprang so lange durch die Gegend, bis das Gute wieder mal gesiegt hatte.

Willkommen in der Welt von Alexander Wright. Genannt Alex Wright. A.k.a. Das Wunderkind, a.k.a. Berlyn, a.k.a. der einzige deutsche Wrestler, der es je zu etwas gebracht hat. Dem Kevin Nash eine Powerbomb verpasste. Der Ric Flair sympathisch fand und Hulk Hogan grandiose Entertainer-Qualitäten bescheinigte. Schließlich hatte er mit all diesen Wahnsinnigen im Ring gestanden. Ein Welt aus Muskelbergen, zerschlagenen Klappstühlen und Auspuff-Matches in Oberhausen.

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Anfangen hat das alles 1993 bei „Schreinemakers”. Wunderbare Welt der deutschen Talkshow-Anfänge: eine Moderatorin mit stetig brechender Stimme und Kleinstadt-Friseusen-Bürste hatte zwei US-Wrestler in voller Montur, sowie den deutschen Tourmanager zum Roundtable geladen. Eigentlich plauderten nur Schreinemakers und der Manager, während die Herren Sting (wie üblich mit Kriegsbemalung im Gesicht) und Jonny B.Bad a.k.a. Marc Mero, ein glänzender Oben-ohne-Zuhälterverschnitt, leicht verwirrt auf ihren Stühlen hockten und dem Aufnahmeleiter vermutlich in Gedanken zwei drei Sharpshooter verpassten.

Im Publikum saß derweil ein 18-jähriger deutscher Hüne mit Boygroup-Haarschnitt und antwortete artig auf die vorbereiteten Fragen von Schreinemakers. Alex Wright, so erfuhr das offensichtlich überforderte Publikum, hatte bereits mit 16 sein Wrestling-Debüt gefeiert und in Papa Steve den größten Förderer. Ein in der Branche durchaus bekannter Mann, der bereits mit den Größen Ric Flair und Hulk Hogan im Ring gestanden hatte. Wright also plauderte, und machte einen so überzeugenden Eindruck, dass ihn der anwesende Tourmanager gleich mal zur anstehenden Deutschland-Tour der WCW (World Championship Wrestling) einlud. „Junge, nimm deinen Wrestling-Gear mit”, befand Papa Steve und bewies ein feines Näschen: weil sich einer der Kämpfer verletzte, rang plötzlich Rookie Wright mit den Stars, überzeugte und wurde prompt ins Trainingscamp in die USA eingeladen. „Tja”, sagt Wright, „und ich habe den Sprung gewagt.”

Ein sehr komisches und sehr amerikanisches Volk ist diese Wrestling-Gemeinde. Durchtrainierte Fleischberge mit der Grazie von Zirkusartisten, jeder versehen mit einem ganz eigenen Image, die hypermuskulöse Endstufe des Showbusiness unter dem Deckmantel der Sportveranstaltung. Und mittendrin nun auf einmal der junge Mann aus Nürnberg, der angeblich schon im Alter von drei Jahren mit seinem Vater im Ring gestanden hatte.

Die „taz” besuchte Wright 1995 in seiner neuen Wahlheimat und notierte staunend: „Seine Wildlederjacke hat Fransen, seine Cowboystiefel sind sauber, aber nicht poliert.” 45 Eier verdrücke er pro Tag, gab Wright zu Protokoll. „Immer ohne Dotter”, erläuterte die „taz”. Irgendwo musste die Power ja herkommen, schließlich pumpte der junge Mann regelmäßig 550 Liegestütze und 1200 Kniebeugen—pro Tag. Ein neues Image hatte er auch schon. „Das Wunderkind” lief zu deutschem Techno in die Hallen, grinste wie ein Honigkuchenpferd und wuchtete dann so elegant den gestählten Superhelden-Körper durch den Ring, dass die anwesenden Teenager-Girlies vor lauter Schmacht fast in Ohnmacht fielen.

Der Wrestling-Zirkus hatte ein neues Showpferd im Stall. Bald gab es Wright-Sammelkarten, Wright-Actionfiguren und wer in den 90er Jahren ab und an die „Bravo-Sport” aufschlug, fand todsicher die nächste Homestory über „unseren” Mann im US-Wrestling. Der Junge war einfach gemacht für das Hochglanz-Megaposter.

Klingt kitschig, war aber so: für seinen Job als professioneller Wahnsinniger arbeitete der Nürnberger wie ein Ackergaul. Begeistert beobachtete das Magazin „Sports” bei einem Besuch von Wrights Wrestlingschule in den USA, wie der Deutsche selbst Mittagspausen für Trainingsübungen nutzte. „Mittags, wenn der Imbißwagen vor der Schule hält, verkrümelt er sich in eine Ecke und absolviert das Trainingsprogramm der Fremdenlegion. Er mischt Spielkarten, legt sie, Bilder nach unten, auf den Boden, dann deckt er die erste Karte auf. Rot sind Liegestütze, schwarz sind Kniebeugen. Der Wert der Karten bestimmt die Anzahl der Übungen. Zweimal geht er den ganzen Packen durch.”

Der Lohn für all die Schindereien: Kämpfe gegen die größten Namen im Wrestling-Stall und 1995 der Rookie Of The Year Award der WCW (World Championship Wrestling). Der Junge aus Germany war wer in der amerikanischten aller amerikanischen Shows.

Aber irgendwer muss dem guten Alex einen Floh ins Ohr gesetzt haben. Ungefährer Inhalt: Junge, du brauchst ganz dringend ein neues Image! Stillstand bedeutet Rückschritt! Tu was! Also tat der ehemals als durchgestylter Sonnyboy erfolgreiche Wright was und tauchte zum Jahresbeginn 1999 mit einem neuen Alter Ego auf: ganz in schwarz gekleidet, Iro-Frisur, schwerer Mantel, dicke Ringer—das „Wunderkind” war zu „Berlyn” mutiert, eine Mischung aus Gothic-Proll, Halb-Nazi und Schlägertyp. Das Timing für diese Neuerfindung war ähnlich mies. Wenig später massakrierten zwei Schüler an der Columbine High School in Littleton 13 Menschen und sich selbst. Ihr Outfit erinnerte frappierend an das des deutschen Wrestlers.

Erst Monate nach der Tragödie wagte Berlyn sein Debüt. Hätte er sich das mal ganz gespart. Der freundliche Muskelberg von nebenan verkörperte nun einen sehr kruden Typus voller schlimmer deutscher Klischees: nicht nur, dass sich Wright a.k.a. Berlyn in einem schwarzen Mercedes durch die Gegend fahren ließ, quälend häufig die Vorzüge der deutschen Kultur erläuterte, und seine Fans konsequent auf deutsch ansprach, nein, er beschäftigte auch eine Dolmetscherin namens „Frau Ludendorff”. Eine üble Reminiszenz an den bekannten Weltkriegsgeneral und späteren Hitler-Freund Erich Ludendorff.

Nicht wirklich verwunderlich, dass dieser Schuss nach hinten losging. Die große Wrestling-Karriere von Alex Wright war damit so gut wie vorbei. Unter einem neuen Pseudonym („Boogie Knights”) versuchte sich der Deutsche noch einmal im Team, doch sein Duett mit einem Wrestler namens Disco Inferno hatte wenig Erfolg. In seinem letzten großen WCW-Kampf kloppte ihn Kevin Nash mit einer Powerbomb aus dem Ring. Alex Wright zog die Reißleine und damit zurück nach Deutschland.

Dort betreibt er heute in Nürnberg eine Wrestlingschule. „The Wright Stuff” bietet Interessenten „die Möglichkeit auf eine solide, fachgerechte Ausbildung zum Pro Wrestler in meiner Wrestlingschule im N.E.W. HotSpot, Deutschlands einzige individuell ausgestattete Wrestlinghalle”.

Einen würdigen Nachfolger hat er bis heute nicht gefunden.